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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwedtr,

besuchen, Frau Gräfin, Geld würde bei ihm übel angebracht sein, weil er es
sicher vertrinkt, und daß Worte bei ihm Nutzen haben könnten, muß ich sehr
bezweifeln.

Schrecklich! sagte die Gräfin. Aber wüßten Sie nicht Leute, lieber Herr
Pfarrer, die dem christlichen Worte zugänglicher wären als dieser im Laster des
Trunkes verkommene Mensch?

Der Pfarrer las wieder in seinem Verzeichnis, lehnte sich in seinem Stuhl
zurück und schüttelte traurig den Kopf.

Wenn ich so die Reihe der Armen und Elenden durchmustere, kommt mir
oft der Zweifel, ob es überhaupt in menschlicher Macht steht, einen dieser Ge¬
fallenen zu bessern. Vielleicht liegt es an meiner ungenügenden geistlichen
Kraft -- aber, wenn ich meine Wirksamkeit ernstlich prüfe, muß ich mir ein¬
gestehen, daß da nicht ein einziger ist, von dem ich sagen könnte, daß ihn meine
Predigt gebessert hätte.

Indem er so sprach, schien er ganz die Gegenwart seines Besuches ver¬
gessen zu haben und nur mit den eignen Gedanken beschäftigt zu sein, dit ihn
immer wieder auf den Punkt führten, wo er an seinem Berufe unter dem un¬
gebildeten Volke zweifelte.

Die Gräfin war verwundert über diese mangelnde Zuversicht des Pfarrers
und über die Offenheit, mit welcher er sie eingestand. Dies war ein Mann,
dachte sie, der seinen Geist mit Vorliebe auf überirdische Sphären lenkte und
für die Wirklichkeit des Lebens nicht taugte. Es war ihr jedoch nicht unlieb,
bei ihrem'Vorhaben gerade auf einen solchen gestoßen zu sein.

Sie unterschätzen gewiß Ihre Wirksamkeit, Herr Pfarrer, sagte sie, und
ich bin überzeugt, daß manche der Gnadenwirkungen, die Sie geneigt sind allein
dem Höchsten zuzuschreiben, durch Ihre Worte und Ihr Beispiel doch wenigstens
sehr gefordert wurden. Oder sollten in Ihrer Gemeinde solche Gnadenwirkungen
ganz gefehlt haben?

Es wäre undankbar von mir, undankbar gegen Gott, wenn ich das be¬
haupten wollte, entgegnete er lebhaft. Aber doch, Frau Gräfin, wenn ich den
Zustand unter diesen Leuten bedenke, möchte ich Ihnen raten, mir lieber die
Summe anzuvertrauen, welche Sie in Ihrer Großmut zu schenken beschlossen
haben, damit ich das Geld mit Hilfe der Gemeindeverwaltung verleite. Ich
glaube, daß es auf diese Weise leichter in die richtigen Hände gelangen
würde.

Mein Verdienst, wenn ich überhaupt von einem Verdienst reden darf, würde
hierdurch um die Hälfte geschmälert werden, versetzte die Gräfin. Ich gehöre
nicht zu jenen Personen, welche sich der Wohlthätigkeit als einer sauern Pflicht
entledigen und sie abkaufen mögen. Im Gegenteil glaube ich, daß die von
Gott bevorzugten Stände eine große Schuld an den Sünden der Armut da¬
durch tragen, daß sie sich scheuen, persönlich sich mit dem Elend bekannt zu


Die Grafen von Altenschwedtr,

besuchen, Frau Gräfin, Geld würde bei ihm übel angebracht sein, weil er es
sicher vertrinkt, und daß Worte bei ihm Nutzen haben könnten, muß ich sehr
bezweifeln.

Schrecklich! sagte die Gräfin. Aber wüßten Sie nicht Leute, lieber Herr
Pfarrer, die dem christlichen Worte zugänglicher wären als dieser im Laster des
Trunkes verkommene Mensch?

Der Pfarrer las wieder in seinem Verzeichnis, lehnte sich in seinem Stuhl
zurück und schüttelte traurig den Kopf.

Wenn ich so die Reihe der Armen und Elenden durchmustere, kommt mir
oft der Zweifel, ob es überhaupt in menschlicher Macht steht, einen dieser Ge¬
fallenen zu bessern. Vielleicht liegt es an meiner ungenügenden geistlichen
Kraft — aber, wenn ich meine Wirksamkeit ernstlich prüfe, muß ich mir ein¬
gestehen, daß da nicht ein einziger ist, von dem ich sagen könnte, daß ihn meine
Predigt gebessert hätte.

Indem er so sprach, schien er ganz die Gegenwart seines Besuches ver¬
gessen zu haben und nur mit den eignen Gedanken beschäftigt zu sein, dit ihn
immer wieder auf den Punkt führten, wo er an seinem Berufe unter dem un¬
gebildeten Volke zweifelte.

Die Gräfin war verwundert über diese mangelnde Zuversicht des Pfarrers
und über die Offenheit, mit welcher er sie eingestand. Dies war ein Mann,
dachte sie, der seinen Geist mit Vorliebe auf überirdische Sphären lenkte und
für die Wirklichkeit des Lebens nicht taugte. Es war ihr jedoch nicht unlieb,
bei ihrem'Vorhaben gerade auf einen solchen gestoßen zu sein.

