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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

nehmen im Pfarrhause, wenig liebevolle Teilnahme. Mit kaltem Auge und
kurzem Wort reichte sie den gebrechlichen Männern und zerlumpten Weibern,
die sie in den niedrigen, unreinlichen Räumen vorfand, eine Gabe und eilte,
wieder hinauszukommen.

Führe mich jetzt zunächst zum Hause des Claus Harmsen, sagte sie ge¬
bieterisch zu dem Burschen, als sie die dritte Hütte verlassen hatte.

Sie war angewidert von dem Anblick der kümmerlichen und unschönen
Existenzen, von der Finsternis und dem Übeln Geruch der erbärmlichen Woh¬
nungen, die sie betreten hatte, und sie fühlte eine unsägliche Verachtung gegen
dies Volk mit seinen schlechten Manieren. Mit gerunzelten Brauen schritt sie
weiter, peinlich berührt von der Aufgabe, die sie sich gestellt hatte, doch fest
entschlossen, sie durchzuführen.

Vor einem einstöckigen Bau inmitten eines Hofes, wo ein Schwein sich in
der Jaucheupfütze wälzte, blieb ihr Führer stehen.

Hier wohnt Claus Harmsen, sagte er grinsend. Es schien seinem Ver¬
ständnis der Gegensatz zwischen dem Ort der Handlung und der Person der
Wohlthäterin immer mehr als ein belustigender einzuleuchten, und er stand, die
Hände in den Hosentaschen, wie zu einer Gratisvorstellung von Dorfkomödianten
geladen da.

Gräfin Sibylle gebot ihm, draußen zu warten, und öffnete die Hausthür,
durch welche sie sofort in die Küche trat, einen gepflasterten Raum, wo an einem
kalten Herde ein junges Frauenzimmer mit einem Kinde an der Brust auf einem
Schemel saß. Zwei größere Kinder spielten am Boden mit einigen Ferkeln,
die beim Öffnen der Thür quiekend an der Gräfin vorbei ins Freie stürzten.
Die Küche war eng und nur schwach erhellt durch ein kleines Fenster, dessen
Scheiben von Staub und Spinnweben bedeckt waren. Gräfin Sibyllens erster
Gedanke war der des Erstaunens darüber, daß ein so kleiner Raum so ungeheuer
viel Schmutz zu beherbergen imstande sei.

Ist Euer Mann nicht zu Hause, meine gute Frau? fragte sie.

Was soll mein Mann? fragte das Frauenzimmer. Sie war mißtrauisch,
denn die Fragen nach ihrem Gatten von seiten Höhergestellter zeigten nach ihrer
Erfahrung nur bevorstehende Strafen an und wurden am besten durch die
äußerste Zurückhaltung beantwortet.

Ich nehme Anteil an Eurer Armut, meine gute Frau, sagte Gräfin Si¬
bylle, welche sich vorsichtiger Weise auf der Schwelle der offenen Thür hielt.
Es ist meine Absicht, Euch zu helfen, wenn ich kann.

Das Frauenzimmer, durch das hereinfallende Licht geblendet, hielt die
Hand über die Augen und starrte den Besuch schweigend an. Das blasse Ge¬
sicht des armen Weibes war nicht häßlich, und die melancholischen Augen hätten
wohl, wenn das Glück ihnen seinen Schein hätte verleihen wollen, angenehm
und lieblich blicken können. Aber das Elend hatte sie blöde gemacht und hatte


Die Grafen von Altenschwerdt.

nehmen im Pfarrhause, wenig liebevolle Teilnahme. Mit kaltem Auge und
kurzem Wort reichte sie den gebrechlichen Männern und zerlumpten Weibern,
die sie in den niedrigen, unreinlichen Räumen vorfand, eine Gabe und eilte,
wieder hinauszukommen.

Führe mich jetzt zunächst zum Hause des Claus Harmsen, sagte sie ge¬
bieterisch zu dem Burschen, als sie die dritte Hütte verlassen hatte.

Sie war angewidert von dem Anblick der kümmerlichen und unschönen
Existenzen, von der Finsternis und dem Übeln Geruch der erbärmlichen Woh¬
nungen, die sie betreten hatte, und sie fühlte eine unsägliche Verachtung gegen
dies Volk mit seinen schlechten Manieren. Mit gerunzelten Brauen schritt sie
weiter, peinlich berührt von der Aufgabe, die sie sich gestellt hatte, doch fest
entschlossen, sie durchzuführen.

Vor einem einstöckigen Bau inmitten eines Hofes, wo ein Schwein sich in
der Jaucheupfütze wälzte, blieb ihr Führer stehen.

Hier wohnt Claus Harmsen, sagte er grinsend. Es schien seinem Ver¬
ständnis der Gegensatz zwischen dem Ort der Handlung und der Person der
Wohlthäterin immer mehr als ein belustigender einzuleuchten, und er stand, die
Hände in den Hosentaschen, wie zu einer Gratisvorstellung von Dorfkomödianten
geladen da.

