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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Aur Lelenchtnng der Gefängnisfragc.

aus weltlichem oder geistlichem Munde, el" Wort des Zweifels oder des Ab¬
scheus dagegen zu äußern wußte!

Um das Jahr 1800 schlössen sich für immer die schauerlichen Räume dieses
"Lochgefängnisses," welches typisch ist für das alte Gefängnis vom südlichen
Nürnberg bis hinauf zum Kerker des nordischen Edinvurg.

Lassen wir uns nun an der Hand des Gefnugnisdirettors Adolf Streng,
der uns auch durch das Lochgefängnis geführt hat, in ein modernes Gefängnis
geleiten! Das heutige Gefängnis hat seiner Alltäglichkeit wegen jeden roman¬
tischen Reiz verloren. Man denke sich Diebe "ut Gauner oder einen Staats¬
verräter oder gar eine Maria Stuart in einer nach modernem Muster wie in
Bruchsal oder Moabit konstruirten Zelle! Um wieviel gesünder, reinlicher
und Heller sind diese Räume, in denen sich an Stelle des schrecklichen "Löw"
mit seinen Marterinstrumenten der Zuchthansdirektor, der Arbeitsiuspettvr, der
Hausarzt, der Lehrer und der Gefängnisgeistliche mit einer aus sanftem Wohl¬
wollen und sittlicher Entrüstung kunstvoll geordneten Physiognomie einstellen,
um Betrüger und Fälscher, renitente Geistliche, respektwidrig verfahrende Schrift¬
steller, ahnungslose Staatsverräter nach einem und demselben Rezept zu be¬
handeln!*)

An der Staatsstraße zwischen Nürnberg und Fürth, zwanzig Minuten von
dem nächsten Thore Nürnbergs, dreiviertel Stunden von Fürth entfernt, liegt
ein Zellengcfäugnis, dessen Erbauung im Jahre 1864 begonnen und das im
Jahre 1868 eröffnet worden ist. Von einem mächtigen, innen hohlen Kuppel¬
bau laufe" zwei Flügel in der Richtung von Osten nach Westen, die Haupt-
front gegen Süden der Staatsstraße zukehrend. Die beiden nördlich auslau¬
fenden Flügel sind, um nicht in zu spitzem Winkel an den Hauptbnu zu stoße",
durch Zwischenmauern mit demselbe" verbunden. Gegen Süden erstreckt sich
der Verwaltuugsbau, an welchen sich ein in zwei Flügel geteilter niedriger Vor¬
bau anschließt, der das Spital und die Aufnahmezellen enthält. Von der Fürther
Staatsstraße hinweg führt ein breiter, mit Kastanienbäumen besetzter Fahrweg
zu dem in die Ringmauer eingebauten Eingangsbau. Die mit mächtigem Ge¬
wölbe versehene Thorhalle hat zwei schmiedeeiserne Thore, von welchen das
zweite stets unter doppeltem Verschluß liegt. Rechts ist der Eingang zum
Portier- und Wartezimmer, an welches die Leichenkammer stößt; links befindet
sich das geräumige Wachtlokal für die Militärmannschaft mit dem Aufgange zur
Ringmauer. Dieselbe hat die Form eines Zehnecks, eine Länge von 710 und
von der Hoffläche aus eine Höhe von 5,8 Metern. Auf der Mauer stehen vier
vorspringende Thürmchen aus Sandstein, die als Wachthäuschen für die Mi¬
litärposten dienen. Die Baukosten dieser Mauer betrugen 131430 Mark. Von
der Thorhalle gelangt man in den sogenannten Fremdenhof, der durch Mauern



-) Vgl. v. Holtzendorff, Schottische Reiseskizzen. Breslau, Schottländer, 1832.
Aur Lelenchtnng der Gefängnisfragc.

aus weltlichem oder geistlichem Munde, el» Wort des Zweifels oder des Ab¬
scheus dagegen zu äußern wußte!

Um das Jahr 1800 schlössen sich für immer die schauerlichen Räume dieses
„Lochgefängnisses," welches typisch ist für das alte Gefängnis vom südlichen
Nürnberg bis hinauf zum Kerker des nordischen Edinvurg.

Lassen wir uns nun an der Hand des Gefnugnisdirettors Adolf Streng,
der uns auch durch das Lochgefängnis geführt hat, in ein modernes Gefängnis
geleiten! Das heutige Gefängnis hat seiner Alltäglichkeit wegen jeden roman¬
tischen Reiz verloren. Man denke sich Diebe »ut Gauner oder einen Staats¬
verräter oder gar eine Maria Stuart in einer nach modernem Muster wie in
Bruchsal oder Moabit konstruirten Zelle! Um wieviel gesünder, reinlicher
und Heller sind diese Räume, in denen sich an Stelle des schrecklichen „Löw"
mit seinen Marterinstrumenten der Zuchthansdirektor, der Arbeitsiuspettvr, der
Hausarzt, der Lehrer und der Gefängnisgeistliche mit einer aus sanftem Wohl¬
wollen und sittlicher Entrüstung kunstvoll geordneten Physiognomie einstellen,
um Betrüger und Fälscher, renitente Geistliche, respektwidrig verfahrende Schrift¬
steller, ahnungslose Staatsverräter nach einem und demselben Rezept zu be¬
handeln!*)

