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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die neue sächsische Gymnasial-Verordnung und die Überbnrdungsfrage,

Gewinn gegenüber kaum in die Wagschale. Jede Spezialität der philologischen
Wissenschaft vom Latein bis zum Ägyptischen, Assyrischer und Chinesischen ist
in Leipzig mit einem besondern Lehrstühle bedacht. Daneben giebt es philo¬
logische, historische und andre gut ausgestattete Seminare, Warum sollte die
sächsische Regierung nicht daran denken, daß es sich für sie zunächst nicht um
Gelehrte, sondern um Lehrer handelt, und ihre Mittel dazu benutzen, die Mög¬
lichkeit einer gehörigen Ausbildung für das Lehramt zu schaffen?

Doch kehren wir von dieser geplanten Neuerung, welche manchen Übelstand,
an dem das Ghmnasinm krankt, beseitigen wird, zurück zu deu Erleichterungen,
welche die neue Verordnung für den sprachlichen Unterricht -- denn von den
übrigen Fächern wolle" wir hier absehen -- bestimmt.

Wir beginnen mit dem lateinischen Unterrichte, der in jeder Klasse eine
Stunde eingebüßt hat. Über die Aufgabe sagt das Regulativ und fast gleich¬
lautend die neueste Verordnung folgendes: "Dem Unterricht in der lateinischen
Sprache fällt die Aufgabe zu, durch gründliche grammatikalische Unterweisung
nicht allein die Erlernung dieser Sprache selbst sicherzustellen, sondern dadurch
zugleich für die Erlernung aller übrigen Sprachen die Grundlage der allgemeinen
grammatikalischen Bildung zu schaffen, späterhin aber durch Erklärung der la¬
teinischen Klassiker, in Verbindung mit den griechischen, in den Geist und das
Leben des klassischen Altertums einzuführen," Hiermit vergleiche man, was über
das Lehrzicl gesagt wird: "Am Schlüsse des Gymnasialkursus ist zu fordern,
daß der Schiller ohne Hilfe der Grammatik korrekt und wenigstens von groben
Fehlern frei lateinisch zu schreiben, daß er mit einiger Fertigkeit und Gewandt¬
heit über Fragen und Gegenstände, welche den altklassischer Studien des Schülers
angehören, lateinisch zu sprechen imstande, und daß ihm durch die Kenntnis der
lateinischen Sprache auch das Verständnis für den Geist des römischen Alter¬
tums aufgeschlossen worden sei." Hier ist zunächst zu bemerken, daß die neue Ver¬
ordnung insofern von dem Regulativ von 1876 abweicht, als sie den Gebrauch der
Lexika gestattet, denn das Regulativ sagt ausdrücklich, es sei zu verlangen, daß
der Schüler am Schlüsse des Gymnasialkursus ohne Hilfe der Grammatik und
des lateinisch-deutschen Lexikons korrekt schreiben könne. Sehen wir aber von
dieser schon durch die geringere Zahl der dem Latein zugemessenen Stunden
notwendig gewordenen Herabsetzung des Zieles ab, so muß eins unbedingt
auffallen: daß die sächsische Verordnung als Ziel des lateinischen Unterrichts
in erster Linie das Lateinschreiben, in zweiter das Lateinsprechen und erst in
dritter "auch" das Verständnis für den Geist des römischen Altertums hinstellt.
In unleugbaren Gegensatze hierzu steht die Auffassung, welche die preußische
Zirkularverfügung vom 31. März 1882 von dem Zweck des lateinischen
Unterrichts hat. "Die Übungen im schriftlichen Gebrauche der lateinischen
Sprache -- sagt sie -- sind in den untern und mittlern Klassen ein unent¬
behrliches Mittel zu fester Aneignung der Grammatik und des Wortschatzes.


Die neue sächsische Gymnasial-Verordnung und die Überbnrdungsfrage,

Gewinn gegenüber kaum in die Wagschale. Jede Spezialität der philologischen
Wissenschaft vom Latein bis zum Ägyptischen, Assyrischer und Chinesischen ist
in Leipzig mit einem besondern Lehrstühle bedacht. Daneben giebt es philo¬
logische, historische und andre gut ausgestattete Seminare, Warum sollte die
sächsische Regierung nicht daran denken, daß es sich für sie zunächst nicht um
Gelehrte, sondern um Lehrer handelt, und ihre Mittel dazu benutzen, die Mög¬
lichkeit einer gehörigen Ausbildung für das Lehramt zu schaffen?

Doch kehren wir von dieser geplanten Neuerung, welche manchen Übelstand,
an dem das Ghmnasinm krankt, beseitigen wird, zurück zu deu Erleichterungen,
welche die neue Verordnung für den sprachlichen Unterricht — denn von den
übrigen Fächern wolle» wir hier absehen — bestimmt.

