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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

empfehlen. Der Blick des Generals fiel ihm wieder ein, und er wollte seine
Anwesenheit nicht über die Gebühr verlängern. Aber heute wandte sich alles
nach seinen Wünschen, selbst nach denen, die er sich selbst nicht zu gestehen wagte.

Der Baron war sehr guter Laune. Er hatte dem General eine sehr lange
dauernde Schachpartie, welche zu verschiedenen malen höchst kritisch gestanden
hatte, endlich glücklich abgewonnen und saß im Triumph des Siegers da. Er
hatte den Fischfang, die Seefahrt seiner Tochter und die Rückkehr "ach Eich¬
hausen darüber völlig vergessen.

Einmal stand es schlimm, sagte er zu Eberhardt. Sehen Sie, so stand
die Partie: Hier die feindliche Königin, hier mein König ganz versperrt und
für diesen unglücklichen Bauer nur eine einzige Deckung. Hätten Eure Excellenz
die Thürme doublirt, so wäre ich verloren gewesen. Das war es, was ich
fürchtete. Aber mein Läuferzug lenkte den zweiten Thurm ab.

Ich bitte um Verzeihung, verehrter Herr Nachbar, sagte der General, der
Läufer genirte mich nicht im geringsten, und das Doubliren der Thürme hätte
mir nichts geholfen. Nein, der Schwerpunkt der Partie lag im Springer, und
den haben Sie, wie ich gestehen muß, mit einer erstaunlichen Schlauheit ver¬
wendet.

Der Baron konnte sich dieser Auffassung nicht anschließen. Er hatte ge¬
wonnen, wollte jedoch beweisen, daß der Gegner hätte gewinnen müssen, wenn
er seine, des Barons, Klugheit besessen hätte. Er stellte die Partie um fünf
Züge rückwärts wieder auf und appellirte an Eberhardts Urteil. Indem dieser
mit kritischem Blick die Stellung der Parteien musterte, drang ein leises Husten
an sein Ohr. Er sah Dorothea im Hintergrunde stehen, ein allerliebstes, mali-
tiöses Lächeln ihm herübersendend.

Das Urteil über die Partie war schwierig, und Eberhardt besann sich lange.
Ja, sagte er endlich, wenn ich alle Chancen vergleiche, neige ich auch zu der
Ansicht, daß das Doubliren der Thürme der Sache eine andre Wendung ge¬
geben haben würde, dabei ist aber --

O Doktor aller Fakultäten! sagte eine leise Stimme im Hintergrunde.

Sagtest du etwas, mein Kind? fragte der Baron aufblickend. Doch war¬
tete er die Antwort nicht ab, denn er war zu sehr an das Schachbret gefesselt.
Sehen Sie, Herr Graf, sagte er triumphirend, das Doubliren der Thürme,
darin lag es, das war immer meine Meinung.

Nun, sagte der General lächelnd, mir scheint es jetzt wirklich auch so, als
ob das Doubliren von Bedeutung wäre.

Baron Sextus sah mit erhöhtem Genuß auf die Figuren, die er so ge¬
schickt geführt hatte, und bestärkte sich in der Meinung, daß nach ihm selber
wohl Herr Eschenburg der feinste Spieler sei. Er drehte lachend den grauen
Schnurrbart und nickte dem jungen Manne zu. Doch fiel ihm jetzt ein, daß
es dunkel geworden sei, und er erinnerte an die Abfahrt.


Die Grafen von Altenschwerdt.

empfehlen. Der Blick des Generals fiel ihm wieder ein, und er wollte seine
Anwesenheit nicht über die Gebühr verlängern. Aber heute wandte sich alles
nach seinen Wünschen, selbst nach denen, die er sich selbst nicht zu gestehen wagte.

Der Baron war sehr guter Laune. Er hatte dem General eine sehr lange
dauernde Schachpartie, welche zu verschiedenen malen höchst kritisch gestanden
hatte, endlich glücklich abgewonnen und saß im Triumph des Siegers da. Er
hatte den Fischfang, die Seefahrt seiner Tochter und die Rückkehr »ach Eich¬
hausen darüber völlig vergessen.

Einmal stand es schlimm, sagte er zu Eberhardt. Sehen Sie, so stand
die Partie: Hier die feindliche Königin, hier mein König ganz versperrt und
für diesen unglücklichen Bauer nur eine einzige Deckung. Hätten Eure Excellenz
die Thürme doublirt, so wäre ich verloren gewesen. Das war es, was ich
fürchtete. Aber mein Läuferzug lenkte den zweiten Thurm ab.

Ich bitte um Verzeihung, verehrter Herr Nachbar, sagte der General, der
Läufer genirte mich nicht im geringsten, und das Doubliren der Thürme hätte
mir nichts geholfen. Nein, der Schwerpunkt der Partie lag im Springer, und
den haben Sie, wie ich gestehen muß, mit einer erstaunlichen Schlauheit ver¬
wendet.

Der Baron konnte sich dieser Auffassung nicht anschließen. Er hatte ge¬
wonnen, wollte jedoch beweisen, daß der Gegner hätte gewinnen müssen, wenn
er seine, des Barons, Klugheit besessen hätte. Er stellte die Partie um fünf
Züge rückwärts wieder auf und appellirte an Eberhardts Urteil. Indem dieser
mit kritischem Blick die Stellung der Parteien musterte, drang ein leises Husten
an sein Ohr. Er sah Dorothea im Hintergrunde stehen, ein allerliebstes, mali-
tiöses Lächeln ihm herübersendend.

Das Urteil über die Partie war schwierig, und Eberhardt besann sich lange.
Ja, sagte er endlich, wenn ich alle Chancen vergleiche, neige ich auch zu der
Ansicht, daß das Doubliren der Thürme der Sache eine andre Wendung ge¬
geben haben würde, dabei ist aber —

O Doktor aller Fakultäten! sagte eine leise Stimme im Hintergrunde.

Sagtest du etwas, mein Kind? fragte der Baron aufblickend. Doch war¬
tete er die Antwort nicht ab, denn er war zu sehr an das Schachbret gefesselt.
Sehen Sie, Herr Graf, sagte er triumphirend, das Doubliren der Thürme,
darin lag es, das war immer meine Meinung.

Nun, sagte der General lächelnd, mir scheint es jetzt wirklich auch so, als
ob das Doubliren von Bedeutung wäre.

Baron Sextus sah mit erhöhtem Genuß auf die Figuren, die er so ge¬
schickt geführt hatte, und bestärkte sich in der Meinung, daß nach ihm selber
wohl Herr Eschenburg der feinste Spieler sei. Er drehte lachend den grauen
Schnurrbart und nickte dem jungen Manne zu. Doch fiel ihm jetzt ein, daß
es dunkel geworden sei, und er erinnerte an die Abfahrt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/656>, abgerufen am 25.08.2024.