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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die große Runstausstellung in Berlin.

ein Engel den Satanas mit dein Wappen Luthers zu Boden schmettert, ist so
recht aus der Stimmung des sechzehnten Jahrhunderts herausgegriffen, welche
in den drei andern Reliefs noch stärker zum Ausdruck kommt. Auf dem einen
sieht man Luther an der Bibelübersetzung arbeitend, auf dem zweiten Luther in
der Disputation mit Eck und auf dem dritten den Reformator im Kreise seiner
Familie seiner geliebten Musika obliegend. Alle Köpfe sind so eingehend und
lebensvoll charakterisirt, so reich auch mit geistigem Leben erfüllt, daß man sehr
bald über den ersten fremdartigen Eindruck dieser Reliefs hinwegkommt, mit
welchen der Künstler einen Schritt abseits von ausgetretenen Wegen gemacht
hat, der nur zu billigen ist.

Siemering ist in Berlin unzweifelhaft der genialste und selbständigste Vertreter
der Rauchschen Richtung, an welche er sich durch seinen Lehrer Bläser anschließt.
Der ihm ebenbürtige, wenn nicht überlegene Schayer hat die lyrischen Elemente
Rietschcls sehr glücklich mit der realistischen Formenstrenge Rauchs verschmolzen,
ohne daß er, trotz dieser lyrischen Neigung, den Portrütstatuen scharf ausge¬
prägter Männer, wie Bismarck, Lessing, Moltke, etwas schuldig geblieben wäre.
Schayer hat bereits eine Schule gebildet, die zwar noch jung ist, aber doch
schon in Kruses Marathousieger eine schöne Frucht gezeitigt hat. Der junge
Künstler hat jenen athenischen Kämpfer dargestellt, von welchem die Sage er¬
zählt, daß er nach erfochtenen Siege spornstreichs nach Athen gelaufen und aus'
der Pnyx mit dem Rufe: Wir haben gesiegt! tot zusammengebrochen sei. In
dem gegenwärtig ausgestellten Bronzeguß sind die Feinheiten des Gypsmodells,
die fliegende, keuchende Brust, der zusammengezogene Unterleib, der leidcnsvolle
Gesichtsausdruck des zum Tode Erschöpften, die feine Muskulatur der Beine,
ziemlich vollkommen zum Ausdruck gekommen. Wie alle technischen Prozeduren
hat sich auch in den letzten Jahren der Bronzeguß bei uns wesentlich gebessert,
und da es den Untersuchungen unsrer Chemiker gelungen ist, die Ursachen fest¬
zustellen, weshalb unsre in Bronze gegossenen öffentlichen Denkmäler so schnell
schwarz und stumpf werden und jeden Lüstre, jede malerische Wirkung ein¬
büßen, wird vielleicht die Zeit nicht mehr fern bleiben, wo auch unsre Bronze¬
fabrikanten, welche hinsichtlich der geschmackvollen Form, der Reichhaltigkeit und
sorgfältigen Ausarbeitung der Modelle die französischen längst übertreffen, die¬
selben auch hinsichtlich der durch die Zusammensetzung der Metalle und die Be¬
handlung des Gusses erzielten malerischen Reize erreichen werden. Haben doch
die deutschen Goldschmiede erst in diesen Tagen dnrch das Tafelsilber der 96
preußischen Städte für den Prinzen und die Prinzessin Wilhelm von Preußen
den glänzenden Beweis geliefert, daß die deutsche Silberwaarenindustrie nach
der fieberhaften Arbeit eines Jahrzehntes sich nicht nur vom tiefsten Falle er¬
hoben, sondern die des Auslandes, Frankreich mit eingeschlossen, weit überflügelt
hat. Auch nach dieser Richtung hin bestätigt sich die Erfahrung der Welt¬
geschichte, daß eine gedeihliche Entwicklung der menschlichen Kultur und der


