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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

So ward ihr auch jetzt bei allem Fieber, welches die Erwartung verur¬
sachte, der Appetit hauptsächlich durch die Art und Weise verdorben, mit der
Gräfin Sibylle den Baron Sextus mit dem Zaubernetz ihrer Blicke und Worte
immer enger und enger umgarnte.




Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Der Graf von Franeker sah dem Ende des Diners mit einiger Ungeduld
entgegen. Abgesehen davon, daß er schon lange die Schüsseln unberührt an
sich vorübergehen ließ und seinem Wein immer mehr Wasser beimischte, anstatt
von den neu angebotenen Sorten zu nehmen, sehnte er sich nach einem unge¬
störten Augenblick, wo er dem Baron unter vier Augen die wichtige Angelegen¬
heit des Verhältnisses zwischen Eberhardt und Dorothea vortragen könnte. Die
große Vorliebe, welche er immer für die Tochter seines Freundes gehegt hatte,
war durch seine Unterredung mit ihr noch gesteigert worden, und die Beobach¬
tungen, welche er in der letzten Zeit hinsichtlich der Altenschwerdts gemacht
hatte, trieben ihn zu einem thätigen Eingreifen. Er war umsomehr gedrängt,
sein Gewissen zu entlasten, als sich gerade bei ihm, auf seinem einsamen Besitz¬
tum die Fäden verdichtet hatten, welche zwischen der jugendlichen Freundin und
dem Maler gesponnen waren, sodaß er befürchtete, durch sein fortgesetztes Schweigen
Verrat an der Freundschaft mit dem Baron zu begehen.

Die von ihm ersehnte günstige Gelegenheit eines Zwiegesprächs mit Baron
Sextus sollte sich zu seiner angenehmen Überraschung leichter und schneller finden,
als er erwartet hatte. Anstatt nach Aufheben der Tafel mit den Damen in
das Musikzimmer zu gehen, zog der Baron ihn bei Seite und schlug vor, eine
Cigarre in seinem Arbeitszimmer zu rauchen. Der Graf nahm mit Vergnügen
an und ging mit seinem Wirt die Treppe hinauf, während die jüngeren Herren
bei den Damen blieben.

Obwohl es noch nicht ganz dunkel geworden war, brannten doch schon die
Wachskerzen in ihren silbernen Armleuchtern auf dem großen Ebenholzschreib¬
tische des Barons und warfen ein behagliches Licht über dies stille Gemach.
Ein kleines Feuer war im Kamin angezündet, und die prasselnden Fichtenscheite
verbreiteten eine gelinde Wärme, welche bei den schon kühler werdenden August¬
abenden und in dem großen Schlosse nicht unangenehm war. Die Herren zün¬
deten ihre Cigarren an, es wurde ihnen der Kaffee präsentirt, und sie setzten
sich in zwei niedrige, weiche, mit grünem Rips überzogene Lehnstühle einander
gegenüber.

Indem nun der Graf überlegte, wie er wohl am geschicktesten die delikate
Frage anregen könne, fiel es ihm auf, daß der Baron eigentümlich schweig¬
sam und nachdenklich sei. Er blies den Rauch in ungewöhnlicher Weise


Die Grafen von Altenschwerdt.

So ward ihr auch jetzt bei allem Fieber, welches die Erwartung verur¬
sachte, der Appetit hauptsächlich durch die Art und Weise verdorben, mit der
Gräfin Sibylle den Baron Sextus mit dem Zaubernetz ihrer Blicke und Worte
immer enger und enger umgarnte.




Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Der Graf von Franeker sah dem Ende des Diners mit einiger Ungeduld
entgegen. Abgesehen davon, daß er schon lange die Schüsseln unberührt an
sich vorübergehen ließ und seinem Wein immer mehr Wasser beimischte, anstatt
von den neu angebotenen Sorten zu nehmen, sehnte er sich nach einem unge¬
störten Augenblick, wo er dem Baron unter vier Augen die wichtige Angelegen¬
heit des Verhältnisses zwischen Eberhardt und Dorothea vortragen könnte. Die
große Vorliebe, welche er immer für die Tochter seines Freundes gehegt hatte,
war durch seine Unterredung mit ihr noch gesteigert worden, und die Beobach¬
tungen, welche er in der letzten Zeit hinsichtlich der Altenschwerdts gemacht
hatte, trieben ihn zu einem thätigen Eingreifen. Er war umsomehr gedrängt,
sein Gewissen zu entlasten, als sich gerade bei ihm, auf seinem einsamen Besitz¬
tum die Fäden verdichtet hatten, welche zwischen der jugendlichen Freundin und
dem Maler gesponnen waren, sodaß er befürchtete, durch sein fortgesetztes Schweigen
Verrat an der Freundschaft mit dem Baron zu begehen.

