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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Küste nicht fern von der französischen Insel Reunion und deshalb die gegebene
Landungsstelle für ein Jnvasionsheer, ist nach den neuesten Nachrichten be¬
setzt worden, und zu gleicher Zeit sind vier Kriegsschiffe nach dem Nordweste"
abgedampft, wo die Republik früher eine Faktorei besaß. Nach Verträgen, die
vor etwa dritthalbhundert Jahren abgeschlossen wurden, glaubt Frankreich eigent¬
lich im rechtlichen Besitz von etwa drei Vierteilen der ganzen ungeheuern Insel
zu sein. Doch will es dieses angebliche Recht jetzt nicht geltend machen, son¬
dern sich mit vier Zugeständnissen zufrieden geben: 1. Die Königin soll für
einen an der madagassischen Küste geplünderten französischen Lugger Schaden¬
ersatz leisten; 2. die Hovaregierung soll das Erbrecht der Nachkommen des fran-
zösischen Konsuls Laborde auf das Grundeigentum anerkennen, welches dieser
auf der Insel besaß; 3, sie soll die Häuptlinge bestrafen, welche auf französischem
Gebiete ihre Flagge aufgehißt haben, und 4, sie soll die von ihr aufgehobenen
Vorrechte der Franzosen wiederherstellen. Der letztgenannte Punkt ist der allein
wichtige. Wollte die Königin Ranavalo auf ihn eingehen, so hieße das den
Franzosen die thatsächliche Herrschaft über die Insel einräumen. Man wird
also eben nicht auf ihn eingehen, es sei denn durch Waffengewalt dazu ge¬
zwungen. Kein unparteiischer Richter wird den Malagassen in der Sache ganz
Unrecht geben können. Das Verfahren gegen sie wiederholt nur die alte Ge¬
schichte westlicher Manöver gegen östliche Halbbarbaren, mit denen man sich
quasi rechtliche Ansprüche schuf, die schließlich mit dem Schwerte in der Hand
eingetrieben wurden. Auch die englische Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts
weiß von solchen Ränken zu erzählen, und so hat John Bull seinem Nachbar
über den Kanal in der Sache nichts vorzuwerfen. Aber zu spotten kann er
nicht unterlassen, und damit hat er wohl nicht Unrecht. Sie waren immer unsre
Nebenbuhler, aber keine glücklichen, darf er sagen. Sie verloren durch uns ihre
indischen Besitzungen, wir vertrieben sie ans Canada und zwangen sie, Louisiana,
d. h. das ungeheure Thal des Mississippi mit den Thälern seiner Nebenflüsse,
zu verkaufen. Sie rächten sich dadurch, daß sie Algerien und neuerdings Tunis
wegnahmen, was uns des Mittelmeeres wegen unbequem und verdrießlich war.
Der Versuch, Madagaskar zu erobern, gehört auf ein andres Blatt, es soll
damit die Niederlage ausgeglichen werden, die wir ihnen in Ägypten beigebracht
haben. Frankreich mußte die südafrikanische Insel einziehen, weil das nord¬
afrikanische Delta nebst Zubehör in englische Hände geraten war. Es mußte
in Antananarivo, der Hauptstadt der Malagassen, auch ein Tel El Kebir haben.
Es ging gar nicht anders. Thiers pflegte gelegentliche Kriege, die sein Vater¬
land führte, damit zu rechtfertigen, daß es nützlich sei, von Zeit zu Zeit jen¬
seits der Grenzen seine Fahne zu zeigen. ^ Sonst hätten natürlich die Völker
das Vorhandensein Frankreichs vergessen, und das würde eine internationale
Kalamität gewesen sein. Diese große Nation, die, wie wir aus Victor Hugo
wissen, "das Mekka der Menschheit" ist, würde den Leuten aus dem Gedächtnis


