Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Grafen von Altcnschwerdt.

der Natur und dem Geschick zugleich begünstigt wird, hat eine gefährliche Stel¬
lung. Er ist mit der Aussicht auf den Himmel an den Rand des Abgrunds
der Hölle gestellt. Sein Herz und sein Kopf sind im unversöhnlichen Kampf
mit einander und sein ungestilltes Verlangen muß ihm eine Pein auferlegen,
die kein Ende hat. Sie kennen und lieben gelernt zu haben, ohne Sie besitzen
zu dürfen, wäre ein unerträgliches Loos. So zittere und bange ich vor dein
Ergebnis des heutigen Tages und möchte flehen: Wenn es auch ungünstig aus¬
fallen sollte, bleiben Sie dieselbe, die Sie mir waren!

Dorothea las diesen Brief, las ihn noch einmal, preßte ihn an die Lippen
und drückte ihn auf ihr klopfendes Herz. Sie war in die größte Aufregung
geraten, und ihre Finger waren so unruhig, daß sie kaum imstande war, ihre
Toilette zu beenden, während doch von der Pendüle auf dem Kamin der Schlag
des Hammers in der Hand des kleinen bronzenen Bergknappen ihr verkündigte,
daß die Stunde des Diners gekommen sei. Die Gewißheit über die nahe bevor¬
stehende Entscheidung machte ihre Pulse fliegen und gab ihrem Blick einen fieber¬
haften Glanz. Sie fürchtete, daß jedermann in ihrem Gesichte lesen könne, und
sie wagte es nicht, ihr Zinnner zu verlassen. Erst Millieents Hereinkommen
gab dieser Spannung ihrer Nerven eine kleine Erleichterung. Sie warf sich
ungestüm in die Arme der Freundin und verbarg ihr Gesicht an deren
Schulter.

Der Unvorsichtige! flüsterte sie. Er hat den Grafen von Franeker beauf¬
tragt, um mich zu werben!

Millicent fuhr erschrocken zusammen.

Es ist keine Zeit, darüber zu reden, sagte Dorothea. Es ist nun auch
nicht mehr zu ändern.

Der Graf ist unten, erwiederte Millicent. Wenn du ihm einen Wink gäbest,
so schwiege er wohl.

Dorothea blickte sie lange an, und ein Sturm von Gedanken tobte durch
ihren Kopf.

Nein, sagte sie dann mit einem Blick nach oben, er hat es so gewollt, und
ich mag nicht dem Rade des Schicksals in die Speichen greifen!

Sie drückte beide Hände der Freundin, ergriff ihren Fächer und eilte hinaus.
Millicent sah ihr mit nassen Augen nach und seufzte tief. Sie setzte viel Ver¬
trauen auf die Macht der Liebe, aber sie kannte den Baron Sextus.

Dieser pünktliche Herr hatte soeben zum drittenmal seine alte silberne
doppelhäusige Cylinderuhr hervorgezogen, von der er behauptete, daß sie allen
modernen Chronometern an Zuverlässigkeit überlegen sei, und konnte bei seiner
Tochter Hereintreten eine kleine tadelnde Bemerkung nicht unterdrücken, eine Be¬
merkung, welche den Pfarrer bis über die Ohren erröten machte und ihm eine
Empfindung verursachte, als beginne der eichene Fußboden unter seineu Füßen
zu wanken.

(Fortsetzung folgt.)






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. Druck von Carl Marquart in Neaomtz-Leipzig.
Die Grafen von Altcnschwerdt.

der Natur und dem Geschick zugleich begünstigt wird, hat eine gefährliche Stel¬
lung. Er ist mit der Aussicht auf den Himmel an den Rand des Abgrunds
der Hölle gestellt. Sein Herz und sein Kopf sind im unversöhnlichen Kampf
mit einander und sein ungestilltes Verlangen muß ihm eine Pein auferlegen,
die kein Ende hat. Sie kennen und lieben gelernt zu haben, ohne Sie besitzen
zu dürfen, wäre ein unerträgliches Loos. So zittere und bange ich vor dein
Ergebnis des heutigen Tages und möchte flehen: Wenn es auch ungünstig aus¬
fallen sollte, bleiben Sie dieselbe, die Sie mir waren!

Dorothea las diesen Brief, las ihn noch einmal, preßte ihn an die Lippen
und drückte ihn auf ihr klopfendes Herz. Sie war in die größte Aufregung
geraten, und ihre Finger waren so unruhig, daß sie kaum imstande war, ihre
Toilette zu beenden, während doch von der Pendüle auf dem Kamin der Schlag
des Hammers in der Hand des kleinen bronzenen Bergknappen ihr verkündigte,
daß die Stunde des Diners gekommen sei. Die Gewißheit über die nahe bevor¬
stehende Entscheidung machte ihre Pulse fliegen und gab ihrem Blick einen fieber¬
haften Glanz. Sie fürchtete, daß jedermann in ihrem Gesichte lesen könne, und
sie wagte es nicht, ihr Zinnner zu verlassen. Erst Millieents Hereinkommen
gab dieser Spannung ihrer Nerven eine kleine Erleichterung. Sie warf sich
ungestüm in die Arme der Freundin und verbarg ihr Gesicht an deren
Schulter.

