Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Ausstellungen in Wien.

über den ganzen Koffer und ist unangenehm berührt, wenn der Zollbeamte aus
den vielen steuerfreien eine einzige Steuerpflichtige Menge herstellt.

Der Vergleich soll nicht auf einen Vorgang der letzten Tage im Wiener
Gemeinderat angewandt werden. Die Ähnlichkeit besteht nur darin, daß die
Ausstellungsfreunde von Profession sich auch sehr unangenehm berührt zeigen.
Und er ist bezeichnend genug, um eine kurze Erwähnung zu verdienen. Für
das Jahr 1884 war eine "Städteausstcllung" in Vorschlag gebracht worden,
welche die kommunalen Einrichtungen aller zivilisirten Länder zur Anschauung
bringen sollte. Ob von einer solchen ein wirklicher Nutzen zu erwarten wäre,
ob es nicht zweckmäßiger sei, wenn Sachverständige alles über diese Gegenstünde
veröffentlichte gründlich studiren und, soweit es erforderlich ist, sich durch den
Augenschein unterrichten, mag hier dahingestellt bleiben. Daß aber nur der
Sachverständige imstande sein wurde, die ausgestellten Pläne, Berechnungen,
statistischen Tabellen ze. in ihrer Bedeutung zu beurteilen, daß die Zahl solcher
Sachverständigen keine große ist, während für das große Publikum, welches die
Kosten von Ausstellungen decken soll, alle diese Dinge eine unverständliche
Sprache sprechen und daher auch wenig Anziehungskraft für dasselbe haben
würden, das ist wohl unbestreitbar. Zu dieser Ansicht war bei reiflicher Über¬
legung auch die Mehrheit des Gemeinderath gelangt. Sie hatte es als höchst
unwahrscheinlich erkannt, daß der immerhin beträchtliche Aufwand für ein solches
Unternehmen unmittelbar durch die Eintrittspreise und mittelbar durch den
Fremdenverkehr wieder hereinzubringen sei, und deshalb sprach sie sich für Ver¬
tagung der Sache aus. Darin sieht die Minderheit, und gewiß mit Recht,
nur eine milde Form der Ablehnung, und sie vermag ihren Zorn nicht zu be-
meistern. Gegen die Beweisführung der Mehrheit ist allerdings wenig einzu¬
wenden. Aber angeblich soll die Stadt Wien "blamirt," "diskreditirt" sein, weil
ihre Vertreter nicht den Mut haben, hunderttausende an ein so zweifelhaftes
Unternehmen zu wagen. Wir denken hingegen, der Kredit Wiens könne nur
gewinnen, wenn die Welt sieht, daß es haushälterisch wirtschaftet, den Mut
hat, einen übereilten Beschluß zurückzunehmen, und daß es die Komplimente,
welche seiner Liebenswürdigkeit bei solchen Anlässen gemacht zu werden pflegen,
auf den wahren Wert zu schätzen anfängt. Vollends sonderbar ist das
Argument, daß die Städteausstellung dazu beitragen werde, den Fremdenzufluß
zu vermehren. Das Sinken desselben ist in den letzten zehn Jahren fühlbar
geworden, und an Ausstellungen hat es während dieses Zeitraumes wahrlich
nicht gemangelt.

Übrigens wird das laufende Jahr für die Entscheidung über diesen letztern
Streitpunkt genügendes Material liefern. Wien wird mit Ausstellungen der
mannigfachsten Art gesegnet sein. Hunde haben den Reigen eröffnet, Vögel und
Blumen folgen, Wohnungseinrichtung steht denn in Sicht, im Hochsommer
kommt die Elektrizität an die Reihe, im September und Oktober die graphischen


Ausstellungen in Wien.

über den ganzen Koffer und ist unangenehm berührt, wenn der Zollbeamte aus
den vielen steuerfreien eine einzige Steuerpflichtige Menge herstellt.

