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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Parlamentarische Offenherzigkeiten.

richtig!" Jetzt muß der arme Achill sich darauf gefaßt halten, mit Nutzanwendungen
seiner Logik geplagt zu werden: Entweder nimmt der parlamentarische Dienst
den Abgeordneten gänzlich in Anspruch n. s. w. Für die Zukunft werden wohl
Zeichen verabredet werden müssen, damit die Komparserie weiß: Jetzt kommt
das Stichwort für Heiterkeit, jetzt für Zustimmung u. s. w. Denn so peinlich
es sein muß, nach einem vermeintlich guten Witze nur fragenden Blicken der
Zuhörer zu begegnen, die noch auf die Pointe warten: beschämender ist eine
solche ernsthafte Zustimmung auf jeden Fall. Dagegen blieb dem Redner die
Anerkennung versagt, wo er sie redlich verdient hatte. Seinen Klagen über die
Bedrückung der bürgerlichen Geschäfte durch die Konkurrenz der Militärschuster,
Militärsattler u. s. w. und über die mehreren Seidel Bier, welche schon in
Kandiren in Zivilkehlen geflossen sein können, lag ja augenscheinlich ein ernstes
Studium von Zunftakten aus dem sechzehnten oder siebzehnten Jahrhundert zu
Grunde, in welchen Beschwerden über die bürgerliche Nahrung derer artilleuin,
xg-IMnorum oder Hose-Handwerker nicht selten und genau mit denselben Argu¬
menten vorkommen, wie sich deren Herr Richter gegen die Soldatenarbeit bedient.
Dieses Erwachen historischen und konservativen Sinnes bei dem großen Abge¬
ordneten wäre wohl einer kleinen Aufmunterung wert gewesen, wenn er sich
auch im Gegenstande diesmal vergriffen hat. Vielleicht sagt er den strengeren
politischen Freunden, welche ihm die Konzession zum Vorwurf machen, zur
Entschuldigung, im Parteikampf sei ihm jedes Mittel recht, sogar die Aner¬
kennung der Verwerflichkeit einer ungezähnten Konkurrenz und einer Preisgebung
des wirtschaftlich Schwachen. Allein auch das wäre etwas Neues und be¬
dingungsweise Erfreuliches, da der Mann, welcher sich zum Sprachrohr für jede
Bosheit gegen das deutsche Reich macht, und welcher sich sogar entblödete, den durch
seinen unqualifizirbaren Artikel bekannt gewordnen amerikanischen Gesandten als
Autorität zu zitiren (oder war das vielleicht nur erwiederte Höflichkeit, da jener
Herr irgend einen Abgeordneten als Autorität für einen besonders taktvollen
Ausdruck zitirt hatte?), doch bisher sorglich alles vermieden hat, was der
-- konservativen -- Wahrheit die Ehre geben würde.

Als zweiter in der Liste der Offenherzigen präsentirt sich Herr Stern,
Redakteur aus Frankfurt und Hospitant der Fortschrittspartei. Redakteur muß
man sein und Stern heißen, um eine Pflichtversäumnis der preußischen Negie¬
rung gerade da zu entdecken! Der Staat kümmert sich nicht darum, wo und
wie die Rabbinatskandidaten ihre Vorbildung erworben und welche politische
Gesinnung sie haben. Abnorm! Darin hat der Mann Recht, und hoffentlich
bestimmt er seine Gastfreunde, einen Gesetzentwurf einzubringen, welcher die Lücke
angemessen ausfüllen würde. Die Frage verdient auch deshalb nicht in Ver¬
gessenheit zu geraten, weil wir bei einer Ordnung des betreffenden Prüsungs-
wesens endlich erfahren würden, was eigentlich im Talmud steht, da gegenwärtig
die Gelehrten sich darauf beschränken, zu versichern, die Dinge, welche Professor
Rodung und andre gefunden haben wollen, stünden garnicht darin.


