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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.
Roman von August Niemann (Fortsetzung.)

orothea hörte mit süßer Hingebung Eberhardts Worten zu und
unterbrach ihn, zu glücklich über den Ausbruch seiner Empfin¬
dungen, mit keiner Silbe und keiner Bewegung. Das sanfte Hin¬
gleiten auf dem Wasser, das gelinde Schaukeln der Wellen wiegte
sie, von der Musik so angenehmer Worte begleitet, in eine über-
schwänglich selige Empfindung, die sie für ewig hätte verlängern mögen. Sie
sah in die tiefen blauen Augen des geliebten Mannes, aus denen die wahrste,
heißeste Neigung sprach, wie in das Licht eines verheißungsvoll lockenden Sternes,
und sür diesen Augenblick trübte keine der Welterfahrung entkeimende Besorgnis
ihr reines Glück.

Denn es giebt eine Furcht, die mich oft befällt, fuhr er nach langem
Schweigen fort, nämlich die, daß die Ansprüche der Gesellschaft trennend zwischen
uns treten könnten. Wer bin ich, daß ich meine Augen zu einer so vornehmen
Dame erheben darf? Ach, ich sehe oft im Geist meine glänzende Dorothea in
einem Kreise, der zu stolz ist, als daß mein Name darin genannt werden dürfte,
und sehe sie selbst lächelnd zurückblicken auf ein Gefühl, das in ländlicher Ein¬
samkeit entstand. Ich darf mich nicht darüber täuschen, daß die Welt mir
feindlich ist und daß sie eine große Macht besitzt. In der Abgeschiedenheit
blühen die echten Leidenschaften auf, sie ist ein guter Boden für so viel ver¬
langende Pflanzen. Aber in der Welt gilt die Leidenschaft nicht, denn die
Vielfältigkeit der Eindrücke gestattet keinem Gefühl solche Tiefe und Breite, wie
die Liebe verlangt, und die Gesellschaft entnervt mit ihrer Klugheit auch die
kräftigste Seele.

Wie weise Sie reden, mein Freund, und doch wie thöricht, sagte Dorothea.
Sind Sie so bekannt mit der Welt und mit meinem Herzen? Verlangen Sie,




Die Grafen von Altenschwerdt.
Roman von August Niemann (Fortsetzung.)

orothea hörte mit süßer Hingebung Eberhardts Worten zu und
unterbrach ihn, zu glücklich über den Ausbruch seiner Empfin¬
dungen, mit keiner Silbe und keiner Bewegung. Das sanfte Hin¬
gleiten auf dem Wasser, das gelinde Schaukeln der Wellen wiegte
sie, von der Musik so angenehmer Worte begleitet, in eine über-
schwänglich selige Empfindung, die sie für ewig hätte verlängern mögen. Sie
sah in die tiefen blauen Augen des geliebten Mannes, aus denen die wahrste,
heißeste Neigung sprach, wie in das Licht eines verheißungsvoll lockenden Sternes,
und sür diesen Augenblick trübte keine der Welterfahrung entkeimende Besorgnis
ihr reines Glück.

Denn es giebt eine Furcht, die mich oft befällt, fuhr er nach langem
Schweigen fort, nämlich die, daß die Ansprüche der Gesellschaft trennend zwischen
uns treten könnten. Wer bin ich, daß ich meine Augen zu einer so vornehmen
Dame erheben darf? Ach, ich sehe oft im Geist meine glänzende Dorothea in
einem Kreise, der zu stolz ist, als daß mein Name darin genannt werden dürfte,
und sehe sie selbst lächelnd zurückblicken auf ein Gefühl, das in ländlicher Ein¬
samkeit entstand. Ich darf mich nicht darüber täuschen, daß die Welt mir
feindlich ist und daß sie eine große Macht besitzt. In der Abgeschiedenheit
blühen die echten Leidenschaften auf, sie ist ein guter Boden für so viel ver¬
langende Pflanzen. Aber in der Welt gilt die Leidenschaft nicht, denn die
Vielfältigkeit der Eindrücke gestattet keinem Gefühl solche Tiefe und Breite, wie
die Liebe verlangt, und die Gesellschaft entnervt mit ihrer Klugheit auch die
kräftigste Seele.

Wie weise Sie reden, mein Freund, und doch wie thöricht, sagte Dorothea.
Sind Sie so bekannt mit der Welt und mit meinem Herzen? Verlangen Sie,


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[0653] [Abbildung] Die Grafen von Altenschwerdt. Roman von August Niemann (Fortsetzung.) orothea hörte mit süßer Hingebung Eberhardts Worten zu und unterbrach ihn, zu glücklich über den Ausbruch seiner Empfin¬ dungen, mit keiner Silbe und keiner Bewegung. Das sanfte Hin¬ gleiten auf dem Wasser, das gelinde Schaukeln der Wellen wiegte sie, von der Musik so angenehmer Worte begleitet, in eine über- schwänglich selige Empfindung, die sie für ewig hätte verlängern mögen. Sie sah in die tiefen blauen Augen des geliebten Mannes, aus denen die wahrste, heißeste Neigung sprach, wie in das Licht eines verheißungsvoll lockenden Sternes, und sür diesen Augenblick trübte keine der Welterfahrung entkeimende Besorgnis ihr reines Glück. Denn es giebt eine Furcht, die mich oft befällt, fuhr er nach langem Schweigen fort, nämlich die, daß die Ansprüche der Gesellschaft trennend zwischen uns treten könnten. Wer bin ich, daß ich meine Augen zu einer so vornehmen Dame erheben darf? Ach, ich sehe oft im Geist meine glänzende Dorothea in einem Kreise, der zu stolz ist, als daß mein Name darin genannt werden dürfte, und sehe sie selbst lächelnd zurückblicken auf ein Gefühl, das in ländlicher Ein¬ samkeit entstand. Ich darf mich nicht darüber täuschen, daß die Welt mir feindlich ist und daß sie eine große Macht besitzt. In der Abgeschiedenheit blühen die echten Leidenschaften auf, sie ist ein guter Boden für so viel ver¬ langende Pflanzen. Aber in der Welt gilt die Leidenschaft nicht, denn die Vielfältigkeit der Eindrücke gestattet keinem Gefühl solche Tiefe und Breite, wie die Liebe verlangt, und die Gesellschaft entnervt mit ihrer Klugheit auch die kräftigste Seele. Wie weise Sie reden, mein Freund, und doch wie thöricht, sagte Dorothea. Sind Sie so bekannt mit der Welt und mit meinem Herzen? Verlangen Sie,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/653>, abgerufen am 03.07.2024.