Der Unvorsichtige! flüsterte sie. Er hat den Grafen von Franeker beauf¬
tragt, um mich zu werben!

Millicent fuhr erschrocken zusammen.

Es ist keine Zeit, darüber zu reden, sagte Dorothea. Es ist nun auch
nicht mehr zu ändern.

Der Graf ist unten, erwiederte Millicent. Wenn du ihm einen Wink gäbest,
so schwiege er wohl.

Dorothea blickte sie lange an, und ein Sturm von Gedanken tobte durch
ihren Kopf.

Nein, sagte sie dann mit einem Blick nach oben, er hat es so gewollt, und
ich mag nicht dem Rade des Schicksals in die Speichen greifen!

Sie drückte beide Hände der Freundin, ergriff ihren Fächer und eilte hinaus.
Millicent sah ihr mit nassen Augen nach und seufzte tief. Sie setzte viel Ver¬
trauen auf die Macht der Liebe, aber sie kannte den Baron Sextus.

Dieser pünktliche Herr hatte soeben zum drittenmal seine alte silberne
doppelhäusige Cylinderuhr hervorgezogen, von der er behauptete, daß sie allen
modernen Chronometern an Zuverlässigkeit überlegen sei, und konnte bei seiner
Tochter Hereintreten eine kleine tadelnde Bemerkung nicht unterdrücken, eine Be¬
merkung, welche den Pfarrer bis über die Ohren erröten machte und ihm eine
Empfindung verursachte, als beginne der eichene Fußboden unter seineu Füßen
zu wanken.

(Fortsetzung folgt.)