Parlamentarische Offenherzigkeiten.

richtig!" Jetzt muß der arme Achill sich darauf gefaßt halten, mit Nutzanwendungen
seiner Logik geplagt zu werden: Entweder nimmt der parlamentarische Dienst
den Abgeordneten gänzlich in Anspruch n. s. w. Für die Zukunft werden wohl
Zeichen verabredet werden müssen, damit die Komparserie weiß: Jetzt kommt
das Stichwort für Heiterkeit, jetzt für Zustimmung u. s. w. Denn so peinlich
es sein muß, nach einem vermeintlich guten Witze nur fragenden Blicken der
Zuhörer zu begegnen, die noch auf die Pointe warten: beschämender ist eine
solche ernsthafte Zustimmung auf jeden Fall. Dagegen blieb dem Redner die
Anerkennung versagt, wo er sie redlich verdient hatte. Seinen Klagen über die
Bedrückung der bürgerlichen Geschäfte durch die Konkurrenz der Militärschuster,
Militärsattler u. s. w. und über die mehreren Seidel Bier, welche schon in
Kandiren in Zivilkehlen geflossen sein können, lag ja augenscheinlich ein ernstes
Studium von Zunftakten aus dem sechzehnten oder siebzehnten Jahrhundert zu
Grunde, in welchen Beschwerden über die bürgerliche Nahrung derer artilleuin,
xg-IMnorum oder Hose-Handwerker nicht selten und genau mit denselben Argu¬
menten vorkommen, wie sich deren Herr Richter gegen die Soldatenarbeit bedient.
Dieses Erwachen historischen und konservativen Sinnes bei dem großen Abge¬
ordneten wäre wohl einer kleinen Aufmunterung wert gewesen, wenn er sich
auch im Gegenstande diesmal vergriffen hat. Vielleicht sagt er den strengeren
politischen Freunden, welche ihm die Konzession zum Vorwurf machen, zur
Entschuldigung, im Parteikampf sei ihm jedes Mittel recht, sogar die Aner¬
kennung der Verwerflichkeit einer ungezähnten Konkurrenz und einer Preisgebung
des wirtschaftlich Schwachen. Allein auch das wäre etwas Neues und be¬
dingungsweise Erfreuliches, da der Mann, welcher sich zum Sprachrohr für jede
Bosheit gegen das deutsche Reich macht, und welcher sich sogar entblödete, den durch
seinen unqualifizirbaren Artikel bekannt gewordnen amerikanischen Gesandten als
Autorität zu zitiren (oder war das vielleicht nur erwiederte Höflichkeit, da jener
Herr irgend einen Abgeordneten als Autorität für einen besonders taktvollen
Ausdruck zitirt hatte?), doch bisher sorglich alles vermieden hat, was der
— konservativen — Wahrheit die Ehre geben würde.

Als zweiter in der Liste der Offenherzigen präsentirt sich Herr Stern,
Redakteur aus Frankfurt und Hospitant der Fortschrittspartei. Redakteur muß
man sein und Stern heißen, um eine Pflichtversäumnis der preußischen Negie¬
rung gerade da zu entdecken! Der Staat kümmert sich nicht darum, wo und
wie die Rabbinatskandidaten ihre Vorbildung erworben und welche politische
Gesinnung sie haben. Abnorm! Darin hat der Mann Recht, und hoffentlich
bestimmt er seine Gastfreunde, einen Gesetzentwurf einzubringen, welcher die Lücke
angemessen ausfüllen würde. Die Frage verdient auch deshalb nicht in Ver¬
gessenheit zu geraten, weil wir bei einer Ordnung des betreffenden Prüsungs-
wesens endlich erfahren würden, was eigentlich im Talmud steht, da gegenwärtig
die Gelehrten sich darauf beschränken, zu versichern, die Dinge, welche Professor
Rodung und andre gefunden haben wollen, stünden garnicht darin.


