Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Bewegungen im deutschen Buchhandel.

Lieferungsprachtwerke werden trotz ihrer Massenverbreitung keinen Ersatz geben.
Hierin liegt die Gefahr, welche das Stephanskind, die moderne Schleuderet
heraufbeschworen hat. Das Sortiment hat eine Kulturmission, welche mit ihm
zu Grunde gehen muß, denn es ist niemand da, der sie aufnehmen kann, und
hierin ist auch die Notwendigkeit begründet, daß der althergebrachte solide
Sortimentsbuchhandel geschützt werden muß, wenn es auch sonst vielleicht gleich-
giltig erscheinen könnte, ob ein paar tausend Existenzen mehr der gehätschelten
Zeitströmung zum Opfer fallen. Nur mit seiner Hilfe kann der intensive
Büchervertrieb ermöglicht werden, die der wahre Verleger, der Verleger der
eigentlichen geistigen Produktion nötig hat. Fällt es, so fällt ein großer Teil
der materiellen Produktion, d. h. die Verlagsthütigkeit wird eingeschränkt, damit
fällt aber auch ein guter Teil der geistigen Produktion selbst; es muß not-
wendig ein starker Rückschlag auf das allgemeine geistige Leben eintreten, und
deshalb muß man umzukehren versuchen. Wenn jemand ein Monopol gesichert
werden soll, so sichere man es dem Sortimenter, und überlasse es nicht den
Schleuderern, sich eins zu nehmen. Auch die andre gescheidte Idee des Herrn
Stephan, das Monopol der Postbuchhandlung, welche noch nicht ganz aus der
Luft verschwunden zu sein scheint, denn sie wird jetzt im Kleinen beim Neichs-
koursbuch probirt, wird nicht die Rolle des Sortimenters übernehmen können,
sie ist wohl auch nicht zu diesem Zweck erfunden!

Aber was kann man thun?

Natürlich muß sich der Buchhandel selbst zu helfen suchen. Denn vom
Publikum kann nicht soviel Platonismus verlangt werden, daß es seine Bücher
nicht da holen sollte, wo es sie am billigsten bekommt; es würde auch zum ge¬
ringsten Teil begreifen, worauf es ankommt, und der einzelne Einsichtige kann
nicht viel helfen, auch wenn er nicht zum Schleuderer ginge.

Nach Staatshilfe zu schreien -- man hatte die Absicht --, wäre nach
unsrer Meinung auch dann kein praktisches Beginnen, wenn nicht der Staat,
beziehentlich seine Vertreter, bewiesen hätten, daß die Sortimenter vor die un¬
rechte Schmiede kommen, wenn sie bei ihnen um Schutz gegen die Schleuderei
bitten; denn auf dem Boden des Buchhandels wachsen Pflanzen, denen auch
wir absolut freie Entwicklung wünschen müssen.

Ob es klug war, dem Staat, als er sich vor kurzem einmal in buchhänd¬
lerische Dinge zu mischen beabsichtigte, gerade da in die Arme zu fallen, ist eine
andre Frage, die aber hier jetzt nicht erörtert werden soll. Nur das sei be¬
merkt, daß wir es nicht für klug halten, die Herren Kolportage-Schund- und
Schandverleger an der Freiheit der Wissenschaft partizipiren zu lasten. Wäre
ein scharfer Gesetzesparagraph gegen die Kolportage zur Annahme gelangt, so
wäre dem Sortiment ein unschätzbarer Segen zu Teil geworden und dem
Verlage kaum empfindlicher Schaden gethan, denn er hätte seinen Vertrieb
höchstens anders einzurichten brauchen; die Menschheit aber hätte kaum viel ver-


Bewegungen im deutschen Buchhandel.

Lieferungsprachtwerke werden trotz ihrer Massenverbreitung keinen Ersatz geben.
Hierin liegt die Gefahr, welche das Stephanskind, die moderne Schleuderet
heraufbeschworen hat. Das Sortiment hat eine Kulturmission, welche mit ihm
zu Grunde gehen muß, denn es ist niemand da, der sie aufnehmen kann, und
hierin ist auch die Notwendigkeit begründet, daß der althergebrachte solide
Sortimentsbuchhandel geschützt werden muß, wenn es auch sonst vielleicht gleich-
giltig erscheinen könnte, ob ein paar tausend Existenzen mehr der gehätschelten
Zeitströmung zum Opfer fallen. Nur mit seiner Hilfe kann der intensive
Büchervertrieb ermöglicht werden, die der wahre Verleger, der Verleger der
eigentlichen geistigen Produktion nötig hat. Fällt es, so fällt ein großer Teil
der materiellen Produktion, d. h. die Verlagsthütigkeit wird eingeschränkt, damit
fällt aber auch ein guter Teil der geistigen Produktion selbst; es muß not-
wendig ein starker Rückschlag auf das allgemeine geistige Leben eintreten, und
deshalb muß man umzukehren versuchen. Wenn jemand ein Monopol gesichert
werden soll, so sichere man es dem Sortimenter, und überlasse es nicht den
Schleuderern, sich eins zu nehmen. Auch die andre gescheidte Idee des Herrn
Stephan, das Monopol der Postbuchhandlung, welche noch nicht ganz aus der
Luft verschwunden zu sein scheint, denn sie wird jetzt im Kleinen beim Neichs-
koursbuch probirt, wird nicht die Rolle des Sortimenters übernehmen können,
sie ist wohl auch nicht zu diesem Zweck erfunden!

