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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Das Problem des Lebens.

Plasma schon für einen Organismus von komplizirtesten Gefüge halten müsse,
folgendermaßen: "Eine Konsequenz dieser Anschauung, auf welche ich in der
Abhandlung nicht einzugehen beabsichtige, mag an dieser Stelle mit wenigen
Worten angedeutet werden. Ich habe durch Versuche die Überzeugung ge¬
wonnen, daß ein im Mörser fein zerriebenes Plasmodium ebensowenig Proto¬
plasma ist, wie eine zu feinem Pulver zerriebene Taschenuhr noch eine Taschenuhr
sein würde. Beides find Haufwerke verschiedner Substanzen, in genau be¬
stimmten Mengenverhältnissen mit einander gemischt, aber ebensowenig wie die
rein physikalischen und chemischen wirkenden Kräfte imstande sind, aus dem Ge¬
menge von Messing, Stahl, Gold u. s. w. eine Taschenuhr zu bilden, ebenso¬
wenig werden sie aus dem zerriebenen Plasmodium ohne Mitwirkung eines
andern Organismus wieder Protoplasma erzeugen können." Daß in jedem
Organismus physikalische und chemische Kräfte wirken, davon ist dieser Forscher
wie alle andern überzeugt, aber wie wir in unsrer Darlegung mehrfach betont
haben, das Protoplasma ist darum uoch keine Maschine, es steht sogar höher
als die Taschenuhr. Sein Wesen ist, Beweger und Bewegtes zu gleicher Zeit
zu sein. Man hat mit andern Worten das Problem des Lebens nur eine
Etappe tiefer gestellt. Mensch oder Protoplasma, in den Grundbedingungen
sind die physiologischen Vorgänge dieselben. Das Rätsel ist nicht gelöst, es ist
nur auf einen andern, kleinern Kreis übertragen.

Und hierin haben wir ein Resultat unsrer Erörterung zu sehen. Es er¬
giebt sich aber uoch ein zweites, welches an Bedeutung dieses erste noch weit
übertrifft und in welchem unsre Darlegungen mit dem Ausspruch Reinkes voll¬
ständig übereinstimmen. Die mechanisch-dynamische Auffassung ist nicht
ausreichend selbst zur Erklärung der einfachsten Lebenserscheinungen.
Sie sucht überall physikalische und chemische Kräfte, aber sie kann sich nicht ver¬
hehlen, daß diese selbst wiederum im Dienste eines andern Gesetzes stehen, welches
in der rein anantitativen Betrachtungsart sich nicht fixiren läßt. Geben wir auch
zu -- was, wie wir konstatirt haben, noch nicht ausgemacht ist --, daß das
Protoplasma auf mechanischem Wege entstanden sei, so ist doch seine Natur,
sein Entstehen und Wachsen durch einen Organisationsplan bedingt, der sich
nicht beurteilen läßt unter dem Gesichtspunkte des Woher, sondern des Wozu.
Der teleologischen Auffassung bleibt ihr Recht unbenommen; es ist lauge
her, daß Schopenhauer den Begriff des Zwecks gegen die materialistische Natur¬
anschauung verteidigte, und darum wohl angebracht, an ihn zu erinnern. Wir
werden eine Auffcisfungsart nie verleugnen können, welche Grundeigentum unsrer
Vernunft ist. Verlegen wir auch die Etappen so tief, wie wir wollen, ziehen
wir die Kreise immer enger und enger und gehen wir von den Atomen in die
Atomteilchen, wir kommen darüber nicht hinaus, daß die Teilchen, welche den
Primitivsten Ursprung des Lebens bilden, die Grundelemente eines Planes sind,
nach dem sich jedes weitere Leben aufbaut. Die mechanische Naturbetrachtung,


Gvmzbvwl II. 1888.
Das Problem des Lebens.

Plasma schon für einen Organismus von komplizirtesten Gefüge halten müsse,
folgendermaßen: „Eine Konsequenz dieser Anschauung, auf welche ich in der
Abhandlung nicht einzugehen beabsichtige, mag an dieser Stelle mit wenigen
Worten angedeutet werden. Ich habe durch Versuche die Überzeugung ge¬
wonnen, daß ein im Mörser fein zerriebenes Plasmodium ebensowenig Proto¬
plasma ist, wie eine zu feinem Pulver zerriebene Taschenuhr noch eine Taschenuhr
sein würde. Beides find Haufwerke verschiedner Substanzen, in genau be¬
stimmten Mengenverhältnissen mit einander gemischt, aber ebensowenig wie die
rein physikalischen und chemischen wirkenden Kräfte imstande sind, aus dem Ge¬
menge von Messing, Stahl, Gold u. s. w. eine Taschenuhr zu bilden, ebenso¬
wenig werden sie aus dem zerriebenen Plasmodium ohne Mitwirkung eines
andern Organismus wieder Protoplasma erzeugen können." Daß in jedem
Organismus physikalische und chemische Kräfte wirken, davon ist dieser Forscher
wie alle andern überzeugt, aber wie wir in unsrer Darlegung mehrfach betont
haben, das Protoplasma ist darum uoch keine Maschine, es steht sogar höher
als die Taschenuhr. Sein Wesen ist, Beweger und Bewegtes zu gleicher Zeit
zu sein. Man hat mit andern Worten das Problem des Lebens nur eine
Etappe tiefer gestellt. Mensch oder Protoplasma, in den Grundbedingungen
sind die physiologischen Vorgänge dieselben. Das Rätsel ist nicht gelöst, es ist
nur auf einen andern, kleinern Kreis übertragen.