Der Vergleich soll nicht auf einen Vorgang der letzten Tage im Wiener
Gemeinderat angewandt werden. Die Ähnlichkeit besteht nur darin, daß die
Ausstellungsfreunde von Profession sich auch sehr unangenehm berührt zeigen.
Und er ist bezeichnend genug, um eine kurze Erwähnung zu verdienen. Für
das Jahr 1884 war eine „Städteausstcllung" in Vorschlag gebracht worden,
welche die kommunalen Einrichtungen aller zivilisirten Länder zur Anschauung
bringen sollte. Ob von einer solchen ein wirklicher Nutzen zu erwarten wäre,
ob es nicht zweckmäßiger sei, wenn Sachverständige alles über diese Gegenstünde
veröffentlichte gründlich studiren und, soweit es erforderlich ist, sich durch den
Augenschein unterrichten, mag hier dahingestellt bleiben. Daß aber nur der
Sachverständige imstande sein wurde, die ausgestellten Pläne, Berechnungen,
statistischen Tabellen ze. in ihrer Bedeutung zu beurteilen, daß die Zahl solcher
Sachverständigen keine große ist, während für das große Publikum, welches die
Kosten von Ausstellungen decken soll, alle diese Dinge eine unverständliche
Sprache sprechen und daher auch wenig Anziehungskraft für dasselbe haben
würden, das ist wohl unbestreitbar. Zu dieser Ansicht war bei reiflicher Über¬
legung auch die Mehrheit des Gemeinderath gelangt. Sie hatte es als höchst
unwahrscheinlich erkannt, daß der immerhin beträchtliche Aufwand für ein solches
Unternehmen unmittelbar durch die Eintrittspreise und mittelbar durch den
Fremdenverkehr wieder hereinzubringen sei, und deshalb sprach sie sich für Ver¬
tagung der Sache aus. Darin sieht die Minderheit, und gewiß mit Recht,
nur eine milde Form der Ablehnung, und sie vermag ihren Zorn nicht zu be-
meistern. Gegen die Beweisführung der Mehrheit ist allerdings wenig einzu¬
wenden. Aber angeblich soll die Stadt Wien „blamirt," „diskreditirt" sein, weil
ihre Vertreter nicht den Mut haben, hunderttausende an ein so zweifelhaftes
Unternehmen zu wagen. Wir denken hingegen, der Kredit Wiens könne nur
gewinnen, wenn die Welt sieht, daß es haushälterisch wirtschaftet, den Mut
hat, einen übereilten Beschluß zurückzunehmen, und daß es die Komplimente,
welche seiner Liebenswürdigkeit bei solchen Anlässen gemacht zu werden pflegen,
auf den wahren Wert zu schätzen anfängt. Vollends sonderbar ist das
Argument, daß die Städteausstellung dazu beitragen werde, den Fremdenzufluß
zu vermehren. Das Sinken desselben ist in den letzten zehn Jahren fühlbar
geworden, und an Ausstellungen hat es während dieses Zeitraumes wahrlich
nicht gemangelt.