Die von ihm ersehnte günstige Gelegenheit eines Zwiegesprächs mit Baron
Sextus sollte sich zu seiner angenehmen Überraschung leichter und schneller finden,
als er erwartet hatte. Anstatt nach Aufheben der Tafel mit den Damen in
das Musikzimmer zu gehen, zog der Baron ihn bei Seite und schlug vor, eine
Cigarre in seinem Arbeitszimmer zu rauchen. Der Graf nahm mit Vergnügen
an und ging mit seinem Wirt die Treppe hinauf, während die jüngeren Herren
bei den Damen blieben.

Obwohl es noch nicht ganz dunkel geworden war, brannten doch schon die
Wachskerzen in ihren silbernen Armleuchtern auf dem großen Ebenholzschreib¬
tische des Barons und warfen ein behagliches Licht über dies stille Gemach.
Ein kleines Feuer war im Kamin angezündet, und die prasselnden Fichtenscheite
verbreiteten eine gelinde Wärme, welche bei den schon kühler werdenden August¬
abenden und in dem großen Schlosse nicht unangenehm war. Die Herren zün¬
deten ihre Cigarren an, es wurde ihnen der Kaffee präsentirt, und sie setzten
sich in zwei niedrige, weiche, mit grünem Rips überzogene Lehnstühle einander
gegenüber.

Indem nun der Graf überlegte, wie er wohl am geschicktesten die delikate
Frage anregen könne, fiel es ihm auf, daß der Baron eigentümlich schweig¬
sam und nachdenklich sei. Er blies den Rauch in ungewöhnlicher Weise


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[0420] Die Grafen von Altenschwerdt. So ward ihr auch jetzt bei allem Fieber, welches die Erwartung verur¬ sachte, der Appetit hauptsächlich durch die Art und Weise verdorben, mit der Gräfin Sibylle den Baron Sextus mit dem Zaubernetz ihrer Blicke und Worte immer enger und enger umgarnte. Fünfundzwanzigstes Kapitel. Der Graf von Franeker sah dem Ende des Diners mit einiger Ungeduld entgegen. Abgesehen davon, daß er schon lange die Schüsseln unberührt an sich vorübergehen ließ und seinem Wein immer mehr Wasser beimischte, anstatt von den neu angebotenen Sorten zu nehmen, sehnte er sich nach einem unge¬ störten Augenblick, wo er dem Baron unter vier Augen die wichtige Angelegen¬ heit des Verhältnisses zwischen Eberhardt und Dorothea vortragen könnte. Die große Vorliebe, welche er immer für die Tochter seines Freundes gehegt hatte, war durch seine Unterredung mit ihr noch gesteigert worden, und die Beobach¬ tungen, welche er in der letzten Zeit hinsichtlich der Altenschwerdts gemacht hatte, trieben ihn zu einem thätigen Eingreifen. Er war umsomehr gedrängt, sein Gewissen zu entlasten, als sich gerade bei ihm, auf seinem einsamen Besitz¬ tum die Fäden verdichtet hatten, welche zwischen der jugendlichen Freundin und dem Maler gesponnen waren, sodaß er befürchtete, durch sein fortgesetztes Schweigen Verrat an der Freundschaft mit dem Baron zu begehen. Die von ihm ersehnte günstige Gelegenheit eines Zwiegesprächs mit Baron Sextus sollte sich zu seiner angenehmen Überraschung leichter und schneller finden, als er erwartet hatte. Anstatt nach Aufheben der Tafel mit den Damen in das Musikzimmer zu gehen, zog der Baron ihn bei Seite und schlug vor, eine Cigarre in seinem Arbeitszimmer zu rauchen. Der Graf nahm mit Vergnügen an und ging mit seinem Wirt die Treppe hinauf, während die jüngeren Herren bei den Damen blieben. Obwohl es noch nicht ganz dunkel geworden war, brannten doch schon die Wachskerzen in ihren silbernen Armleuchtern auf dem großen Ebenholzschreib¬ tische des Barons und warfen ein behagliches Licht über dies stille Gemach. Ein kleines Feuer war im Kamin angezündet, und die prasselnden Fichtenscheite verbreiteten eine gelinde Wärme, welche bei den schon kühler werdenden August¬ abenden und in dem großen Schlosse nicht unangenehm war. Die Herren zün¬ deten ihre Cigarren an, es wurde ihnen der Kaffee präsentirt, und sie setzten sich in zwei niedrige, weiche, mit grünem Rips überzogene Lehnstühle einander gegenüber. Indem nun der Graf überlegte, wie er wohl am geschicktesten die delikate Frage anregen könne, fiel es ihm auf, daß der Baron eigentümlich schweig¬ sam und nachdenklich sei. Er blies den Rauch in ungewöhnlicher Weise

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/420>, abgerufen am 24.08.2024.