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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Ein Beispiel nltramontaner Propaganda.

Der Fürst machte alsbald hiervon der obervormundschaftlichen Behörde,
dem Obergerichte zu Fulda, Anzeige. Er sprach die Überzeugung ans, daß
dieser wichtige, für die Interessen der Standesherrschaft so verhängnisvolle
Schritt des jungen, geistig noch wenig entwickelten Prinzen nur durch äußere
Einflüsse bestimmt sein könne, und brachte dafür verschiedne Belege bei. Das
Obergericht erließ sofort eine provisorische Verfügung, durch welche es den
Fürsten als Hauptvormund ermächtigte, den Prinzen zu sich zu nehmen, die
Mutter aber für verpflichtet erklärte, den Prinzen an ihn abzugeben. Gegen
diesen Beschluß kämpfte die Prinzessin mit allen Mitteln an. Sie nahm zunächst
auf Grund einer kurhessischen Verordnung von 1853 das Recht in Anspruch,
den Prinzen, nachdem er das vierzehnte Lebensjahr überschritte", nach ihrem
freien Ermessen katholisch zu erziehen. Das Obergericht wies diesen Anspruch
zurück. Es erklärte es für eine Pflicht des Fürsten als Hauptvormnndes, dafür zu
sorgen, daß nicht durch unberechtigte äußere Einflüsse der Prinz zum Aufgeben
seiner angestammten Konfession veranlaßt werde. Daß aber solche unberechtigte
Einflüsse in dem Hanse der Mutter geübt würden, hielt das Gericht für un¬
zweifelhaft dargethan. Eine gegen diese Entscheidung erhobene Beschwerde hatte
nur die Billigung derselben durch das Oberappellationsgericht zur Folge.

Die Prinzessin suchte sich nun thatsächlich der Entscheidung des Ober¬
gerichts zu entziehen. Sie entfloh mit ihrem Sohne nach Heilbach, ihrem in
Baiern gelegenen väterlichen Schlosse, und verweigerte dort die Herausgabe
des Knaben. Erst nachdem in schneller Folge Geldstrafen im Betrage von 100,
500 und 1000 Thalern gegen sie ausgesprochen waren, nachdem sie vergeblich
die darmstädtische Regierung um Schutz gegen die Verfolgung der kurhessischen
Gerichte angerufen hatte, und nachdem endlich auch auf kurhessisches Ersuchen
das königl. bairische Appellationsgericht zu Aschaffenburg ihr die Ablieferung
des Prinzen bei Meldung gerichtlichen Zwanges aufgegeben hatte, entschloß sie
sich, dem Befehle Folge zu geben. Demgemäß wurde der Prinz im November 1853
dem Fürsten zugeführt und fand mit seinem Erzieher im Schlosse zu Birstein
Aufnahme.

Zugleich wurde die Sache für die definitive Entscheidung weiter verfolgt.
Der Fürst stellte beim Gericht den Antrag, seine Schwägerin wegen Verletzung
ihrer vormundschaftlichen Pflichten ihrer Mitvormundschaft zu entheben. Er
machte geltend, daß der beabsichtigte, lange vorbereitete Schritt des Prinzen die
Folge von Einwirkungen sei, welche die Mutter teils begünstigt, teils selbst
geübt und dabei streng verheimlicht habe. Aufangs seien solche Einwirkungen
geübt worden seitens einer für die Töchter angenommenen Gouvernante und eines
fremden Hofmeisters. Dann habe die Prinzessin selbst bei verschlossenen Thüren
ihrem Sohne Unterricht in der katholischen Religion gegeben. Dem evangelischen
Erzieher desselben, Leutnant v. K., habe sie das Ehrenwort abgenommen,
nichts von den, beabsichtigten Übertritt des Prinzen zu sagen. Die veränderte


Ein Beispiel nltramontaner Propaganda.

Der Fürst machte alsbald hiervon der obervormundschaftlichen Behörde,
dem Obergerichte zu Fulda, Anzeige. Er sprach die Überzeugung ans, daß
dieser wichtige, für die Interessen der Standesherrschaft so verhängnisvolle
Schritt des jungen, geistig noch wenig entwickelten Prinzen nur durch äußere
Einflüsse bestimmt sein könne, und brachte dafür verschiedne Belege bei. Das
Obergericht erließ sofort eine provisorische Verfügung, durch welche es den
Fürsten als Hauptvormund ermächtigte, den Prinzen zu sich zu nehmen, die
Mutter aber für verpflichtet erklärte, den Prinzen an ihn abzugeben. Gegen
diesen Beschluß kämpfte die Prinzessin mit allen Mitteln an. Sie nahm zunächst
auf Grund einer kurhessischen Verordnung von 1853 das Recht in Anspruch,
den Prinzen, nachdem er das vierzehnte Lebensjahr überschritte», nach ihrem
freien Ermessen katholisch zu erziehen. Das Obergericht wies diesen Anspruch
zurück. Es erklärte es für eine Pflicht des Fürsten als Hauptvormnndes, dafür zu
sorgen, daß nicht durch unberechtigte äußere Einflüsse der Prinz zum Aufgeben
seiner angestammten Konfession veranlaßt werde. Daß aber solche unberechtigte
Einflüsse in dem Hanse der Mutter geübt würden, hielt das Gericht für un¬
zweifelhaft dargethan. Eine gegen diese Entscheidung erhobene Beschwerde hatte
nur die Billigung derselben durch das Oberappellationsgericht zur Folge.

Die Prinzessin suchte sich nun thatsächlich der Entscheidung des Ober¬
gerichts zu entziehen. Sie entfloh mit ihrem Sohne nach Heilbach, ihrem in
Baiern gelegenen väterlichen Schlosse, und verweigerte dort die Herausgabe
des Knaben. Erst nachdem in schneller Folge Geldstrafen im Betrage von 100,
500 und 1000 Thalern gegen sie ausgesprochen waren, nachdem sie vergeblich
die darmstädtische Regierung um Schutz gegen die Verfolgung der kurhessischen
Gerichte angerufen hatte, und nachdem endlich auch auf kurhessisches Ersuchen
das königl. bairische Appellationsgericht zu Aschaffenburg ihr die Ablieferung
des Prinzen bei Meldung gerichtlichen Zwanges aufgegeben hatte, entschloß sie
sich, dem Befehle Folge zu geben. Demgemäß wurde der Prinz im November 1853
dem Fürsten zugeführt und fand mit seinem Erzieher im Schlosse zu Birstein
Aufnahme.

Zugleich wurde die Sache für die definitive Entscheidung weiter verfolgt.
Der Fürst stellte beim Gericht den Antrag, seine Schwägerin wegen Verletzung
ihrer vormundschaftlichen Pflichten ihrer Mitvormundschaft zu entheben. Er
machte geltend, daß der beabsichtigte, lange vorbereitete Schritt des Prinzen die
Folge von Einwirkungen sei, welche die Mutter teils begünstigt, teils selbst
geübt und dabei streng verheimlicht habe. Aufangs seien solche Einwirkungen
geübt worden seitens einer für die Töchter angenommenen Gouvernante und eines
fremden Hofmeisters. Dann habe die Prinzessin selbst bei verschlossenen Thüren
ihrem Sohne Unterricht in der katholischen Religion gegeben. Dem evangelischen
Erzieher desselben, Leutnant v. K., habe sie das Ehrenwort abgenommen,
nichts von den, beabsichtigten Übertritt des Prinzen zu sagen. Die veränderte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/287>, abgerufen am 01.07.2024.