Gräfin Sibylle gebot ihm, draußen zu warten, und öffnete die Hausthür,
durch welche sie sofort in die Küche trat, einen gepflasterten Raum, wo an einem
kalten Herde ein junges Frauenzimmer mit einem Kinde an der Brust auf einem
Schemel saß. Zwei größere Kinder spielten am Boden mit einigen Ferkeln,
die beim Öffnen der Thür quiekend an der Gräfin vorbei ins Freie stürzten.
Die Küche war eng und nur schwach erhellt durch ein kleines Fenster, dessen
Scheiben von Staub und Spinnweben bedeckt waren. Gräfin Sibyllens erster
Gedanke war der des Erstaunens darüber, daß ein so kleiner Raum so ungeheuer
viel Schmutz zu beherbergen imstande sei.

Ist Euer Mann nicht zu Hause, meine gute Frau? fragte sie.

Was soll mein Mann? fragte das Frauenzimmer. Sie war mißtrauisch,
denn die Fragen nach ihrem Gatten von seiten Höhergestellter zeigten nach ihrer
Erfahrung nur bevorstehende Strafen an und wurden am besten durch die
äußerste Zurückhaltung beantwortet.

Ich nehme Anteil an Eurer Armut, meine gute Frau, sagte Gräfin Si¬
bylle, welche sich vorsichtiger Weise auf der Schwelle der offenen Thür hielt.
Es ist meine Absicht, Euch zu helfen, wenn ich kann.

Das Frauenzimmer, durch das hereinfallende Licht geblendet, hielt die
Hand über die Augen und starrte den Besuch schweigend an. Das blasse Ge¬
sicht des armen Weibes war nicht häßlich, und die melancholischen Augen hätten
wohl, wenn das Glück ihnen seinen Schein hätte verleihen wollen, angenehm
und lieblich blicken können. Aber das Elend hatte sie blöde gemacht und hatte


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[0663] Die Grafen von Altenschwerdt. nehmen im Pfarrhause, wenig liebevolle Teilnahme. Mit kaltem Auge und kurzem Wort reichte sie den gebrechlichen Männern und zerlumpten Weibern, die sie in den niedrigen, unreinlichen Räumen vorfand, eine Gabe und eilte, wieder hinauszukommen. Führe mich jetzt zunächst zum Hause des Claus Harmsen, sagte sie ge¬ bieterisch zu dem Burschen, als sie die dritte Hütte verlassen hatte. Sie war angewidert von dem Anblick der kümmerlichen und unschönen Existenzen, von der Finsternis und dem Übeln Geruch der erbärmlichen Woh¬ nungen, die sie betreten hatte, und sie fühlte eine unsägliche Verachtung gegen dies Volk mit seinen schlechten Manieren. Mit gerunzelten Brauen schritt sie weiter, peinlich berührt von der Aufgabe, die sie sich gestellt hatte, doch fest entschlossen, sie durchzuführen. Vor einem einstöckigen Bau inmitten eines Hofes, wo ein Schwein sich in der Jaucheupfütze wälzte, blieb ihr Führer stehen. Hier wohnt Claus Harmsen, sagte er grinsend. Es schien seinem Ver¬ ständnis der Gegensatz zwischen dem Ort der Handlung und der Person der Wohlthäterin immer mehr als ein belustigender einzuleuchten, und er stand, die Hände in den Hosentaschen, wie zu einer Gratisvorstellung von Dorfkomödianten geladen da. Gräfin Sibylle gebot ihm, draußen zu warten, und öffnete die Hausthür, durch welche sie sofort in die Küche trat, einen gepflasterten Raum, wo an einem kalten Herde ein junges Frauenzimmer mit einem Kinde an der Brust auf einem Schemel saß. Zwei größere Kinder spielten am Boden mit einigen Ferkeln, die beim Öffnen der Thür quiekend an der Gräfin vorbei ins Freie stürzten. Die Küche war eng und nur schwach erhellt durch ein kleines Fenster, dessen Scheiben von Staub und Spinnweben bedeckt waren. Gräfin Sibyllens erster Gedanke war der des Erstaunens darüber, daß ein so kleiner Raum so ungeheuer viel Schmutz zu beherbergen imstande sei. Ist Euer Mann nicht zu Hause, meine gute Frau? fragte sie. Was soll mein Mann? fragte das Frauenzimmer. Sie war mißtrauisch, denn die Fragen nach ihrem Gatten von seiten Höhergestellter zeigten nach ihrer Erfahrung nur bevorstehende Strafen an und wurden am besten durch die äußerste Zurückhaltung beantwortet. Ich nehme Anteil an Eurer Armut, meine gute Frau, sagte Gräfin Si¬ bylle, welche sich vorsichtiger Weise auf der Schwelle der offenen Thür hielt. Es ist meine Absicht, Euch zu helfen, wenn ich kann. Das Frauenzimmer, durch das hereinfallende Licht geblendet, hielt die Hand über die Augen und starrte den Besuch schweigend an. Das blasse Ge¬ sicht des armen Weibes war nicht häßlich, und die melancholischen Augen hätten wohl, wenn das Glück ihnen seinen Schein hätte verleihen wollen, angenehm und lieblich blicken können. Aber das Elend hatte sie blöde gemacht und hatte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/663>, abgerufen am 23.07.2024.