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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Drei Antworten.

freulich. Der Verfasser wendet sich zwar zunächst ans einem eigennützigen Grnnde
gegen das Ausleihen der Bücher: er möchte nicht so oft in die Lage kommen,
sich vergebens auf die Bibliothek bemühen und sich dort den Bescheid holen zu
müssen, daß die von ihm gewünschten Bücher "verliehen" seien. Er hat aber
dabei doch wesentlich auch das Interesse Üer Bibliotheken und damit indirekt
auch wieder das des Publikums, nämlich des Publikums späterer Zeiten, im
Auge, indem er darauf hinweist, in welcher unverhältnismäßigen Weise bei
unserm gegenwärtigen Ausleihesystem die Abnutzung der Bücher beschleunigt wird-

Vielleicht interessirt es die Leser dieser Blätter, nun wirklich die Ansicht
eines Bibliotheksbeamten über die angeregte Frage zu hören. Sollte dieselbe
im wesentlichen bestätigend und zustimmend ausfallen, so wird das hoffentlich
keine Verwunderung erregen.

Zunächst möchte ich mit einer Berichtigung beginnen, einer Berichtigung
freilich, die dem Verfasser nicht unwillkommen sein wird. Er hält das Aus¬
leihen der Bücher für "eine aus deu beschränkten kleinstaatlichcn und klein¬
städtischen Zuständen der Vorzeit herrührende Sitte." Soweit ich die
Geschichte unsrer öffentlichen Bibliotheken kenne, ist dies ein Irrtum. Die
kleiustaatlichen und kleinstädtischen Zustünde der Vorzeit kannte" das allgemeine
Ausleihen der Bücher durchaus nicht; dasselbe ist vielmehr einer der zahlreichen
"Fortschritte," welche der moderne "Liberalismus," oder um den politischen
t<zi'inmuL lieber durch den im Bibliotheksverkehr übliche" zu ersetzen, die moderne
"Liberalität" gebracht hat. Es ist noch gar nicht so lange her, daß unsre
Biblivtheksverwaltungen so "liberal" geworden siud, ihre früher sorgfältig ge¬
hüteten und geschonten Schätze zur allgemeinen Benutzung und Abnutzung hinaus¬
zugehen. Die städtische Bibliothek z. B., die ich zu verwalten die Ehre habe,
wurde in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts durch ein großartiges
Legat eines Bürgers gestiftet, der, ohne direkte Leibeserben aus dem Leben
scheidend, seine für die damalige Zeit äußerst reichhaltige und vielseitige Bücher¬
sammlung und dazu sein ganzes übriges Vermögen der Stadt vermachte. In
seinem Testamente aber hatte er angeordnet, daß sein Vermögen "der studirenden
Stadtjugend allhier innerhalb der Ringmauer zu Nutzen angelegt und ver¬
wendet," und daß für die Bibliothek "ein Bibliothekarius umb ein leidliches
Salarium verordnet" werden möchte, der "der studirenden Stadtjugend auf
Begehren die Bücher vorlegen, jedoch nicht nach Hause folgen lassen" sollte.
Ein paar Jahrzehnte später wurde mit dieser Stiftung die Ratsbibliothek ver¬
einigt und für das Ganze uun ein besondres Gebäude errichtet. Das ganze
achtzehnte Jahrhundert hindurch aber und noch bis in die dreißiger Jahre des
unsrigen herein war es durchaus die Regel, daß die Bücher in der Bibliothek
selbst benutzt wurden. Bibliothekar war stets ein Mitglied des Ratskollegiums;
derjenige Beamte, der heute in selbständiger Stellung die Bibliothek verwaltet,
war damals bloßer "Obscrvator." Wer ausnahmsweise ein Buch in seiner


Drei Antworten.

freulich. Der Verfasser wendet sich zwar zunächst ans einem eigennützigen Grnnde
gegen das Ausleihen der Bücher: er möchte nicht so oft in die Lage kommen,
sich vergebens auf die Bibliothek bemühen und sich dort den Bescheid holen zu
müssen, daß die von ihm gewünschten Bücher „verliehen" seien. Er hat aber
dabei doch wesentlich auch das Interesse Üer Bibliotheken und damit indirekt
auch wieder das des Publikums, nämlich des Publikums späterer Zeiten, im
Auge, indem er darauf hinweist, in welcher unverhältnismäßigen Weise bei
unserm gegenwärtigen Ausleihesystem die Abnutzung der Bücher beschleunigt wird-

Vielleicht interessirt es die Leser dieser Blätter, nun wirklich die Ansicht
eines Bibliotheksbeamten über die angeregte Frage zu hören. Sollte dieselbe
im wesentlichen bestätigend und zustimmend ausfallen, so wird das hoffentlich
keine Verwunderung erregen.

Zunächst möchte ich mit einer Berichtigung beginnen, einer Berichtigung
freilich, die dem Verfasser nicht unwillkommen sein wird. Er hält das Aus¬
leihen der Bücher für „eine aus deu beschränkten kleinstaatlichcn und klein¬
städtischen Zuständen der Vorzeit herrührende Sitte." Soweit ich die
Geschichte unsrer öffentlichen Bibliotheken kenne, ist dies ein Irrtum. Die
kleiustaatlichen und kleinstädtischen Zustünde der Vorzeit kannte« das allgemeine
Ausleihen der Bücher durchaus nicht; dasselbe ist vielmehr einer der zahlreichen
„Fortschritte," welche der moderne „Liberalismus," oder um den politischen
t<zi'inmuL lieber durch den im Bibliotheksverkehr übliche» zu ersetzen, die moderne
„Liberalität" gebracht hat. Es ist noch gar nicht so lange her, daß unsre
Biblivtheksverwaltungen so „liberal" geworden siud, ihre früher sorgfältig ge¬
hüteten und geschonten Schätze zur allgemeinen Benutzung und Abnutzung hinaus¬
zugehen. Die städtische Bibliothek z. B., die ich zu verwalten die Ehre habe,
wurde in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts durch ein großartiges
Legat eines Bürgers gestiftet, der, ohne direkte Leibeserben aus dem Leben
scheidend, seine für die damalige Zeit äußerst reichhaltige und vielseitige Bücher¬
sammlung und dazu sein ganzes übriges Vermögen der Stadt vermachte. In
seinem Testamente aber hatte er angeordnet, daß sein Vermögen „der studirenden
Stadtjugend allhier innerhalb der Ringmauer zu Nutzen angelegt und ver¬
wendet," und daß für die Bibliothek „ein Bibliothekarius umb ein leidliches
Salarium verordnet" werden möchte, der „der studirenden Stadtjugend auf
Begehren die Bücher vorlegen, jedoch nicht nach Hause folgen lassen" sollte.
Ein paar Jahrzehnte später wurde mit dieser Stiftung die Ratsbibliothek ver¬
einigt und für das Ganze uun ein besondres Gebäude errichtet. Das ganze
achtzehnte Jahrhundert hindurch aber und noch bis in die dreißiger Jahre des
unsrigen herein war es durchaus die Regel, daß die Bücher in der Bibliothek
selbst benutzt wurden. Bibliothekar war stets ein Mitglied des Ratskollegiums;
derjenige Beamte, der heute in selbständiger Stellung die Bibliothek verwaltet,
war damals bloßer „Obscrvator." Wer ausnahmsweise ein Buch in seiner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/358>, abgerufen am 01.07.2024.