Aber was kann man thun?

Natürlich muß sich der Buchhandel selbst zu helfen suchen. Denn vom
Publikum kann nicht soviel Platonismus verlangt werden, daß es seine Bücher
nicht da holen sollte, wo es sie am billigsten bekommt; es würde auch zum ge¬
ringsten Teil begreifen, worauf es ankommt, und der einzelne Einsichtige kann
nicht viel helfen, auch wenn er nicht zum Schleuderer ginge.

Nach Staatshilfe zu schreien — man hatte die Absicht —, wäre nach
unsrer Meinung auch dann kein praktisches Beginnen, wenn nicht der Staat,
beziehentlich seine Vertreter, bewiesen hätten, daß die Sortimenter vor die un¬
rechte Schmiede kommen, wenn sie bei ihnen um Schutz gegen die Schleuderei
bitten; denn auf dem Boden des Buchhandels wachsen Pflanzen, denen auch
wir absolut freie Entwicklung wünschen müssen.

Ob es klug war, dem Staat, als er sich vor kurzem einmal in buchhänd¬
lerische Dinge zu mischen beabsichtigte, gerade da in die Arme zu fallen, ist eine
andre Frage, die aber hier jetzt nicht erörtert werden soll. Nur das sei be¬
merkt, daß wir es nicht für klug halten, die Herren Kolportage-Schund- und
Schandverleger an der Freiheit der Wissenschaft partizipiren zu lasten. Wäre
ein scharfer Gesetzesparagraph gegen die Kolportage zur Annahme gelangt, so
wäre dem Sortiment ein unschätzbarer Segen zu Teil geworden und dem
Verlage kaum empfindlicher Schaden gethan, denn er hätte seinen Vertrieb
höchstens anders einzurichten brauchen; die Menschheit aber hätte kaum viel ver-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0444" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153193"/>
          <fw type="header" place="top"> Bewegungen im deutschen Buchhandel.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1741" prev="#ID_1740"> Lieferungsprachtwerke werden trotz ihrer Massenverbreitung keinen Ersatz geben.<lb/>
Hierin liegt die Gefahr, welche das Stephanskind, die moderne Schleuderet<lb/>
heraufbeschworen hat. Das Sortiment hat eine Kulturmission, welche mit ihm<lb/>
zu Grunde gehen muß, denn es ist niemand da, der sie aufnehmen kann, und<lb/>
hierin ist auch die Notwendigkeit begründet, daß der althergebrachte solide<lb/>
Sortimentsbuchhandel geschützt werden muß, wenn es auch sonst vielleicht gleich-<lb/>
giltig erscheinen könnte, ob ein paar tausend Existenzen mehr der gehätschelten<lb/>
Zeitströmung zum Opfer fallen. Nur mit seiner Hilfe kann der intensive<lb/>
Büchervertrieb ermöglicht werden, die der wahre Verleger, der Verleger der<lb/>
eigentlichen geistigen Produktion nötig hat. Fällt es, so fällt ein großer Teil<lb/>
der materiellen Produktion, d. h. die Verlagsthütigkeit wird eingeschränkt, damit<lb/>
fällt aber auch ein guter Teil der geistigen Produktion selbst; es muß not-<lb/>
wendig ein starker Rückschlag auf das allgemeine geistige Leben eintreten, und<lb/>
deshalb muß man umzukehren versuchen. Wenn jemand ein Monopol gesichert<lb/>
werden soll, so sichere man es dem Sortimenter, und überlasse es nicht den<lb/>
Schleuderern, sich eins zu nehmen. Auch die andre gescheidte Idee des Herrn<lb/>
Stephan, das Monopol der Postbuchhandlung, welche noch nicht ganz aus der<lb/>
Luft verschwunden zu sein scheint, denn sie wird jetzt im Kleinen beim Neichs-<lb/>
koursbuch probirt, wird nicht die Rolle des Sortimenters übernehmen können,<lb/>
sie ist wohl auch nicht zu diesem Zweck erfunden!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1742"> Aber was kann man thun?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1743"> Natürlich muß sich der Buchhandel selbst zu helfen suchen. Denn vom<lb/>
Publikum kann nicht soviel Platonismus verlangt werden, daß es seine Bücher<lb/>
nicht da holen sollte, wo es sie am billigsten bekommt; es würde auch zum ge¬<lb/>
ringsten Teil begreifen, worauf es ankommt, und der einzelne Einsichtige kann<lb/>
nicht viel helfen, auch wenn er nicht zum Schleuderer ginge.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1744"> Nach Staatshilfe zu schreien &#x2014; man hatte die Absicht &#x2014;, wäre nach<lb/>
unsrer Meinung auch dann kein praktisches Beginnen, wenn nicht der Staat,<lb/>
beziehentlich seine Vertreter, bewiesen hätten, daß die Sortimenter vor die un¬<lb/>