Und hierin haben wir ein Resultat unsrer Erörterung zu sehen. Es er¬
giebt sich aber uoch ein zweites, welches an Bedeutung dieses erste noch weit
übertrifft und in welchem unsre Darlegungen mit dem Ausspruch Reinkes voll¬
ständig übereinstimmen. Die mechanisch-dynamische Auffassung ist nicht
ausreichend selbst zur Erklärung der einfachsten Lebenserscheinungen.
Sie sucht überall physikalische und chemische Kräfte, aber sie kann sich nicht ver¬
hehlen, daß diese selbst wiederum im Dienste eines andern Gesetzes stehen, welches
in der rein anantitativen Betrachtungsart sich nicht fixiren läßt. Geben wir auch
zu — was, wie wir konstatirt haben, noch nicht ausgemacht ist —, daß das
Protoplasma auf mechanischem Wege entstanden sei, so ist doch seine Natur,
sein Entstehen und Wachsen durch einen Organisationsplan bedingt, der sich
nicht beurteilen läßt unter dem Gesichtspunkte des Woher, sondern des Wozu.
Der teleologischen Auffassung bleibt ihr Recht unbenommen; es ist lauge
her, daß Schopenhauer den Begriff des Zwecks gegen die materialistische Natur¬
anschauung verteidigte, und darum wohl angebracht, an ihn zu erinnern. Wir
werden eine Auffcisfungsart nie verleugnen können, welche Grundeigentum unsrer
Vernunft ist. Verlegen wir auch die Etappen so tief, wie wir wollen, ziehen
wir die Kreise immer enger und enger und gehen wir von den Atomen in die
Atomteilchen, wir kommen darüber nicht hinaus, daß die Teilchen, welche den
Primitivsten Ursprung des Lebens bilden, die Grundelemente eines Planes sind,
nach dem sich jedes weitere Leben aufbaut. Die mechanische Naturbetrachtung,


Gvmzbvwl II. 1888.
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[0297] Das Problem des Lebens. Plasma schon für einen Organismus von komplizirtesten Gefüge halten müsse, folgendermaßen: „Eine Konsequenz dieser Anschauung, auf welche ich in der Abhandlung nicht einzugehen beabsichtige, mag an dieser Stelle mit wenigen Worten angedeutet werden. Ich habe durch Versuche die Überzeugung ge¬ wonnen, daß ein im Mörser fein zerriebenes Plasmodium ebensowenig Proto¬ plasma ist, wie eine zu feinem Pulver zerriebene Taschenuhr noch eine Taschenuhr sein würde. Beides find Haufwerke verschiedner Substanzen, in genau be¬ stimmten Mengenverhältnissen mit einander gemischt, aber ebensowenig wie die rein physikalischen und chemischen wirkenden Kräfte imstande sind, aus dem Ge¬ menge von Messing, Stahl, Gold u. s. w. eine Taschenuhr zu bilden, ebenso¬ wenig werden sie aus dem zerriebenen Plasmodium ohne Mitwirkung eines andern Organismus wieder Protoplasma erzeugen können." Daß in jedem Organismus physikalische und chemische Kräfte wirken, davon ist dieser Forscher wie alle andern überzeugt, aber wie wir in unsrer Darlegung mehrfach betont haben, das Protoplasma ist darum uoch keine Maschine, es steht sogar höher als die Taschenuhr. Sein Wesen ist, Beweger und Bewegtes zu gleicher Zeit zu sein. Man hat mit andern Worten das Problem des Lebens nur eine Etappe tiefer gestellt. Mensch oder Protoplasma, in den Grundbedingungen sind die physiologischen Vorgänge dieselben. Das Rätsel ist nicht gelöst, es ist nur auf einen andern, kleinern Kreis übertragen. Und hierin haben wir ein Resultat unsrer Erörterung zu sehen. Es er¬ giebt sich aber uoch ein zweites, welches an Bedeutung dieses erste noch weit übertrifft und in welchem unsre Darlegungen mit dem Ausspruch Reinkes voll¬ ständig übereinstimmen. Die mechanisch-dynamische Auffassung ist nicht ausreichend selbst zur Erklärung der einfachsten Lebenserscheinungen. Sie sucht überall physikalische und chemische Kräfte, aber sie kann sich nicht ver¬ hehlen, daß diese selbst wiederum im Dienste eines andern Gesetzes stehen, welches in der rein anantitativen Betrachtungsart sich nicht fixiren läßt. Geben wir auch zu — was, wie wir konstatirt haben, noch nicht ausgemacht ist —, daß das Protoplasma auf mechanischem Wege entstanden sei, so ist doch seine Natur, sein Entstehen und Wachsen durch einen Organisationsplan bedingt, der sich nicht beurteilen läßt unter dem Gesichtspunkte des Woher, sondern des Wozu. Der teleologischen Auffassung bleibt ihr Recht unbenommen; es ist lauge her, daß Schopenhauer den Begriff des Zwecks gegen die materialistische Natur¬ anschauung verteidigte, und darum wohl angebracht, an ihn zu erinnern. Wir werden eine Auffcisfungsart nie verleugnen können, welche Grundeigentum unsrer Vernunft ist. Verlegen wir auch die Etappen so tief, wie wir wollen, ziehen wir die Kreise immer enger und enger und gehen wir von den Atomen in die Atomteilchen, wir kommen darüber nicht hinaus, daß die Teilchen, welche den Primitivsten Ursprung des Lebens bilden, die Grundelemente eines Planes sind, nach dem sich jedes weitere Leben aufbaut. Die mechanische Naturbetrachtung, Gvmzbvwl II. 1888.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/297>, abgerufen am 28.09.2024.