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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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parlamentarische Offenherzigkeiten.

mentarismus durchaus nicht, weder jetzt noch künftig. Wer einmal im Minister-
fauteuil sitzt, will auch warm darauf werdeu, den Genuß der Macht auskosten,
dauernde Spuren seiner Herrschaft hinterlassen. Unter uns: namentlich den
guten Freunden und getreuen Nachbarn wäre garnicht zu trauen, die würden
den parlamentarischen Staatsmännern am ersten Abstimmungen zwischen die
Füße werfen, um sie zum Stolpern zu bringen. Dagegen heißt es sich bei
Zeiten vorsehen. Darum nur ein mäßiger Parlamentarismus, keine Forcekur,
morgens und abends einen Eßlöffel voll, und wenn er Unbequemlichkeiten ver¬
ursacht, aussetzen -- das Rezept ist schon oft angewendet worden, und hat sich
meistens überraschend gut bewährt. "Ein Zusammenwirken von organischen
Mehrheiten in der Volksvertretung mit der Regierung/' das ist der Bam-
bergersche Parlamentarismus, der sich ins Praktische übersetzt so ausnimmt:
Wir, die Opposition, sind die organische Mehrheit, folglich muß die Regierung
den Weg gehen, welchen wir ihr vorzeichnen; will sie sich dazu nicht bequemen,
so hat sie uns Platz zu machen; sollte sich indessen nach vierzehn Tagen eine
Mehrheit gegen uns bilden, so werden wir vor allem prüfen, ob sie organisch
oder anorganisch sei, und darnach unsre Entschlüsse fassen.

Es besteht also, wie bemerkt, Klarheit. Auf dem "linksten" Flügel ent¬
faltet die Volkspartei unter den sympathischen Zurufen des Zentrums das
Banner des Partikularismus; dann folgt die Brigade Richter mit dem Feld¬
geschrei: Befreiung des Königtums aus der Gewalt des Hausmeiers! -- dann
die Brigade Bamberger, welche für jetzt keine Republik und auch mir einen ge¬
mütlichen Parlamentarismus will. Ist das Reich nicht glücklich zu preisen, wo
den Radikalsten der Radikalen höchstens ein Übermaß an Loyalität zum Vor¬
wurfe gemacht werden kann? Und doch nicht Ruhe und Frieden? Es giebt
eben böse Menschen, wie jener bairische Major erfahren hatte, der sich pensioniren
ließ, weil sein Feldwebel ihn "gar so viel seckirte."

Schließlich noch einmal Herr Richter! Derselbe machte die erfreuliche
Mitteilung, daß die ungünstigen Urteile über sein politisches Wirken sich in den
Zeitungen immer häusiger vernehmen ließen, suchte aber den angenehmen Ein^
druck sofort wieder durch die Versicherung abzuschwächen: die Verfasser solcher
Artikel sprächen nicht ihre eigene Überzeugung aus, sondern lieferten nur be¬
stellte, von der Regierung honorirte Arbeit. Hiernach scheint er sich auch in
seiner Ansicht über Kritik auf dem Komödicmteustaudpuukt zu befinden und jeden
Journalisten für einen Reisläufer zu halten, der im Tagelohn lobt oder tadelt,
je nach Bestellung - aus dem Munde eines Mannes, welcher mitten in der
Offentlichenmcinungs-Jndustrie steht, gewiß ein merkwürdiges Bekenntnis, das
an Wert noch gewonnen haben würde, wenn er seine Offenherzigkeit noch etwas
weiter ausgedehnt und bekannt gemacht hätte, aus welchem Fonds und nach
welchem Tarif der Ruhm des Herrn Richter bezahlt wird.




parlamentarische Offenherzigkeiten.

mentarismus durchaus nicht, weder jetzt noch künftig. Wer einmal im Minister-
fauteuil sitzt, will auch warm darauf werdeu, den Genuß der Macht auskosten,
dauernde Spuren seiner Herrschaft hinterlassen. Unter uns: namentlich den
guten Freunden und getreuen Nachbarn wäre garnicht zu trauen, die würden
den parlamentarischen Staatsmännern am ersten Abstimmungen zwischen die
Füße werfen, um sie zum Stolpern zu bringen. Dagegen heißt es sich bei
Zeiten vorsehen. Darum nur ein mäßiger Parlamentarismus, keine Forcekur,
morgens und abends einen Eßlöffel voll, und wenn er Unbequemlichkeiten ver¬
ursacht, aussetzen — das Rezept ist schon oft angewendet worden, und hat sich
meistens überraschend gut bewährt. „Ein Zusammenwirken von organischen
Mehrheiten in der Volksvertretung mit der Regierung/' das ist der Bam-
bergersche Parlamentarismus, der sich ins Praktische übersetzt so ausnimmt:
Wir, die Opposition, sind die organische Mehrheit, folglich muß die Regierung
den Weg gehen, welchen wir ihr vorzeichnen; will sie sich dazu nicht bequemen,
so hat sie uns Platz zu machen; sollte sich indessen nach vierzehn Tagen eine
Mehrheit gegen uns bilden, so werden wir vor allem prüfen, ob sie organisch
oder anorganisch sei, und darnach unsre Entschlüsse fassen.

Es besteht also, wie bemerkt, Klarheit. Auf dem „linksten" Flügel ent¬
faltet die Volkspartei unter den sympathischen Zurufen des Zentrums das
Banner des Partikularismus; dann folgt die Brigade Richter mit dem Feld¬
geschrei: Befreiung des Königtums aus der Gewalt des Hausmeiers! — dann
die Brigade Bamberger, welche für jetzt keine Republik und auch mir einen ge¬
mütlichen Parlamentarismus will. Ist das Reich nicht glücklich zu preisen, wo
den Radikalsten der Radikalen höchstens ein Übermaß an Loyalität zum Vor¬
wurfe gemacht werden kann? Und doch nicht Ruhe und Frieden? Es giebt
eben böse Menschen, wie jener bairische Major erfahren hatte, der sich pensioniren
ließ, weil sein Feldwebel ihn „gar so viel seckirte."

Schließlich noch einmal Herr Richter! Derselbe machte die erfreuliche
Mitteilung, daß die ungünstigen Urteile über sein politisches Wirken sich in den
Zeitungen immer häusiger vernehmen ließen, suchte aber den angenehmen Ein^
druck sofort wieder durch die Versicherung abzuschwächen: die Verfasser solcher
Artikel sprächen nicht ihre eigene Überzeugung aus, sondern lieferten nur be¬
stellte, von der Regierung honorirte Arbeit. Hiernach scheint er sich auch in
seiner Ansicht über Kritik auf dem Komödicmteustaudpuukt zu befinden und jeden
Journalisten für einen Reisläufer zu halten, der im Tagelohn lobt oder tadelt,
je nach Bestellung - aus dem Munde eines Mannes, welcher mitten in der
Offentlichenmcinungs-Jndustrie steht, gewiß ein merkwürdiges Bekenntnis, das
an Wert noch gewonnen haben würde, wenn er seine Offenherzigkeit noch etwas
weiter ausgedehnt und bekannt gemacht hätte, aus welchem Fonds und nach
welchem Tarif der Ruhm des Herrn Richter bezahlt wird.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/388>, abgerufen am 01.07.2024.