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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Der Staatsrat.

nicht bloß noch andre Beamte und Prälaten, wie wir heute sagen würden, "aus
allerhöchstem Vertrauen" berief, sondern auch Abgeordnete der Grafschaften
(eommunitatvs, oomiucms) zuzog. Aus diesem großen Rat entwickelte sich das
Parlament, so jedoch, daß der Staatsregierung des Königs in diesem (rsx in
xarliaivkiito) immer noch der König im Staatsrat (rsx in oonoilio, KiuA in
vouuoil) zur Seite blieb. In dieser Wechselwirkung, zunächst ohne jede feste
Abgrenzung beider Körperschaften, wurden die Regierungsgeschäfte des großen
Jnselreiches Jahrhunderte lang geleitet und die Grundlage für Gesetzgebung und
Verwaltung des heutigen Englands gelegt. Die Kämpfe der Barone und übrigen
Stände um die Freiheiten der mag'na, ouarta, die dynastischen Thronstreitigkeiten
und Bürgerkriege ließen das Übergewicht in der gesamten Staatsleitung bald
in die eine, bald in die andre Körperschaft fallen und die Übermacht des Adels,
wie sie sich namentlich in der Ausbildung des Oberhauses zeigte, drängte in
jener unruhigen Zeit den Kilt^ in oouuvil immermehr zurück. Erst als mit
Heinrich VII. die Macht der Lords gebrochen war, tritt das xriv^ eounoil
als oberster Staatskörper wieder mehr hervor; er wird wieder der Mittelpunkt
der Staatsregierung, zu welcher allein der Wille des Königs berief tMe pill
ok tue KivA is tue fois ooustitusut ok s. priv^ oouuoillor). Unter diesem König
war aber gleichzeitig die frühere königliche im Laufe der Zeit verloren gegangene
Gerichtsbarkeit erneuert und für gewisse schwere Staatsverbrechen dem Staatsrat
in einer bestimmten Abteilung desselben übertragen worden, die unter den Stuarts
als "Sternkammer" ein berüchtigtes Andenken zurückgelassen hat. Unter den
Tudors dagegen hat der Staatsrat in würdiger und fester Weise die Geschäfte
des Reichs geleitet, und seinen politischen Höhepunkt hat er unter der Regierung
der Königin Elisabeth erreicht. "Für die innere Landesverwaltung, sagt der
größte Kenner der englischen Verfassungsgeschichte auf dem Kontinent,*) ist es
die Normalzeit des King- in oouuoil und weiser Gesetze. An vielen dieser
Gesetze, deren intellektuelle Urheberschaft in den Staatsmännern Elisabeths lag,
haben zweihundert Jahre späterer Gesetzgebung nichts zu bessern gewußt." Das
Wesen des xriv/ oouiuzil lag in der kollegialen Behandlung der Staatsgeschäfte
durch eine Reihe höchster, in allen Verwaltungsangelegenheiten erfahrener Staats¬
männer, welche dem Treiben des Parlaments fern standen. Sie waren eine
mächtige Stütze des Königtums und wegen ihrer Erprobtheit und ihrer Stellung
auch eine Garantie der Volksrechte, deren Entscheidung im Streitfalle ihnen
oblag. Von einem sogenannten Ministerium im heutigen Sinne oder von allein
herrschenden Departementchefs war keine Rede. Erst unter den Stuarts trat
eine Entartung und eine Beseitigung ein, eine Entartung, insofern die Stern¬
kammer zu einem Ausnahmegerichtshof wurde, welche nicht mehr nach Gesetz



*) Gneist in seinem neuesten Werke "Englische Verfassungsgeschichte," 1882, ߧ 31, 32,
37, 48. Vgl. auch seine "Geschichte und heutige Gestalt der Englischen Kommunalverfassung."
Der Staatsrat.

nicht bloß noch andre Beamte und Prälaten, wie wir heute sagen würden, „aus
allerhöchstem Vertrauen" berief, sondern auch Abgeordnete der Grafschaften
(eommunitatvs, oomiucms) zuzog. Aus diesem großen Rat entwickelte sich das
Parlament, so jedoch, daß der Staatsregierung des Königs in diesem (rsx in
xarliaivkiito) immer noch der König im Staatsrat (rsx in oonoilio, KiuA in
vouuoil) zur Seite blieb. In dieser Wechselwirkung, zunächst ohne jede feste
Abgrenzung beider Körperschaften, wurden die Regierungsgeschäfte des großen
Jnselreiches Jahrhunderte lang geleitet und die Grundlage für Gesetzgebung und
Verwaltung des heutigen Englands gelegt. Die Kämpfe der Barone und übrigen
Stände um die Freiheiten der mag'na, ouarta, die dynastischen Thronstreitigkeiten
und Bürgerkriege ließen das Übergewicht in der gesamten Staatsleitung bald
in die eine, bald in die andre Körperschaft fallen und die Übermacht des Adels,
wie sie sich namentlich in der Ausbildung des Oberhauses zeigte, drängte in
jener unruhigen Zeit den Kilt^ in oouuvil immermehr zurück. Erst als mit
Heinrich VII. die Macht der Lords gebrochen war, tritt das xriv^ eounoil
als oberster Staatskörper wieder mehr hervor; er wird wieder der Mittelpunkt
der Staatsregierung, zu welcher allein der Wille des Königs berief tMe pill
ok tue KivA is tue fois ooustitusut ok s. priv^ oouuoillor). Unter diesem König
war aber gleichzeitig die frühere königliche im Laufe der Zeit verloren gegangene
Gerichtsbarkeit erneuert und für gewisse schwere Staatsverbrechen dem Staatsrat
in einer bestimmten Abteilung desselben übertragen worden, die unter den Stuarts
als „Sternkammer" ein berüchtigtes Andenken zurückgelassen hat. Unter den
Tudors dagegen hat der Staatsrat in würdiger und fester Weise die Geschäfte
des Reichs geleitet, und seinen politischen Höhepunkt hat er unter der Regierung
der Königin Elisabeth erreicht. „Für die innere Landesverwaltung, sagt der
größte Kenner der englischen Verfassungsgeschichte auf dem Kontinent,*) ist es
die Normalzeit des King- in oouuoil und weiser Gesetze. An vielen dieser
Gesetze, deren intellektuelle Urheberschaft in den Staatsmännern Elisabeths lag,
haben zweihundert Jahre späterer Gesetzgebung nichts zu bessern gewußt." Das
Wesen des xriv/ oouiuzil lag in der kollegialen Behandlung der Staatsgeschäfte
durch eine Reihe höchster, in allen Verwaltungsangelegenheiten erfahrener Staats¬
männer, welche dem Treiben des Parlaments fern standen. Sie waren eine
mächtige Stütze des Königtums und wegen ihrer Erprobtheit und ihrer Stellung
auch eine Garantie der Volksrechte, deren Entscheidung im Streitfalle ihnen
oblag. Von einem sogenannten Ministerium im heutigen Sinne oder von allein
herrschenden Departementchefs war keine Rede. Erst unter den Stuarts trat
eine Entartung und eine Beseitigung ein, eine Entartung, insofern die Stern¬
kammer zu einem Ausnahmegerichtshof wurde, welche nicht mehr nach Gesetz



