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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Literatur.

Äußerungen einer einheitlichen und zwar durchaus idealen Welt-, Lebens- und
Kunstanschciuuug darstellen.

Daß man 486 Sinngedichte nicht hinter einander weglesen darf, wenn nicht
die Fähigkeit der Auffassung und des Genusses sich abstumpfe" und das Urteil un-
gerecht werden soll, ist selbstverständlich. Als Göckingk 1778 eine Auswahl aus
seinen vorher zerstreut erschienenen Sinngedichten zu einem Büchlein zusammen¬
stellte, schrieb er im "Vorbericht":


Lies Lessings oder Kastners Epigrammen
Der Reihe nach mit einem mal,
Dann wirst du sie zur Halse' als schmal
Geradeweg verdammen;
Lies täglich zwei, so lobst du sie zusammen.

Die Beachtung dieser Regel dürfen sich auch die vorliegenden Spruchgedichte aus-
bitten.

Folgende kleine Auswahl gehört zu denen, die uns am besten gefallen haben;
das letzte mit seiner schalkhaften Frage am Schluß ist ganz Logauisch.


So wird es immer bleiben: Wir kennen
Zwar unsre Klassiker Mann für Manu;
Hätt' aber die Menge sie zu ernennen,
Ganz andere ständen ihr oben an.

Zu viel der Bücher in der WeltI So hört' ich klagen dort und hie --
Von zu viel Hemden hört' ich nie.

Seh' ich die wimmelnde Menge von unerzogenen Eltern,
Frag' ich nnr staunend: Wie kommt's, daß noch die Jungen so brav?

Je mehr in einer Wissenschaft
Dn ein dich gräbst mit Fleiß und Strenge,
Je mehr erfährst du: Fabelhaft
Ist doch die Ignoranz der Menge.

Und wenn wir noch so viel gethan
Des Guten in vergangnen Zeiten --
Die junge Welt sieht kaum es an;
Sie will, wir sollen fürderschreiten.

Wie viele sind in dem Wahne verblieben,
Die Alten hätten nichts weiter getrieben,
AIs Schlachten geschlagen und Bücher geschrieben.

"Nur die Wissenschaft gepflegt,
Ethik ist nichts nütze"
Heißt: Nur in den Ast gesägt,
Der euch dient zum Sitze!

Ihm schwoll, dem Fischblut gegenüber, frank
Im heil'geu Zorn die Zorncsader;
Da sprachen Sie: Wozu der Hader?
Seht ihr denn nicht? Er ist nervös, ist krank!

Es fängt mit jedem Menschenkind
Der inn'rc Kampf von vorne an;
Des frömmsten Pfarrers Söhnlein ringt
Mit Ormuzd und mit Ahriman.

Wer Gutes that, dem ist darum so wohl zu Mut:
Er that zu einer Frist, was Gott zu allen thut.

Ich geb' es, lieber Leser, zu:
Bisweilen wiederhol' ich mich. Und du?



Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Raudnitz-Leipzig.
Literatur.

Äußerungen einer einheitlichen und zwar durchaus idealen Welt-, Lebens- und
Kunstanschciuuug darstellen.

Daß man 486 Sinngedichte nicht hinter einander weglesen darf, wenn nicht
die Fähigkeit der Auffassung und des Genusses sich abstumpfe» und das Urteil un-
gerecht werden soll, ist selbstverständlich. Als Göckingk 1778 eine Auswahl aus
seinen vorher zerstreut erschienenen Sinngedichten zu einem Büchlein zusammen¬
stellte, schrieb er im „Vorbericht":


Lies Lessings oder Kastners Epigrammen
Der Reihe nach mit einem mal,
Dann wirst du sie zur Halse' als schmal
Geradeweg verdammen;
Lies täglich zwei, so lobst du sie zusammen.

Die Beachtung dieser Regel dürfen sich auch die vorliegenden Spruchgedichte aus-
bitten.

Folgende kleine Auswahl gehört zu denen, die uns am besten gefallen haben;
das letzte mit seiner schalkhaften Frage am Schluß ist ganz Logauisch.


So wird es immer bleiben: Wir kennen
Zwar unsre Klassiker Mann für Manu;
Hätt' aber die Menge sie zu ernennen,
Ganz andere ständen ihr oben an.

Zu viel der Bücher in der WeltI So hört' ich klagen dort und hie —
Von zu viel Hemden hört' ich nie.