rechte Schmiede kommen, wenn sie bei ihnen um Schutz gegen die Schleuderei<lb/>
bitten; denn auf dem Boden des Buchhandels wachsen Pflanzen, denen auch<lb/>
wir absolut freie Entwicklung wünschen müssen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1745" next="#ID_1746"> Ob es klug war, dem Staat, als er sich vor kurzem einmal in buchhänd¬<lb/>
lerische Dinge zu mischen beabsichtigte, gerade da in die Arme zu fallen, ist eine<lb/>
andre Frage, die aber hier jetzt nicht erörtert werden soll. Nur das sei be¬<lb/>
merkt, daß wir es nicht für klug halten, die Herren Kolportage-Schund- und<lb/>
Schandverleger an der Freiheit der Wissenschaft partizipiren zu lasten. Wäre<lb/>
ein scharfer Gesetzesparagraph gegen die Kolportage zur Annahme gelangt, so<lb/>
wäre dem Sortiment ein unschätzbarer Segen zu Teil geworden und dem<lb/>
Verlage kaum empfindlicher Schaden gethan, denn er hätte seinen Vertrieb<lb/>
höchstens anders einzurichten brauchen; die Menschheit aber hätte kaum viel ver-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0444] Bewegungen im deutschen Buchhandel. Lieferungsprachtwerke werden trotz ihrer Massenverbreitung keinen Ersatz geben. Hierin liegt die Gefahr, welche das Stephanskind, die moderne Schleuderet heraufbeschworen hat. Das Sortiment hat eine Kulturmission, welche mit ihm zu Grunde gehen muß, denn es ist niemand da, der sie aufnehmen kann, und hierin ist auch die Notwendigkeit begründet, daß der althergebrachte solide Sortimentsbuchhandel geschützt werden muß, wenn es auch sonst vielleicht gleich- giltig erscheinen könnte, ob ein paar tausend Existenzen mehr der gehätschelten Zeitströmung zum Opfer fallen. Nur mit seiner Hilfe kann der intensive Büchervertrieb ermöglicht werden, die der wahre Verleger, der Verleger der eigentlichen geistigen Produktion nötig hat. Fällt es, so fällt ein großer Teil der materiellen Produktion, d. h. die Verlagsthütigkeit wird eingeschränkt, damit fällt aber auch ein guter Teil der geistigen Produktion selbst; es muß not- wendig ein starker Rückschlag auf das allgemeine geistige Leben eintreten, und deshalb muß man umzukehren versuchen. Wenn jemand ein Monopol gesichert werden soll, so sichere man es dem Sortimenter, und überlasse es nicht den Schleuderern, sich eins zu nehmen. Auch die andre gescheidte Idee des Herrn Stephan, das Monopol der Postbuchhandlung, welche noch nicht ganz aus der Luft verschwunden zu sein scheint, denn sie wird jetzt im Kleinen beim Neichs- koursbuch probirt, wird nicht die Rolle des Sortimenters übernehmen können, sie ist wohl auch nicht zu diesem Zweck erfunden! Aber was kann man thun? Natürlich muß sich der Buchhandel selbst zu helfen suchen. Denn vom Publikum kann nicht soviel Platonismus verlangt werden, daß es seine Bücher nicht da holen sollte, wo es sie am billigsten bekommt; es würde auch zum ge¬ ringsten Teil begreifen, worauf es ankommt, und der einzelne Einsichtige kann nicht viel helfen, auch wenn er nicht zum Schleuderer ginge. Nach Staatshilfe zu schreien — man hatte die Absicht —, wäre nach unsrer Meinung auch dann kein praktisches Beginnen, wenn nicht der Staat, beziehentlich seine Vertreter, bewiesen hätten, daß die Sortimenter vor die un¬ rechte Schmiede kommen, wenn sie bei ihnen um Schutz gegen die Schleuderei bitten; denn auf dem Boden des Buchhandels wachsen Pflanzen, denen auch wir absolut freie Entwicklung wünschen müssen. Ob es klug war, dem Staat, als er sich vor kurzem einmal in buchhänd¬ lerische Dinge zu mischen beabsichtigte, gerade da in die Arme zu fallen, ist eine andre Frage, die aber hier jetzt nicht erörtert werden soll. Nur das sei be¬ merkt, daß wir es nicht für klug halten, die Herren Kolportage-Schund- und Schandverleger an der Freiheit der Wissenschaft partizipiren zu lasten. Wäre ein scharfer Gesetzesparagraph gegen die Kolportage zur Annahme gelangt, so wäre dem Sortiment ein unschätzbarer Segen zu Teil geworden und dem Verlage kaum empfindlicher Schaden gethan, denn er hätte seinen Vertrieb höchstens anders einzurichten brauchen; die Menschheit aber hätte kaum viel ver-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/444
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/444>, abgerufen am 24.08.2024.