*) Gneist in seinem neuesten Werke „Englische Verfassungsgeschichte," 1882, ߧ 31, 32,
37, 48. Vgl. auch seine „Geschichte und heutige Gestalt der Englischen Kommunalverfassung."
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[0331] Der Staatsrat. nicht bloß noch andre Beamte und Prälaten, wie wir heute sagen würden, „aus allerhöchstem Vertrauen" berief, sondern auch Abgeordnete der Grafschaften (eommunitatvs, oomiucms) zuzog. Aus diesem großen Rat entwickelte sich das Parlament, so jedoch, daß der Staatsregierung des Königs in diesem (rsx in xarliaivkiito) immer noch der König im Staatsrat (rsx in oonoilio, KiuA in vouuoil) zur Seite blieb. In dieser Wechselwirkung, zunächst ohne jede feste Abgrenzung beider Körperschaften, wurden die Regierungsgeschäfte des großen Jnselreiches Jahrhunderte lang geleitet und die Grundlage für Gesetzgebung und Verwaltung des heutigen Englands gelegt. Die Kämpfe der Barone und übrigen Stände um die Freiheiten der mag'na, ouarta, die dynastischen Thronstreitigkeiten und Bürgerkriege ließen das Übergewicht in der gesamten Staatsleitung bald in die eine, bald in die andre Körperschaft fallen und die Übermacht des Adels, wie sie sich namentlich in der Ausbildung des Oberhauses zeigte, drängte in jener unruhigen Zeit den Kilt^ in oouuvil immermehr zurück. Erst als mit Heinrich VII. die Macht der Lords gebrochen war, tritt das xriv^ eounoil als oberster Staatskörper wieder mehr hervor; er wird wieder der Mittelpunkt der Staatsregierung, zu welcher allein der Wille des Königs berief tMe pill ok tue KivA is tue fois ooustitusut ok s. priv^ oouuoillor). Unter diesem König war aber gleichzeitig die frühere königliche im Laufe der Zeit verloren gegangene Gerichtsbarkeit erneuert und für gewisse schwere Staatsverbrechen dem Staatsrat in einer bestimmten Abteilung desselben übertragen worden, die unter den Stuarts als „Sternkammer" ein berüchtigtes Andenken zurückgelassen hat. Unter den Tudors dagegen hat der Staatsrat in würdiger und fester Weise die Geschäfte des Reichs geleitet, und seinen politischen Höhepunkt hat er unter der Regierung der Königin Elisabeth erreicht. „Für die innere Landesverwaltung, sagt der größte Kenner der englischen Verfassungsgeschichte auf dem Kontinent,*) ist es die Normalzeit des King- in oouuoil und weiser Gesetze. An vielen dieser Gesetze, deren intellektuelle Urheberschaft in den Staatsmännern Elisabeths lag, haben zweihundert Jahre späterer Gesetzgebung nichts zu bessern gewußt." Das Wesen des xriv/ oouiuzil lag in der kollegialen Behandlung der Staatsgeschäfte durch eine Reihe höchster, in allen Verwaltungsangelegenheiten erfahrener Staats¬ männer, welche dem Treiben des Parlaments fern standen. Sie waren eine mächtige Stütze des Königtums und wegen ihrer Erprobtheit und ihrer Stellung auch eine Garantie der Volksrechte, deren Entscheidung im Streitfalle ihnen oblag. Von einem sogenannten Ministerium im heutigen Sinne oder von allein herrschenden Departementchefs war keine Rede. Erst unter den Stuarts trat eine Entartung und eine Beseitigung ein, eine Entartung, insofern die Stern¬ kammer zu einem Ausnahmegerichtshof wurde, welche nicht mehr nach Gesetz *) Gneist in seinem neuesten Werke „Englische Verfassungsgeschichte," 1882, ߧ 31, 32, 37, 48. Vgl. auch seine „Geschichte und heutige Gestalt der Englischen Kommunalverfassung."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/331>, abgerufen am 22.07.2024.