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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Rmdcrannut in Frankreich.

so ist eine Zunahme der Geburten nicht zu erwarten. Die römische Geschichte
liefert dafür den besten Beweis, daß alle Maßnahmen nach der hier besprochenen
Richtung hin nutzlos sind, wenn die sittliche Depravation nicht gehoben und
die Genußsucht nicht in Schranken gehalten wird. Zweifellos wären die Antrag¬
steller selbst zu dem nämlichen Schlüsse gelangt, wenn sie vorurteilsfrei der Ur¬
sache des geringen Kindersegens der französischen Familien nachgespürt hätten.
Dieselbe konnte ihnen nicht verborgen bleiben; vielleicht ist sie ihnen auch
nicht verborgen geblieben, sie haben nur nicht den Mut gehabt, die Wahr:
heit offen und vor aller Welt auszusprechen, so sehr dies auch am Platze ge¬
wesen wäre.

Ihr Gesetzesvorschlag hat übrigens, wie wir gern anerkennen wollen, noch
einen andern Zweck als den, die Zahl der Geburten zu steigern. Er will auch
das Leben und die Gesundheit der Kinder schützen. Schon die Bestimmung,
welche sich auf die den uneheliche" Müttern zu gewährende Beihilfe bezieht,
verfolgt nebenbei diesen Zweck. Gleiches beabsichtigen jene Paragraphen, durch
welche die zur Zeit in Frankreich noch nicht gesetzliche Zwangsimpfung, die'
Anstellung einer Aufsichtsbehörde für arme Kinder und die Beschaffung von
Räumen für stillende Fabrikarbeiterinnen gefordert werden. Bestimmungen dieser
Art sind gewiß empfehlenswert; doch dürfte die eine derselben kaum mehr
nötig sein, da nicht bloß eine Kinderschutzkommission neben dem Ministerium
bereits eingesetzt ist, sondern auch eine Aufsicht über arme Kinder thatsächlich
besteht und im allgemeinen, besonders im Departement der Seine, gut gehand¬
habt wird.

Doch wir brechen diese Betrachtungen ab. Es genügt, ans einen binnen
kurzer Frist zur parlamentarischen Diskussion gelangenden Gesetzvorschlag auf¬
merksam gemacht zu haben, der für die Beurteilung französischer Zustände
sicherlich höchst bedeutungsvoll ist, der ein besondres Interesse aber auch des¬
halb darbietet, weil in andern Ländern und auch bei uns die Neomalthusianer
ihre den Bestrebungen der französischen Deputieren bekanntlich gerade entgegen¬
gesetzten Lehren zu verbreiten einen nicht geringen Eifer entfalten.




Die Rmdcrannut in Frankreich.

so ist eine Zunahme der Geburten nicht zu erwarten. Die römische Geschichte
liefert dafür den besten Beweis, daß alle Maßnahmen nach der hier besprochenen
Richtung hin nutzlos sind, wenn die sittliche Depravation nicht gehoben und
die Genußsucht nicht in Schranken gehalten wird. Zweifellos wären die Antrag¬
steller selbst zu dem nämlichen Schlüsse gelangt, wenn sie vorurteilsfrei der Ur¬
sache des geringen Kindersegens der französischen Familien nachgespürt hätten.
Dieselbe konnte ihnen nicht verborgen bleiben; vielleicht ist sie ihnen auch
nicht verborgen geblieben, sie haben nur nicht den Mut gehabt, die Wahr:
heit offen und vor aller Welt auszusprechen, so sehr dies auch am Platze ge¬
wesen wäre.