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. Druck von Carl Marquart in Neaomtz-Leipzig.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0384" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153133"/>
            <fw type="header" place="top"> Die Grafen von Altcnschwerdt.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1521" prev="#ID_1520"> der Natur und dem Geschick zugleich begünstigt wird, hat eine gefährliche Stel¬<lb/>
lung. Er ist mit der Aussicht auf den Himmel an den Rand des Abgrunds<lb/>
der Hölle gestellt. Sein Herz und sein Kopf sind im unversöhnlichen Kampf<lb/>
mit einander und sein ungestilltes Verlangen muß ihm eine Pein auferlegen,<lb/>
die kein Ende hat. Sie kennen und lieben gelernt zu haben, ohne Sie besitzen<lb/>
zu dürfen, wäre ein unerträgliches Loos. So zittere und bange ich vor dein<lb/>
Ergebnis des heutigen Tages und möchte flehen: Wenn es auch ungünstig aus¬<lb/>
fallen sollte, bleiben Sie dieselbe, die Sie mir waren!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1522"> Dorothea las diesen Brief, las ihn noch einmal, preßte ihn an die Lippen<lb/>
und drückte ihn auf ihr klopfendes Herz. Sie war in die größte Aufregung<lb/>
geraten, und ihre Finger waren so unruhig, daß sie kaum imstande war, ihre<lb/>
Toilette zu beenden, während doch von der Pendüle auf dem Kamin der Schlag<lb/>
des Hammers in der Hand des kleinen bronzenen Bergknappen ihr verkündigte,<lb/>
daß die Stunde des Diners gekommen sei. Die Gewißheit über die nahe bevor¬<lb/>
stehende Entscheidung machte ihre Pulse fliegen und gab ihrem Blick einen fieber¬<lb/>
haften Glanz. Sie fürchtete, daß jedermann in ihrem Gesichte lesen könne, und<lb/>
sie wagte es nicht, ihr Zinnner zu verlassen. Erst Millieents Hereinkommen<lb/>
gab dieser Spannung ihrer Nerven eine kleine Erleichterung. Sie warf sich<lb/>
ungestüm in die Arme der Freundin und verbarg ihr Gesicht an deren<lb/>
Schulter.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1523"> Der Unvorsichtige! flüsterte sie. Er hat den Grafen von Franeker beauf¬<lb/>
tragt, um mich zu werben!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1524"> Millicent fuhr erschrocken zusammen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1525"> Es ist keine Zeit, darüber zu reden, sagte Dorothea. Es ist nun auch<lb/>
nicht mehr zu ändern.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1526"> Der Graf ist unten, erwiederte Millicent. Wenn du ihm einen Wink gäbest,<lb/>
so schwiege er wohl.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1527"> Dorothea blickte sie lange an, und ein Sturm von Gedanken tobte durch<lb/>
ihren Kopf.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1528"> Nein, sagte sie dann mit einem Blick nach oben, er hat es so gewollt, und<lb/>
ich mag nicht dem Rade des Schicksals in die Speichen greifen!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1529"> Sie drückte beide Hände der Freundin, ergriff ihren Fächer und eilte hinaus.<lb/>
Millicent sah ihr mit nassen Augen nach und seufzte tief. Sie setzte viel Ver¬<lb/>
trauen auf die Macht der Liebe, aber sie kannte den Baron Sextus.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1530"> Dieser pünktliche Herr hatte soeben zum drittenmal seine alte silberne<lb/>
doppelhäusige Cylinderuhr hervorgezogen, von der er behauptete, daß sie allen<lb/>
modernen Chronometern an Zuverlässigkeit überlegen sei, und konnte bei seiner<lb/>
Tochter Hereintreten eine kleine tadelnde Bemerkung nicht unterdrücken, eine Be¬<lb/>
merkung, welche den Pfarrer bis über die Ohren erröten machte und ihm eine<lb/>
Empfindung verursachte, als beginne der eichene Fußboden unter seineu Füßen<lb/>
zu wanken.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1531"> (Fortsetzung folgt.)</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <note type="byline"> Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.<lb/>
Verlag von F. L. Herbig in Leipzig.  Druck von Carl Marquart in Neaomtz-Leipzig.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0384] Die Grafen von Altcnschwerdt. der Natur und dem Geschick zugleich begünstigt wird, hat eine gefährliche Stel¬ lung. Er ist mit der Aussicht auf den Himmel an den Rand des Abgrunds der Hölle gestellt. Sein Herz und sein Kopf sind im unversöhnlichen Kampf mit einander und sein ungestilltes Verlangen muß ihm eine Pein auferlegen, die kein Ende hat. Sie kennen und lieben gelernt zu haben, ohne Sie besitzen zu dürfen, wäre ein unerträgliches Loos. So zittere und bange ich vor dein Ergebnis des heutigen Tages und möchte flehen: Wenn es auch ungünstig aus¬ fallen sollte, bleiben Sie dieselbe, die Sie mir waren! Dorothea las diesen Brief, las ihn noch einmal, preßte ihn an die Lippen und drückte ihn auf ihr klopfendes Herz. Sie war in die größte Aufregung geraten, und ihre Finger waren so unruhig, daß sie kaum imstande war, ihre Toilette zu beenden, während doch von der Pendüle auf dem Kamin der Schlag des Hammers in der Hand des kleinen bronzenen Bergknappen ihr verkündigte, daß die Stunde des Diners gekommen sei. Die Gewißheit über die nahe bevor¬ stehende Entscheidung machte ihre Pulse fliegen und gab ihrem Blick einen fieber¬ haften Glanz. Sie fürchtete, daß jedermann in ihrem Gesichte lesen könne, und sie wagte es nicht, ihr Zinnner zu verlassen. Erst Millieents Hereinkommen gab dieser Spannung ihrer Nerven eine kleine Erleichterung. Sie warf sich ungestüm in die Arme der Freundin und verbarg ihr Gesicht an deren Schulter. Der Unvorsichtige! flüsterte sie. Er hat den Grafen von Franeker beauf¬ tragt, um mich zu werben! Millicent fuhr erschrocken zusammen. Es ist keine Zeit, darüber zu reden, sagte Dorothea. Es ist nun auch nicht mehr zu ändern. Der Graf ist unten, erwiederte Millicent. Wenn du ihm einen Wink gäbest, so schwiege er wohl. Dorothea blickte sie lange an, und ein Sturm von Gedanken tobte durch ihren Kopf. Nein, sagte sie dann mit einem Blick nach oben, er hat es so gewollt, und ich mag nicht dem Rade des Schicksals in die Speichen greifen! Sie drückte beide Hände der Freundin, ergriff ihren Fächer und eilte hinaus. Millicent sah ihr mit nassen Augen nach und seufzte tief. Sie setzte viel Ver¬ trauen auf die Macht der Liebe, aber sie kannte den Baron Sextus. Dieser pünktliche Herr hatte soeben zum drittenmal seine alte silberne doppelhäusige Cylinderuhr hervorgezogen, von der er behauptete, daß sie allen modernen Chronometern an Zuverlässigkeit überlegen sei, und konnte bei seiner Tochter Hereintreten eine kleine tadelnde Bemerkung nicht unterdrücken, eine Be¬ merkung, welche den Pfarrer bis über die Ohren erröten machte und ihm eine Empfindung verursachte, als beginne der eichene Fußboden unter seineu Füßen zu wanken. (Fortsetzung folgt.) Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig. Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. Druck von Carl Marquart in Neaomtz-Leipzig.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/384
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/384>, abgerufen am 01.07.2024.