Übrigens wird das laufende Jahr für die Entscheidung über diesen letztern
Streitpunkt genügendes Material liefern. Wien wird mit Ausstellungen der
mannigfachsten Art gesegnet sein. Hunde haben den Reigen eröffnet, Vögel und
Blumen folgen, Wohnungseinrichtung steht denn in Sicht, im Hochsommer
kommt die Elektrizität an die Reihe, im September und Oktober die graphischen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0149" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152906"/>
          <fw type="header" place="top"> Ausstellungen in Wien.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_583" prev="#ID_582"> über den ganzen Koffer und ist unangenehm berührt, wenn der Zollbeamte aus<lb/>
den vielen steuerfreien eine einzige Steuerpflichtige Menge herstellt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_584"> Der Vergleich soll nicht auf einen Vorgang der letzten Tage im Wiener<lb/>
Gemeinderat angewandt werden. Die Ähnlichkeit besteht nur darin, daß die<lb/>
Ausstellungsfreunde von Profession sich auch sehr unangenehm berührt zeigen.<lb/>
Und er ist bezeichnend genug, um eine kurze Erwähnung zu verdienen. Für<lb/>
das Jahr 1884 war eine &#x201E;Städteausstcllung" in Vorschlag gebracht worden,<lb/>
welche die kommunalen Einrichtungen aller zivilisirten Länder zur Anschauung<lb/>
bringen sollte. Ob von einer solchen ein wirklicher Nutzen zu erwarten wäre,<lb/>
ob es nicht zweckmäßiger sei, wenn Sachverständige alles über diese Gegenstünde<lb/>
veröffentlichte gründlich studiren und, soweit es erforderlich ist, sich durch den<lb/>
Augenschein unterrichten, mag hier dahingestellt bleiben. Daß aber nur der<lb/>
Sachverständige imstande sein wurde, die ausgestellten Pläne, Berechnungen,<lb/>
statistischen Tabellen ze. in ihrer Bedeutung zu beurteilen, daß die Zahl solcher<lb/>
Sachverständigen keine große ist, während für das große Publikum, welches die<lb/>
Kosten von Ausstellungen decken soll, alle diese Dinge eine unverständliche<lb/>
Sprache sprechen und daher auch wenig Anziehungskraft für dasselbe haben<lb/>
würden, das ist wohl unbestreitbar. Zu dieser Ansicht war bei reiflicher Über¬<lb/>
legung auch die Mehrheit des Gemeinderath gelangt. Sie hatte es als höchst<lb/>
unwahrscheinlich erkannt, daß der immerhin beträchtliche Aufwand für ein solches<lb/>
Unternehmen unmittelbar durch die Eintrittspreise und mittelbar durch den<lb/>
Fremdenverkehr wieder hereinzubringen sei, und deshalb sprach sie sich für Ver¬<lb/>
tagung der Sache aus. Darin sieht die Minderheit, und gewiß mit Recht,<lb/>
nur eine milde Form der Ablehnung, und sie vermag ihren Zorn nicht zu be-<lb/>
meistern. Gegen die Beweisführung der Mehrheit ist allerdings wenig einzu¬<lb/>
wenden. Aber angeblich soll die Stadt Wien &#x201E;blamirt," &#x201E;diskreditirt" sein, weil<lb/>
ihre Vertreter nicht den Mut haben, hunderttausende an ein so zweifelhaftes<lb/>
Unternehmen zu wagen. Wir denken hingegen, der Kredit Wiens könne nur<lb/>
gewinnen, wenn die Welt sieht, daß es haushälterisch wirtschaftet, den Mut<lb/>
hat, einen übereilten Beschluß zurückzunehmen, und daß es die Komplimente,<lb/>
welche seiner Liebenswürdigkeit bei solchen Anlässen gemacht zu werden pflegen,<lb/>
auf den wahren Wert zu schätzen anfängt. Vollends sonderbar ist das<lb/>
Argument, daß die Städteausstellung dazu beitragen werde, den Fremdenzufluß<lb/>
zu vermehren. Das Sinken desselben ist in den letzten zehn Jahren fühlbar<lb/>
geworden, und an Ausstellungen hat es während dieses Zeitraumes wahrlich<lb/>
nicht gemangelt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_585" next="#ID_586"> Übrigens wird das laufende Jahr für die Entscheidung über diesen letztern<lb/>
Streitpunkt genügendes Material liefern. Wien wird mit Ausstellungen der<lb/>
mannigfachsten Art gesegnet sein. Hunde haben den Reigen eröffnet, Vögel und<lb/>
Blumen folgen, Wohnungseinrichtung steht denn in Sicht, im Hochsommer<lb/>
kommt die Elektrizität an die Reihe, im September und Oktober die graphischen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0149] Ausstellungen in Wien. über den ganzen Koffer und ist unangenehm berührt, wenn der Zollbeamte aus den vielen steuerfreien eine einzige Steuerpflichtige Menge herstellt. Der Vergleich soll nicht auf einen Vorgang der letzten Tage im Wiener Gemeinderat angewandt werden. Die Ähnlichkeit besteht nur darin, daß die Ausstellungsfreunde von Profession sich auch sehr unangenehm berührt zeigen. Und er ist bezeichnend genug, um eine kurze Erwähnung zu verdienen. Für das Jahr 1884 war eine „Städteausstcllung" in Vorschlag gebracht worden, welche die kommunalen Einrichtungen aller zivilisirten Länder zur Anschauung bringen sollte. Ob von einer solchen ein wirklicher Nutzen zu erwarten wäre, ob es nicht zweckmäßiger sei, wenn Sachverständige alles über diese Gegenstünde veröffentlichte gründlich studiren und, soweit es erforderlich ist, sich durch den Augenschein unterrichten, mag hier dahingestellt bleiben. Daß aber nur der Sachverständige imstande sein wurde, die ausgestellten Pläne, Berechnungen, statistischen Tabellen ze. in ihrer Bedeutung zu beurteilen, daß die Zahl solcher Sachverständigen keine große ist, während für das große Publikum, welches die Kosten von Ausstellungen decken soll, alle diese Dinge eine unverständliche Sprache sprechen und daher auch wenig Anziehungskraft für dasselbe haben würden, das ist wohl unbestreitbar. Zu dieser Ansicht war bei reiflicher Über¬ legung auch die Mehrheit des Gemeinderath gelangt. Sie hatte es als höchst unwahrscheinlich erkannt, daß der immerhin beträchtliche Aufwand für ein solches Unternehmen unmittelbar durch die Eintrittspreise und mittelbar durch den Fremdenverkehr wieder hereinzubringen sei, und deshalb sprach sie sich für Ver¬ tagung der Sache aus. Darin sieht die Minderheit, und gewiß mit Recht, nur eine milde Form der Ablehnung, und sie vermag ihren Zorn nicht zu be- meistern. Gegen die Beweisführung der Mehrheit ist allerdings wenig einzu¬ wenden. Aber angeblich soll die Stadt Wien „blamirt," „diskreditirt" sein, weil ihre Vertreter nicht den Mut haben, hunderttausende an ein so zweifelhaftes Unternehmen zu wagen. Wir denken hingegen, der Kredit Wiens könne nur gewinnen, wenn die Welt sieht, daß es haushälterisch wirtschaftet, den Mut hat, einen übereilten Beschluß zurückzunehmen, und daß es die Komplimente, welche seiner Liebenswürdigkeit bei solchen Anlässen gemacht zu werden pflegen, auf den wahren Wert zu schätzen anfängt. Vollends sonderbar ist das Argument, daß die Städteausstellung dazu beitragen werde, den Fremdenzufluß zu vermehren. Das Sinken desselben ist in den letzten zehn Jahren fühlbar geworden, und an Ausstellungen hat es während dieses Zeitraumes wahrlich nicht gemangelt. Übrigens wird das laufende Jahr für die Entscheidung über diesen letztern Streitpunkt genügendes Material liefern. Wien wird mit Ausstellungen der mannigfachsten Art gesegnet sein. Hunde haben den Reigen eröffnet, Vögel und Blumen folgen, Wohnungseinrichtung steht denn in Sicht, im Hochsommer kommt die Elektrizität an die Reihe, im September und Oktober die graphischen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/149
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/149>, abgerufen am 01.07.2024.