Seh' ich die wimmelnde Menge von unerzogenen Eltern,
Frag' ich nnr staunend: Wie kommt's, daß noch die Jungen so brav?

Je mehr in einer Wissenschaft
Dn ein dich gräbst mit Fleiß und Strenge,
Je mehr erfährst du: Fabelhaft
Ist doch die Ignoranz der Menge.

Und wenn wir noch so viel gethan
Des Guten in vergangnen Zeiten —
Die junge Welt sieht kaum es an;
Sie will, wir sollen fürderschreiten.

Wie viele sind in dem Wahne verblieben,
Die Alten hätten nichts weiter getrieben,
AIs Schlachten geschlagen und Bücher geschrieben.

„Nur die Wissenschaft gepflegt,
Ethik ist nichts nütze"
Heißt: Nur in den Ast gesägt,
Der euch dient zum Sitze!

Ihm schwoll, dem Fischblut gegenüber, frank
Im heil'geu Zorn die Zorncsader;
Da sprachen Sie: Wozu der Hader?
Seht ihr denn nicht? Er ist nervös, ist krank!

Es fängt mit jedem Menschenkind
Der inn'rc Kampf von vorne an;
Des frömmsten Pfarrers Söhnlein ringt
Mit Ormuzd und mit Ahriman.

Wer Gutes that, dem ist darum so wohl zu Mut:
Er that zu einer Frist, was Gott zu allen thut.

Ich geb' es, lieber Leser, zu:
Bisweilen wiederhol' ich mich. Und du?



Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Raudnitz-Leipzig.
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[0280] Literatur. Äußerungen einer einheitlichen und zwar durchaus idealen Welt-, Lebens- und Kunstanschciuuug darstellen. Daß man 486 Sinngedichte nicht hinter einander weglesen darf, wenn nicht die Fähigkeit der Auffassung und des Genusses sich abstumpfe» und das Urteil un- gerecht werden soll, ist selbstverständlich. Als Göckingk 1778 eine Auswahl aus seinen vorher zerstreut erschienenen Sinngedichten zu einem Büchlein zusammen¬ stellte, schrieb er im „Vorbericht": Lies Lessings oder Kastners Epigrammen Der Reihe nach mit einem mal, Dann wirst du sie zur Halse' als schmal Geradeweg verdammen; Lies täglich zwei, so lobst du sie zusammen. Die Beachtung dieser Regel dürfen sich auch die vorliegenden Spruchgedichte aus- bitten. Folgende kleine Auswahl gehört zu denen, die uns am besten gefallen haben; das letzte mit seiner schalkhaften Frage am Schluß ist ganz Logauisch. So wird es immer bleiben: Wir kennen Zwar unsre Klassiker Mann für Manu; Hätt' aber die Menge sie zu ernennen, Ganz andere ständen ihr oben an. Zu viel der Bücher in der WeltI So hört' ich klagen dort und hie — Von zu viel Hemden hört' ich nie. Seh' ich die wimmelnde Menge von unerzogenen Eltern, Frag' ich nnr staunend: Wie kommt's, daß noch die Jungen so brav? Je mehr in einer Wissenschaft Dn ein dich gräbst mit Fleiß und Strenge, Je mehr erfährst du: Fabelhaft Ist doch die Ignoranz der Menge. Und wenn wir noch so viel gethan Des Guten in vergangnen Zeiten — Die junge Welt sieht kaum es an; Sie will, wir sollen fürderschreiten. Wie viele sind in dem Wahne verblieben, Die Alten hätten nichts weiter getrieben, AIs Schlachten geschlagen und Bücher geschrieben. „Nur die Wissenschaft gepflegt, Ethik ist nichts nütze" Heißt: Nur in den Ast gesägt, Der euch dient zum Sitze! Ihm schwoll, dem Fischblut gegenüber, frank Im heil'geu Zorn die Zorncsader; Da sprachen Sie: Wozu der Hader? Seht ihr denn nicht? Er ist nervös, ist krank! Es fängt mit jedem Menschenkind Der inn'rc Kampf von vorne an; Des frömmsten Pfarrers Söhnlein ringt Mit Ormuzd und mit Ahriman. Wer Gutes that, dem ist darum so wohl zu Mut: Er that zu einer Frist, was Gott zu allen thut. Ich geb' es, lieber Leser, zu: Bisweilen wiederhol' ich mich. Und du? Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig. Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Raudnitz-Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/280>, abgerufen am 01.07.2024.