Ihr Gesetzesvorschlag hat übrigens, wie wir gern anerkennen wollen, noch
einen andern Zweck als den, die Zahl der Geburten zu steigern. Er will auch
das Leben und die Gesundheit der Kinder schützen. Schon die Bestimmung,
welche sich auf die den uneheliche» Müttern zu gewährende Beihilfe bezieht,
verfolgt nebenbei diesen Zweck. Gleiches beabsichtigen jene Paragraphen, durch
welche die zur Zeit in Frankreich noch nicht gesetzliche Zwangsimpfung, die'
Anstellung einer Aufsichtsbehörde für arme Kinder und die Beschaffung von
Räumen für stillende Fabrikarbeiterinnen gefordert werden. Bestimmungen dieser
Art sind gewiß empfehlenswert; doch dürfte die eine derselben kaum mehr
nötig sein, da nicht bloß eine Kinderschutzkommission neben dem Ministerium
bereits eingesetzt ist, sondern auch eine Aufsicht über arme Kinder thatsächlich
besteht und im allgemeinen, besonders im Departement der Seine, gut gehand¬
habt wird.

Doch wir brechen diese Betrachtungen ab. Es genügt, ans einen binnen
kurzer Frist zur parlamentarischen Diskussion gelangenden Gesetzvorschlag auf¬
merksam gemacht zu haben, der für die Beurteilung französischer Zustände
sicherlich höchst bedeutungsvoll ist, der ein besondres Interesse aber auch des¬
halb darbietet, weil in andern Ländern und auch bei uns die Neomalthusianer
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[0571] Die Rmdcrannut in Frankreich. so ist eine Zunahme der Geburten nicht zu erwarten. Die römische Geschichte liefert dafür den besten Beweis, daß alle Maßnahmen nach der hier besprochenen Richtung hin nutzlos sind, wenn die sittliche Depravation nicht gehoben und die Genußsucht nicht in Schranken gehalten wird. Zweifellos wären die Antrag¬ steller selbst zu dem nämlichen Schlüsse gelangt, wenn sie vorurteilsfrei der Ur¬ sache des geringen Kindersegens der französischen Familien nachgespürt hätten. Dieselbe konnte ihnen nicht verborgen bleiben; vielleicht ist sie ihnen auch nicht verborgen geblieben, sie haben nur nicht den Mut gehabt, die Wahr: heit offen und vor aller Welt auszusprechen, so sehr dies auch am Platze ge¬ wesen wäre. Ihr Gesetzesvorschlag hat übrigens, wie wir gern anerkennen wollen, noch einen andern Zweck als den, die Zahl der Geburten zu steigern. Er will auch das Leben und die Gesundheit der Kinder schützen. Schon die Bestimmung, welche sich auf die den uneheliche» Müttern zu gewährende Beihilfe bezieht, verfolgt nebenbei diesen Zweck. Gleiches beabsichtigen jene Paragraphen, durch welche die zur Zeit in Frankreich noch nicht gesetzliche Zwangsimpfung, die' Anstellung einer Aufsichtsbehörde für arme Kinder und die Beschaffung von Räumen für stillende Fabrikarbeiterinnen gefordert werden. Bestimmungen dieser Art sind gewiß empfehlenswert; doch dürfte die eine derselben kaum mehr nötig sein, da nicht bloß eine Kinderschutzkommission neben dem Ministerium bereits eingesetzt ist, sondern auch eine Aufsicht über arme Kinder thatsächlich besteht und im allgemeinen, besonders im Departement der Seine, gut gehand¬ habt wird. Doch wir brechen diese Betrachtungen ab. Es genügt, ans einen binnen kurzer Frist zur parlamentarischen Diskussion gelangenden Gesetzvorschlag auf¬ merksam gemacht zu haben, der für die Beurteilung französischer Zustände sicherlich höchst bedeutungsvoll ist, der ein besondres Interesse aber auch des¬ halb darbietet, weil in andern Ländern und auch bei uns die Neomalthusianer ihre den Bestrebungen der französischen Deputieren bekanntlich gerade entgegen¬ gesetzten Lehren zu verbreiten einen nicht geringen Eifer entfalten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/571>, abgerufen am 03.07.2024.