Küste nicht fern von der französischen Insel Reunion und deshalb die gegebene
Landungsstelle für ein Jnvasionsheer, ist nach den neuesten Nachrichten be¬
setzt worden, und zu gleicher Zeit sind vier Kriegsschiffe nach dem Nordweste»
abgedampft, wo die Republik früher eine Faktorei besaß. Nach Verträgen, die
vor etwa dritthalbhundert Jahren abgeschlossen wurden, glaubt Frankreich eigent¬
lich im rechtlichen Besitz von etwa drei Vierteilen der ganzen ungeheuern Insel
zu sein. Doch will es dieses angebliche Recht jetzt nicht geltend machen, son¬
dern sich mit vier Zugeständnissen zufrieden geben: 1. Die Königin soll für
einen an der madagassischen Küste geplünderten französischen Lugger Schaden¬
ersatz leisten; 2. die Hovaregierung soll das Erbrecht der Nachkommen des fran-
zösischen Konsuls Laborde auf das Grundeigentum anerkennen, welches dieser
auf der Insel besaß; 3, sie soll die Häuptlinge bestrafen, welche auf französischem
Gebiete ihre Flagge aufgehißt haben, und 4, sie soll die von ihr aufgehobenen
Vorrechte der Franzosen wiederherstellen. Der letztgenannte Punkt ist der allein
wichtige. Wollte die Königin Ranavalo auf ihn eingehen, so hieße das den
Franzosen die thatsächliche Herrschaft über die Insel einräumen. Man wird
also eben nicht auf ihn eingehen, es sei denn durch Waffengewalt dazu ge¬
zwungen. Kein unparteiischer Richter wird den Malagassen in der Sache ganz
Unrecht geben können. Das Verfahren gegen sie wiederholt nur die alte Ge¬
schichte westlicher Manöver gegen östliche Halbbarbaren, mit denen man sich
quasi rechtliche Ansprüche schuf, die schließlich mit dem Schwerte in der Hand
eingetrieben wurden. Auch die englische Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts
weiß von solchen Ränken zu erzählen, und so hat John Bull seinem Nachbar
über den Kanal in der Sache nichts vorzuwerfen. Aber zu spotten kann er
nicht unterlassen, und damit hat er wohl nicht Unrecht. Sie waren immer unsre
Nebenbuhler, aber keine glücklichen, darf er sagen. Sie verloren durch uns ihre
indischen Besitzungen, wir vertrieben sie ans Canada und zwangen sie, Louisiana,
d. h. das ungeheure Thal des Mississippi mit den Thälern seiner Nebenflüsse,
zu verkaufen. Sie rächten sich dadurch, daß sie Algerien und neuerdings Tunis
wegnahmen, was uns des Mittelmeeres wegen unbequem und verdrießlich war.
Der Versuch, Madagaskar zu erobern, gehört auf ein andres Blatt, es soll
damit die Niederlage ausgeglichen werden, die wir ihnen in Ägypten beigebracht
haben. Frankreich mußte die südafrikanische Insel einziehen, weil das nord¬
afrikanische Delta nebst Zubehör in englische Hände geraten war. Es mußte
in Antananarivo, der Hauptstadt der Malagassen, auch ein Tel El Kebir haben.
Es ging gar nicht anders. Thiers pflegte gelegentliche Kriege, die sein Vater¬
land führte, damit zu rechtfertigen, daß es nützlich sei, von Zeit zu Zeit jen¬
seits der Grenzen seine Fahne zu zeigen. ^ Sonst hätten natürlich die Völker
das Vorhandensein Frankreichs vergessen, und das würde eine internationale
Kalamität gewesen sein. Diese große Nation, die, wie wir aus Victor Hugo
wissen, „das Mekka der Menschheit" ist, würde den Leuten aus dem Gedächtnis


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[0671] Küste nicht fern von der französischen Insel Reunion und deshalb die gegebene Landungsstelle für ein Jnvasionsheer, ist nach den neuesten Nachrichten be¬ setzt worden, und zu gleicher Zeit sind vier Kriegsschiffe nach dem Nordweste» abgedampft, wo die Republik früher eine Faktorei besaß. Nach Verträgen, die vor etwa dritthalbhundert Jahren abgeschlossen wurden, glaubt Frankreich eigent¬ lich im rechtlichen Besitz von etwa drei Vierteilen der ganzen ungeheuern Insel zu sein. Doch will es dieses angebliche Recht jetzt nicht geltend machen, son¬ dern sich mit vier Zugeständnissen zufrieden geben: 1. Die Königin soll für einen an der madagassischen Küste geplünderten französischen Lugger Schaden¬ ersatz leisten; 2. die Hovaregierung soll das Erbrecht der Nachkommen des fran- zösischen Konsuls Laborde auf das Grundeigentum anerkennen, welches dieser auf der Insel besaß; 3, sie soll die Häuptlinge bestrafen, welche auf französischem Gebiete ihre Flagge aufgehißt haben, und 4, sie soll die von ihr aufgehobenen Vorrechte der Franzosen wiederherstellen. Der letztgenannte Punkt ist der allein wichtige. Wollte die Königin Ranavalo auf ihn eingehen, so hieße das den Franzosen die thatsächliche Herrschaft über die Insel einräumen. Man wird also eben nicht auf ihn eingehen, es sei denn durch Waffengewalt dazu ge¬ zwungen. Kein unparteiischer Richter wird den Malagassen in der Sache ganz Unrecht geben können. Das Verfahren gegen sie wiederholt nur die alte Ge¬ schichte westlicher Manöver gegen östliche Halbbarbaren, mit denen man sich quasi rechtliche Ansprüche schuf, die schließlich mit dem Schwerte in der Hand eingetrieben wurden. Auch die englische Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts weiß von solchen Ränken zu erzählen, und so hat John Bull seinem Nachbar über den Kanal in der Sache nichts vorzuwerfen. Aber zu spotten kann er nicht unterlassen, und damit hat er wohl nicht Unrecht. Sie waren immer unsre Nebenbuhler, aber keine glücklichen, darf er sagen. Sie verloren durch uns ihre indischen Besitzungen, wir vertrieben sie ans Canada und zwangen sie, Louisiana, d. h. das ungeheure Thal des Mississippi mit den Thälern seiner Nebenflüsse, zu verkaufen. Sie rächten sich dadurch, daß sie Algerien und neuerdings Tunis wegnahmen, was uns des Mittelmeeres wegen unbequem und verdrießlich war. Der Versuch, Madagaskar zu erobern, gehört auf ein andres Blatt, es soll damit die Niederlage ausgeglichen werden, die wir ihnen in Ägypten beigebracht haben. Frankreich mußte die südafrikanische Insel einziehen, weil das nord¬ afrikanische Delta nebst Zubehör in englische Hände geraten war. Es mußte in Antananarivo, der Hauptstadt der Malagassen, auch ein Tel El Kebir haben. Es ging gar nicht anders. Thiers pflegte gelegentliche Kriege, die sein Vater¬ land führte, damit zu rechtfertigen, daß es nützlich sei, von Zeit zu Zeit jen¬ seits der Grenzen seine Fahne zu zeigen. ^ Sonst hätten natürlich die Völker das Vorhandensein Frankreichs vergessen, und das würde eine internationale Kalamität gewesen sein. Diese große Nation, die, wie wir aus Victor Hugo wissen, „das Mekka der Menschheit" ist, würde den Leuten aus dem Gedächtnis

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/671>, abgerufen am 23.07.2024.