Wir beginnen mit dem lateinischen Unterrichte, der in jeder Klasse eine
Stunde eingebüßt hat. Über die Aufgabe sagt das Regulativ und fast gleich¬
lautend die neueste Verordnung folgendes: „Dem Unterricht in der lateinischen
Sprache fällt die Aufgabe zu, durch gründliche grammatikalische Unterweisung
nicht allein die Erlernung dieser Sprache selbst sicherzustellen, sondern dadurch
zugleich für die Erlernung aller übrigen Sprachen die Grundlage der allgemeinen
grammatikalischen Bildung zu schaffen, späterhin aber durch Erklärung der la¬
teinischen Klassiker, in Verbindung mit den griechischen, in den Geist und das
Leben des klassischen Altertums einzuführen," Hiermit vergleiche man, was über
das Lehrzicl gesagt wird: „Am Schlüsse des Gymnasialkursus ist zu fordern,
daß der Schiller ohne Hilfe der Grammatik korrekt und wenigstens von groben
Fehlern frei lateinisch zu schreiben, daß er mit einiger Fertigkeit und Gewandt¬
heit über Fragen und Gegenstände, welche den altklassischer Studien des Schülers
angehören, lateinisch zu sprechen imstande, und daß ihm durch die Kenntnis der
lateinischen Sprache auch das Verständnis für den Geist des römischen Alter¬
tums aufgeschlossen worden sei." Hier ist zunächst zu bemerken, daß die neue Ver¬
ordnung insofern von dem Regulativ von 1876 abweicht, als sie den Gebrauch der
Lexika gestattet, denn das Regulativ sagt ausdrücklich, es sei zu verlangen, daß
der Schüler am Schlüsse des Gymnasialkursus ohne Hilfe der Grammatik und
des lateinisch-deutschen Lexikons korrekt schreiben könne. Sehen wir aber von
dieser schon durch die geringere Zahl der dem Latein zugemessenen Stunden
notwendig gewordenen Herabsetzung des Zieles ab, so muß eins unbedingt
auffallen: daß die sächsische Verordnung als Ziel des lateinischen Unterrichts
in erster Linie das Lateinschreiben, in zweiter das Lateinsprechen und erst in
dritter „auch" das Verständnis für den Geist des römischen Altertums hinstellt.
In unleugbaren Gegensatze hierzu steht die Auffassung, welche die preußische
Zirkularverfügung vom 31. März 1882 von dem Zweck des lateinischen
Unterrichts hat. „Die Übungen im schriftlichen Gebrauche der lateinischen
Sprache — sagt sie — sind in den untern und mittlern Klassen ein unent¬
behrliches Mittel zu fester Aneignung der Grammatik und des Wortschatzes.


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[0088] Die neue sächsische Gymnasial-Verordnung und die Überbnrdungsfrage, Gewinn gegenüber kaum in die Wagschale. Jede Spezialität der philologischen Wissenschaft vom Latein bis zum Ägyptischen, Assyrischer und Chinesischen ist in Leipzig mit einem besondern Lehrstühle bedacht. Daneben giebt es philo¬ logische, historische und andre gut ausgestattete Seminare, Warum sollte die sächsische Regierung nicht daran denken, daß es sich für sie zunächst nicht um Gelehrte, sondern um Lehrer handelt, und ihre Mittel dazu benutzen, die Mög¬ lichkeit einer gehörigen Ausbildung für das Lehramt zu schaffen? Doch kehren wir von dieser geplanten Neuerung, welche manchen Übelstand, an dem das Ghmnasinm krankt, beseitigen wird, zurück zu deu Erleichterungen, welche die neue Verordnung für den sprachlichen Unterricht — denn von den übrigen Fächern wolle» wir hier absehen — bestimmt. Wir beginnen mit dem lateinischen Unterrichte, der in jeder Klasse eine Stunde eingebüßt hat. Über die Aufgabe sagt das Regulativ und fast gleich¬ lautend die neueste Verordnung folgendes: „Dem Unterricht in der lateinischen Sprache fällt die Aufgabe zu, durch gründliche grammatikalische Unterweisung nicht allein die Erlernung dieser Sprache selbst sicherzustellen, sondern dadurch zugleich für die Erlernung aller übrigen Sprachen die Grundlage der allgemeinen grammatikalischen Bildung zu schaffen, späterhin aber durch Erklärung der la¬ teinischen Klassiker, in Verbindung mit den griechischen, in den Geist und das Leben des klassischen Altertums einzuführen," Hiermit vergleiche man, was über das Lehrzicl gesagt wird: „Am Schlüsse des Gymnasialkursus ist zu fordern, daß der Schiller ohne Hilfe der Grammatik korrekt und wenigstens von groben Fehlern frei lateinisch zu schreiben, daß er mit einiger Fertigkeit und Gewandt¬ heit über Fragen und Gegenstände, welche den altklassischer Studien des Schülers angehören, lateinisch zu sprechen imstande, und daß ihm durch die Kenntnis der lateinischen Sprache auch das Verständnis für den Geist des römischen Alter¬ tums aufgeschlossen worden sei." Hier ist zunächst zu bemerken, daß die neue Ver¬ ordnung insofern von dem Regulativ von 1876 abweicht, als sie den Gebrauch der Lexika gestattet, denn das Regulativ sagt ausdrücklich, es sei zu verlangen, daß der Schüler am Schlüsse des Gymnasialkursus ohne Hilfe der Grammatik und des lateinisch-deutschen Lexikons korrekt schreiben könne. Sehen wir aber von dieser schon durch die geringere Zahl der dem Latein zugemessenen Stunden notwendig gewordenen Herabsetzung des Zieles ab, so muß eins unbedingt auffallen: daß die sächsische Verordnung als Ziel des lateinischen Unterrichts in erster Linie das Lateinschreiben, in zweiter das Lateinsprechen und erst in dritter „auch" das Verständnis für den Geist des römischen Altertums hinstellt. In unleugbaren Gegensatze hierzu steht die Auffassung, welche die preußische Zirkularverfügung vom 31. März 1882 von dem Zweck des lateinischen Unterrichts hat. „Die Übungen im schriftlichen Gebrauche der lateinischen Sprache — sagt sie — sind in den untern und mittlern Klassen ein unent¬ behrliches Mittel zu fester Aneignung der Grammatik und des Wortschatzes.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/88>, abgerufen am 23.07.2024.