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[0386] Parlamentarische Offenherzigkeiten. richtig!" Jetzt muß der arme Achill sich darauf gefaßt halten, mit Nutzanwendungen seiner Logik geplagt zu werden: Entweder nimmt der parlamentarische Dienst den Abgeordneten gänzlich in Anspruch n. s. w. Für die Zukunft werden wohl Zeichen verabredet werden müssen, damit die Komparserie weiß: Jetzt kommt das Stichwort für Heiterkeit, jetzt für Zustimmung u. s. w. Denn so peinlich es sein muß, nach einem vermeintlich guten Witze nur fragenden Blicken der Zuhörer zu begegnen, die noch auf die Pointe warten: beschämender ist eine solche ernsthafte Zustimmung auf jeden Fall. Dagegen blieb dem Redner die Anerkennung versagt, wo er sie redlich verdient hatte. Seinen Klagen über die Bedrückung der bürgerlichen Geschäfte durch die Konkurrenz der Militärschuster, Militärsattler u. s. w. und über die mehreren Seidel Bier, welche schon in Kandiren in Zivilkehlen geflossen sein können, lag ja augenscheinlich ein ernstes Studium von Zunftakten aus dem sechzehnten oder siebzehnten Jahrhundert zu Grunde, in welchen Beschwerden über die bürgerliche Nahrung derer artilleuin, xg-IMnorum oder Hose-Handwerker nicht selten und genau mit denselben Argu¬ menten vorkommen, wie sich deren Herr Richter gegen die Soldatenarbeit bedient. Dieses Erwachen historischen und konservativen Sinnes bei dem großen Abge¬ ordneten wäre wohl einer kleinen Aufmunterung wert gewesen, wenn er sich auch im Gegenstande diesmal vergriffen hat. Vielleicht sagt er den strengeren politischen Freunden, welche ihm die Konzession zum Vorwurf machen, zur Entschuldigung, im Parteikampf sei ihm jedes Mittel recht, sogar die Aner¬ kennung der Verwerflichkeit einer ungezähnten Konkurrenz und einer Preisgebung des wirtschaftlich Schwachen. Allein auch das wäre etwas Neues und be¬ dingungsweise Erfreuliches, da der Mann, welcher sich zum Sprachrohr für jede Bosheit gegen das deutsche Reich macht, und welcher sich sogar entblödete, den durch seinen unqualifizirbaren Artikel bekannt gewordnen amerikanischen Gesandten als Autorität zu zitiren (oder war das vielleicht nur erwiederte Höflichkeit, da jener Herr irgend einen Abgeordneten als Autorität für einen besonders taktvollen Ausdruck zitirt hatte?), doch bisher sorglich alles vermieden hat, was der — konservativen — Wahrheit die Ehre geben würde. Als zweiter in der Liste der Offenherzigen präsentirt sich Herr Stern, Redakteur aus Frankfurt und Hospitant der Fortschrittspartei. Redakteur muß man sein und Stern heißen, um eine Pflichtversäumnis der preußischen Negie¬ rung gerade da zu entdecken! Der Staat kümmert sich nicht darum, wo und wie die Rabbinatskandidaten ihre Vorbildung erworben und welche politische Gesinnung sie haben. Abnorm! Darin hat der Mann Recht, und hoffentlich bestimmt er seine Gastfreunde, einen Gesetzentwurf einzubringen, welcher die Lücke angemessen ausfüllen würde. Die Frage verdient auch deshalb nicht in Ver¬ gessenheit zu geraten, weil wir bei einer Ordnung des betreffenden Prüsungs- wesens endlich erfahren würden, was eigentlich im Talmud steht, da gegenwärtig die Gelehrten sich darauf beschränken, zu versichern, die Dinge, welche Professor Rodung und andre gefunden haben wollen, stünden garnicht darin.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/386>, abgerufen am 01.07.2024.