An der Staatsstraße zwischen Nürnberg und Fürth, zwanzig Minuten von
dem nächsten Thore Nürnbergs, dreiviertel Stunden von Fürth entfernt, liegt
ein Zellengcfäugnis, dessen Erbauung im Jahre 1864 begonnen und das im
Jahre 1868 eröffnet worden ist. Von einem mächtigen, innen hohlen Kuppel¬
bau laufe» zwei Flügel in der Richtung von Osten nach Westen, die Haupt-
front gegen Süden der Staatsstraße zukehrend. Die beiden nördlich auslau¬
fenden Flügel sind, um nicht in zu spitzem Winkel an den Hauptbnu zu stoße»,
durch Zwischenmauern mit demselbe» verbunden. Gegen Süden erstreckt sich
der Verwaltuugsbau, an welchen sich ein in zwei Flügel geteilter niedriger Vor¬
bau anschließt, der das Spital und die Aufnahmezellen enthält. Von der Fürther
Staatsstraße hinweg führt ein breiter, mit Kastanienbäumen besetzter Fahrweg
zu dem in die Ringmauer eingebauten Eingangsbau. Die mit mächtigem Ge¬
wölbe versehene Thorhalle hat zwei schmiedeeiserne Thore, von welchen das
zweite stets unter doppeltem Verschluß liegt. Rechts ist der Eingang zum
Portier- und Wartezimmer, an welches die Leichenkammer stößt; links befindet
sich das geräumige Wachtlokal für die Militärmannschaft mit dem Aufgange zur
Ringmauer. Dieselbe hat die Form eines Zehnecks, eine Länge von 710 und
von der Hoffläche aus eine Höhe von 5,8 Metern. Auf der Mauer stehen vier
vorspringende Thürmchen aus Sandstein, die als Wachthäuschen für die Mi¬
litärposten dienen. Die Baukosten dieser Mauer betrugen 131430 Mark. Von
der Thorhalle gelangt man in den sogenannten Fremdenhof, der durch Mauern



-) Vgl. v. Holtzendorff, Schottische Reiseskizzen. Breslau, Schottländer, 1832.
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[0181] Aur Lelenchtnng der Gefängnisfragc. aus weltlichem oder geistlichem Munde, el» Wort des Zweifels oder des Ab¬ scheus dagegen zu äußern wußte! Um das Jahr 1800 schlössen sich für immer die schauerlichen Räume dieses „Lochgefängnisses," welches typisch ist für das alte Gefängnis vom südlichen Nürnberg bis hinauf zum Kerker des nordischen Edinvurg. Lassen wir uns nun an der Hand des Gefnugnisdirettors Adolf Streng, der uns auch durch das Lochgefängnis geführt hat, in ein modernes Gefängnis geleiten! Das heutige Gefängnis hat seiner Alltäglichkeit wegen jeden roman¬ tischen Reiz verloren. Man denke sich Diebe »ut Gauner oder einen Staats¬ verräter oder gar eine Maria Stuart in einer nach modernem Muster wie in Bruchsal oder Moabit konstruirten Zelle! Um wieviel gesünder, reinlicher und Heller sind diese Räume, in denen sich an Stelle des schrecklichen „Löw" mit seinen Marterinstrumenten der Zuchthansdirektor, der Arbeitsiuspettvr, der Hausarzt, der Lehrer und der Gefängnisgeistliche mit einer aus sanftem Wohl¬ wollen und sittlicher Entrüstung kunstvoll geordneten Physiognomie einstellen, um Betrüger und Fälscher, renitente Geistliche, respektwidrig verfahrende Schrift¬ steller, ahnungslose Staatsverräter nach einem und demselben Rezept zu be¬ handeln!*) An der Staatsstraße zwischen Nürnberg und Fürth, zwanzig Minuten von dem nächsten Thore Nürnbergs, dreiviertel Stunden von Fürth entfernt, liegt ein Zellengcfäugnis, dessen Erbauung im Jahre 1864 begonnen und das im Jahre 1868 eröffnet worden ist. Von einem mächtigen, innen hohlen Kuppel¬ bau laufe» zwei Flügel in der Richtung von Osten nach Westen, die Haupt- front gegen Süden der Staatsstraße zukehrend. Die beiden nördlich auslau¬ fenden Flügel sind, um nicht in zu spitzem Winkel an den Hauptbnu zu stoße», durch Zwischenmauern mit demselbe» verbunden. Gegen Süden erstreckt sich der Verwaltuugsbau, an welchen sich ein in zwei Flügel geteilter niedriger Vor¬ bau anschließt, der das Spital und die Aufnahmezellen enthält. Von der Fürther Staatsstraße hinweg führt ein breiter, mit Kastanienbäumen besetzter Fahrweg zu dem in die Ringmauer eingebauten Eingangsbau. Die mit mächtigem Ge¬ wölbe versehene Thorhalle hat zwei schmiedeeiserne Thore, von welchen das zweite stets unter doppeltem Verschluß liegt. Rechts ist der Eingang zum Portier- und Wartezimmer, an welches die Leichenkammer stößt; links befindet sich das geräumige Wachtlokal für die Militärmannschaft mit dem Aufgange zur Ringmauer. Dieselbe hat die Form eines Zehnecks, eine Länge von 710 und von der Hoffläche aus eine Höhe von 5,8 Metern. Auf der Mauer stehen vier vorspringende Thürmchen aus Sandstein, die als Wachthäuschen für die Mi¬ litärposten dienen. Die Baukosten dieser Mauer betrugen 131430 Mark. Von der Thorhalle gelangt man in den sogenannten Fremdenhof, der durch Mauern -) Vgl. v. Holtzendorff, Schottische Reiseskizzen. Breslau, Schottländer, 1832.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/181>, abgerufen am 03.07.2024.