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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Ein reichstreuer Katholik.

irgendeiner von den Rednern, irgendeiner von den beifallspendenden Zuhörern
im Ernst, daß das deutsche Volk beeinträchtigt werde, wenn nicht mehr trichinöses
Schweinefleisch eingeführt werden darf, wenn nicht mehr allsonntäglich die Bier¬
fiedler auf den Tanzboden locken, nicht mehr dnrch die bekannten Lieferung^
romane Bildung in die Hütten getragen wird, wenn die Polizei ermächtigt ist,
der Verbreitung von Epidemien durch Lumpensammler Einhalt zu thun? Daran
ist nicht zu denken. Man examinirc nur die liberalen Guts- und Fabriks
besitzer, wie sie über die Häufung von "Lustbarkeiten" denken -- unter vier Augen
natürlich! Nein, wir sind politisch noch so -- jugendlich, daß die Opposition an
sich, das stete Widersprechen, das Deklamiren gegen Bevormundung, das Fordern
dessen, was vernünftigerweise nicht gewährt werden kann, Eindruck macht. Das
wird ja anders werden mit der Zeit. Überdies sind andre Länder so gefällig,
uns abschreckende und aufmunternde Beispiele zu geben. Der Segen des Partei¬
regiments, des Stürzens und Einsetzens von Regierungen durch einfache Majori¬
täten wird uns feit zwölf Jahren in Frankreich deutlich demonstrirt. Auf der
andern Seite werden die letzten Vorgänge in Italien hoffentlich nicht ganz
ohne Eindruck bleiben. Als dort die aufgestachelte Menge ihr Norw g,i tsäösvki!
brüllte, fand man sich in Deutschland verpflichtet, für die Freiheitshelden zu
schwärmen. Möchte man doch mit derselben Aufmerksamkeit beobachten, wie
rasch die italienischen Politiker den Übergang aus der Revolution in geordnete
Zustände bewerkstelligt haben, und mit welcher Besonnenheit und Energie sie
ihre Fortschrittspartei behandeln. Die dortigen Äußersten schreien natürlich auch
über Unterdrückung der Freiheit und Verrat der Volkssache durch ihre einstigen
politischen Freunde; aber diese legen darauf genau soviel Wert, als es verdient.
Und in dieser Beziehung wäre auch Tisza Kaiman -- seinen Chauvinismus
beiseite -- ein lehrreiches Beispiel für die deutschen Liberalen, zu deren Lieb¬
lingen ja die edeln Magyaren ebenfalls gehörten, als noch der Herr Gouverneur
Kossuth Münzen prägen ließ, welche unter der ungarischen Krone sein höchst
eignes Bildnis -- allerdings in winzigem Format -- zeigten.




Gin reichstreuer Katholik.

inen sehr dankenswerten Beitrag zur Geschichte und Charakteristik
der Ultramontanen in Dentschland und vorzüglich in Bade"
bildet ein soeben erschienenes Buch vou Reinhold Baumstark:
?1u8 Ultra!*) Der Verfasser erscheint als ein Katholik, wie wir
sie uns, von einigen Schwächen abgesehen, alle wünschen möchten,



") ?1us illtro.. Schicksale eines deutschen Katholiken 1869--1382. Erzählt von Rein-
l,old Baumstark. Straßburg. K. I. Triibner, 1883.
Ein reichstreuer Katholik.

irgendeiner von den Rednern, irgendeiner von den beifallspendenden Zuhörern
im Ernst, daß das deutsche Volk beeinträchtigt werde, wenn nicht mehr trichinöses
Schweinefleisch eingeführt werden darf, wenn nicht mehr allsonntäglich die Bier¬
fiedler auf den Tanzboden locken, nicht mehr dnrch die bekannten Lieferung^
romane Bildung in die Hütten getragen wird, wenn die Polizei ermächtigt ist,
der Verbreitung von Epidemien durch Lumpensammler Einhalt zu thun? Daran
ist nicht zu denken. Man examinirc nur die liberalen Guts- und Fabriks
besitzer, wie sie über die Häufung von „Lustbarkeiten" denken — unter vier Augen
natürlich! Nein, wir sind politisch noch so — jugendlich, daß die Opposition an
sich, das stete Widersprechen, das Deklamiren gegen Bevormundung, das Fordern
dessen, was vernünftigerweise nicht gewährt werden kann, Eindruck macht. Das
wird ja anders werden mit der Zeit. Überdies sind andre Länder so gefällig,
uns abschreckende und aufmunternde Beispiele zu geben. Der Segen des Partei¬
regiments, des Stürzens und Einsetzens von Regierungen durch einfache Majori¬
täten wird uns feit zwölf Jahren in Frankreich deutlich demonstrirt. Auf der
andern Seite werden die letzten Vorgänge in Italien hoffentlich nicht ganz
ohne Eindruck bleiben. Als dort die aufgestachelte Menge ihr Norw g,i tsäösvki!
brüllte, fand man sich in Deutschland verpflichtet, für die Freiheitshelden zu
schwärmen. Möchte man doch mit derselben Aufmerksamkeit beobachten, wie
rasch die italienischen Politiker den Übergang aus der Revolution in geordnete
Zustände bewerkstelligt haben, und mit welcher Besonnenheit und Energie sie
ihre Fortschrittspartei behandeln. Die dortigen Äußersten schreien natürlich auch
über Unterdrückung der Freiheit und Verrat der Volkssache durch ihre einstigen
politischen Freunde; aber diese legen darauf genau soviel Wert, als es verdient.
Und in dieser Beziehung wäre auch Tisza Kaiman — seinen Chauvinismus
beiseite — ein lehrreiches Beispiel für die deutschen Liberalen, zu deren Lieb¬
lingen ja die edeln Magyaren ebenfalls gehörten, als noch der Herr Gouverneur
Kossuth Münzen prägen ließ, welche unter der ungarischen Krone sein höchst
eignes Bildnis — allerdings in winzigem Format — zeigten.




Gin reichstreuer Katholik.

inen sehr dankenswerten Beitrag zur Geschichte und Charakteristik
der Ultramontanen in Dentschland und vorzüglich in Bade»
bildet ein soeben erschienenes Buch vou Reinhold Baumstark:
?1u8 Ultra!*) Der Verfasser erscheint als ein Katholik, wie wir
sie uns, von einigen Schwächen abgesehen, alle wünschen möchten,



») ?1us illtro.. Schicksale eines deutschen Katholiken 1869—1382. Erzählt von Rein-
l,old Baumstark. Straßburg. K. I. Triibner, 1883.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/540>, abgerufen am 24.08.2024.