Sie unterschätzen gewiß Ihre Wirksamkeit, Herr Pfarrer, sagte sie, und
ich bin überzeugt, daß manche der Gnadenwirkungen, die Sie geneigt sind allein
dem Höchsten zuzuschreiben, durch Ihre Worte und Ihr Beispiel doch wenigstens
sehr gefordert wurden. Oder sollten in Ihrer Gemeinde solche Gnadenwirkungen
ganz gefehlt haben?

Es wäre undankbar von mir, undankbar gegen Gott, wenn ich das be¬
haupten wollte, entgegnete er lebhaft. Aber doch, Frau Gräfin, wenn ich den
Zustand unter diesen Leuten bedenke, möchte ich Ihnen raten, mir lieber die
Summe anzuvertrauen, welche Sie in Ihrer Großmut zu schenken beschlossen
haben, damit ich das Geld mit Hilfe der Gemeindeverwaltung verleite. Ich
glaube, daß es auf diese Weise leichter in die richtigen Hände gelangen
würde.

Mein Verdienst, wenn ich überhaupt von einem Verdienst reden darf, würde
hierdurch um die Hälfte geschmälert werden, versetzte die Gräfin. Ich gehöre
nicht zu jenen Personen, welche sich der Wohlthätigkeit als einer sauern Pflicht
entledigen und sie abkaufen mögen. Im Gegenteil glaube ich, daß die von
Gott bevorzugten Stände eine große Schuld an den Sünden der Armut da¬
durch tragen, daß sie sich scheuen, persönlich sich mit dem Elend bekannt zu


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[0661] Die Grafen von Altenschwedtr, besuchen, Frau Gräfin, Geld würde bei ihm übel angebracht sein, weil er es sicher vertrinkt, und daß Worte bei ihm Nutzen haben könnten, muß ich sehr bezweifeln. Schrecklich! sagte die Gräfin. Aber wüßten Sie nicht Leute, lieber Herr Pfarrer, die dem christlichen Worte zugänglicher wären als dieser im Laster des Trunkes verkommene Mensch? Der Pfarrer las wieder in seinem Verzeichnis, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schüttelte traurig den Kopf. Wenn ich so die Reihe der Armen und Elenden durchmustere, kommt mir oft der Zweifel, ob es überhaupt in menschlicher Macht steht, einen dieser Ge¬ fallenen zu bessern. Vielleicht liegt es an meiner ungenügenden geistlichen Kraft — aber, wenn ich meine Wirksamkeit ernstlich prüfe, muß ich mir ein¬ gestehen, daß da nicht ein einziger ist, von dem ich sagen könnte, daß ihn meine Predigt gebessert hätte. Indem er so sprach, schien er ganz die Gegenwart seines Besuches ver¬ gessen zu haben und nur mit den eignen Gedanken beschäftigt zu sein, dit ihn immer wieder auf den Punkt führten, wo er an seinem Berufe unter dem un¬ gebildeten Volke zweifelte. Die Gräfin war verwundert über diese mangelnde Zuversicht des Pfarrers und über die Offenheit, mit welcher er sie eingestand. Dies war ein Mann, dachte sie, der seinen Geist mit Vorliebe auf überirdische Sphären lenkte und für die Wirklichkeit des Lebens nicht taugte. Es war ihr jedoch nicht unlieb, bei ihrem'Vorhaben gerade auf einen solchen gestoßen zu sein. Sie unterschätzen gewiß Ihre Wirksamkeit, Herr Pfarrer, sagte sie, und ich bin überzeugt, daß manche der Gnadenwirkungen, die Sie geneigt sind allein dem Höchsten zuzuschreiben, durch Ihre Worte und Ihr Beispiel doch wenigstens sehr gefordert wurden. Oder sollten in Ihrer Gemeinde solche Gnadenwirkungen ganz gefehlt haben? Es wäre undankbar von mir, undankbar gegen Gott, wenn ich das be¬ haupten wollte, entgegnete er lebhaft. Aber doch, Frau Gräfin, wenn ich den Zustand unter diesen Leuten bedenke, möchte ich Ihnen raten, mir lieber die Summe anzuvertrauen, welche Sie in Ihrer Großmut zu schenken beschlossen haben, damit ich das Geld mit Hilfe der Gemeindeverwaltung verleite. Ich glaube, daß es auf diese Weise leichter in die richtigen Hände gelangen würde. Mein Verdienst, wenn ich überhaupt von einem Verdienst reden darf, würde hierdurch um die Hälfte geschmälert werden, versetzte die Gräfin. Ich gehöre nicht zu jenen Personen, welche sich der Wohlthätigkeit als einer sauern Pflicht entledigen und sie abkaufen mögen. Im Gegenteil glaube ich, daß die von Gott bevorzugten Stände eine große Schuld an den Sünden der Armut da¬ durch tragen, daß sie sich scheuen, persönlich sich mit dem Elend bekannt zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/661>, abgerufen am 23.07.2024.