Die große Runstausstellung in Berlin.

ein Engel den Satanas mit dein Wappen Luthers zu Boden schmettert, ist so
recht aus der Stimmung des sechzehnten Jahrhunderts herausgegriffen, welche
in den drei andern Reliefs noch stärker zum Ausdruck kommt. Auf dem einen
sieht man Luther an der Bibelübersetzung arbeitend, auf dem zweiten Luther in
der Disputation mit Eck und auf dem dritten den Reformator im Kreise seiner
Familie seiner geliebten Musika obliegend. Alle Köpfe sind so eingehend und
lebensvoll charakterisirt, so reich auch mit geistigem Leben erfüllt, daß man sehr
bald über den ersten fremdartigen Eindruck dieser Reliefs hinwegkommt, mit
welchen der Künstler einen Schritt abseits von ausgetretenen Wegen gemacht
hat, der nur zu billigen ist.

Siemering ist in Berlin unzweifelhaft der genialste und selbständigste Vertreter
der Rauchschen Richtung, an welche er sich durch seinen Lehrer Bläser anschließt.
Der ihm ebenbürtige, wenn nicht überlegene Schayer hat die lyrischen Elemente
Rietschcls sehr glücklich mit der realistischen Formenstrenge Rauchs verschmolzen,
ohne daß er, trotz dieser lyrischen Neigung, den Portrütstatuen scharf ausge¬
prägter Männer, wie Bismarck, Lessing, Moltke, etwas schuldig geblieben wäre.
Schayer hat bereits eine Schule gebildet, die zwar noch jung ist, aber doch
schon in Kruses Marathousieger eine schöne Frucht gezeitigt hat. Der junge
Künstler hat jenen athenischen Kämpfer dargestellt, von welchem die Sage er¬
zählt, daß er nach erfochtenen Siege spornstreichs nach Athen gelaufen und aus'
der Pnyx mit dem Rufe: Wir haben gesiegt! tot zusammengebrochen sei. In
dem gegenwärtig ausgestellten Bronzeguß sind die Feinheiten des Gypsmodells,
die fliegende, keuchende Brust, der zusammengezogene Unterleib, der leidcnsvolle
Gesichtsausdruck des zum Tode Erschöpften, die feine Muskulatur der Beine,
ziemlich vollkommen zum Ausdruck gekommen. Wie alle technischen Prozeduren
hat sich auch in den letzten Jahren der Bronzeguß bei uns wesentlich gebessert,
und da es den Untersuchungen unsrer Chemiker gelungen ist, die Ursachen fest¬
zustellen, weshalb unsre in Bronze gegossenen öffentlichen Denkmäler so schnell
schwarz und stumpf werden und jeden Lüstre, jede malerische Wirkung ein¬
büßen, wird vielleicht die Zeit nicht mehr fern bleiben, wo auch unsre Bronze¬
fabrikanten, welche hinsichtlich der geschmackvollen Form, der Reichhaltigkeit und
sorgfältigen Ausarbeitung der Modelle die französischen längst übertreffen, die¬
selben auch hinsichtlich der durch die Zusammensetzung der Metalle und die Be¬
handlung des Gusses erzielten malerischen Reize erreichen werden. Haben doch
die deutschen Goldschmiede erst in diesen Tagen dnrch das Tafelsilber der 96
preußischen Städte für den Prinzen und die Prinzessin Wilhelm von Preußen
den glänzenden Beweis geliefert, daß die deutsche Silberwaarenindustrie nach
der fieberhaften Arbeit eines Jahrzehntes sich nicht nur vom tiefsten Falle er¬
hoben, sondern die des Auslandes, Frankreich mit eingeschlossen, weit überflügelt
hat. Auch nach dieser Richtung hin bestätigt sich die Erfahrung der Welt¬
geschichte, daß eine gedeihliche Entwicklung der menschlichen Kultur und der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/522>, abgerufen am 03.07.2024.