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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Goethe und die Koryphäen der heutigen Naturwissenschaft.

schwarzem Grunde ansieht, so wird sein Bild seitlich verschoben. Dadurch ent¬
steht an den Grenzen desselben rechts und links ein Zusammenwirken von
Schwarz und Weiß, und daher die farbigen Ränder, einerseits blau-violett,
andrerseits rot-gelb. Schopenhauer führte dies Beispiel in materiellerm Sinne
aus, indem er sagte: An dem einen Rande spielt das Bild des weißen Vierecks,
indem es über den schwarzen Grund hinüber sich ausbreitet, die Rolle eines
trüben Mediums, welches bekanntlich wie der Rauch vor dem dunkeln Horizont,
von der Sonne beschienen, Blau hervorruft. An dem andern Rande bleibt das
weiße Bild unter dem schwarzen Grunde stecken,' oder dieser breitet sich darüber
aus (warum, ist nicht gesagt), und nun ist wieder das Rot-Gelb daraus zu er¬
klären, daß eine trübe Schicht vor einem hellen Hintergrunde liegt wie bei der
Abendröte. Diese Erläuterung seiner Theorie that Goethe sofort mit den Worten
ab: "Gut Gedachtes in fremden Adern wird sofort mit dir selber hadern";
worüber Schopenhauer sich allerdings stark ärgerte, aber doch nicht bekehrte.
Er hatte Goethe gegenüber dieselbe Naivetät wie Fichte Kant gegenüber. Beide
behaupteten ihren Meister besser zu verstehen als dieser sich selbst.

Wenn man sagt, die Goethischen UrPhänomene, wie durch trübe Mittel
zwischen dem Beobachter und dem Hintergründe Gelb und Rot und andrerseits
Blau entständen, seien durch Brückes Untersuchungen über die atmosphärischen
Einflüsse auf das Licht widerlegt, so ist das ein Irrtum, dessen selbst Brücke sich
niemals gerühmt hat. Es verdient natürlich volle Anerkennung, daß er die
physikalischen Ursachen zu den von Goethe beschriebenen Phänomenen nach¬
gewiesen hat, aber dadurch ist Goethes Beschreibung der Phänomene nicht wider¬
legt, sondern nur von physikalischer Seite fester begründet.

Ob Goethe auch Recht hatte mit seiner Polemik gegen die Physiker, ist
eine ganz andre Frage als die, ob er ein Recht hatte, seine Farbenlehre als
ein zusammenhängendes System von Beobachtungen aufzustellen. Wenn Helm-
holtz eine Auslese von leidenschaftlich gefärbten Äußerungen Goethes (bis zum
Unglaublichen unverschämt -- barer Unsinn -- fratzenhafte Erklärungsart --
höchlich bewundernswert für die Schüler auf der Laufbank -- ich sehe wohl,
Lügen bedarf's und über die Maßen) zusammenstellte, um nachzuweisen, wie
er gegen Newton, diesen größten Denker in der Physik und Astronomie, ge¬
sündigt habe, so hat er damit allerdings erreicht, daß das deutsche Publikum
weit und breit überzeugt ist von Goethes illoyaler Kampfesweise in wissenschaft¬
lichen Sachen. Allein diese Darstellung ist ungerecht. In dem, was Goethe
selbst hat drucken lassen, in seiner eigentlich wissenschaftlichen Polemik gegen
Newton sind derartige Ausfälle nicht enthalten. Im Gegenteil sucht er die
großen Erfolge der Newtonschen Farbenlehre durch die Genialität und die geistige
überlegene Kraft des großen Denkers zu erklären, welche fortreißend und be¬
stimmend auf die Nachwelt wirken mußten. Wenn Goethe später nach jahr¬
zehntelangen vergeblichen Bemühungen, für seine Anschauungen bei den Phy-


Goethe und die Koryphäen der heutigen Naturwissenschaft.

schwarzem Grunde ansieht, so wird sein Bild seitlich verschoben. Dadurch ent¬
steht an den Grenzen desselben rechts und links ein Zusammenwirken von
Schwarz und Weiß, und daher die farbigen Ränder, einerseits blau-violett,
andrerseits rot-gelb. Schopenhauer führte dies Beispiel in materiellerm Sinne
aus, indem er sagte: An dem einen Rande spielt das Bild des weißen Vierecks,
indem es über den schwarzen Grund hinüber sich ausbreitet, die Rolle eines
trüben Mediums, welches bekanntlich wie der Rauch vor dem dunkeln Horizont,
von der Sonne beschienen, Blau hervorruft. An dem andern Rande bleibt das
weiße Bild unter dem schwarzen Grunde stecken,' oder dieser breitet sich darüber
aus (warum, ist nicht gesagt), und nun ist wieder das Rot-Gelb daraus zu er¬
klären, daß eine trübe Schicht vor einem hellen Hintergrunde liegt wie bei der
Abendröte. Diese Erläuterung seiner Theorie that Goethe sofort mit den Worten
ab: „Gut Gedachtes in fremden Adern wird sofort mit dir selber hadern";
worüber Schopenhauer sich allerdings stark ärgerte, aber doch nicht bekehrte.
Er hatte Goethe gegenüber dieselbe Naivetät wie Fichte Kant gegenüber. Beide
behaupteten ihren Meister besser zu verstehen als dieser sich selbst.

Wenn man sagt, die Goethischen UrPhänomene, wie durch trübe Mittel
zwischen dem Beobachter und dem Hintergründe Gelb und Rot und andrerseits
Blau entständen, seien durch Brückes Untersuchungen über die atmosphärischen
Einflüsse auf das Licht widerlegt, so ist das ein Irrtum, dessen selbst Brücke sich
niemals gerühmt hat. Es verdient natürlich volle Anerkennung, daß er die
physikalischen Ursachen zu den von Goethe beschriebenen Phänomenen nach¬
gewiesen hat, aber dadurch ist Goethes Beschreibung der Phänomene nicht wider¬
legt, sondern nur von physikalischer Seite fester begründet.

Ob Goethe auch Recht hatte mit seiner Polemik gegen die Physiker, ist
eine ganz andre Frage als die, ob er ein Recht hatte, seine Farbenlehre als
ein zusammenhängendes System von Beobachtungen aufzustellen. Wenn Helm-
holtz eine Auslese von leidenschaftlich gefärbten Äußerungen Goethes (bis zum
Unglaublichen unverschämt — barer Unsinn — fratzenhafte Erklärungsart —
höchlich bewundernswert für die Schüler auf der Laufbank — ich sehe wohl,
Lügen bedarf's und über die Maßen) zusammenstellte, um nachzuweisen, wie
er gegen Newton, diesen größten Denker in der Physik und Astronomie, ge¬
sündigt habe, so hat er damit allerdings erreicht, daß das deutsche Publikum
weit und breit überzeugt ist von Goethes illoyaler Kampfesweise in wissenschaft¬
lichen Sachen. Allein diese Darstellung ist ungerecht. In dem, was Goethe
selbst hat drucken lassen, in seiner eigentlich wissenschaftlichen Polemik gegen
Newton sind derartige Ausfälle nicht enthalten. Im Gegenteil sucht er die
großen Erfolge der Newtonschen Farbenlehre durch die Genialität und die geistige
überlegene Kraft des großen Denkers zu erklären, welche fortreißend und be¬
stimmend auf die Nachwelt wirken mußten. Wenn Goethe später nach jahr¬
zehntelangen vergeblichen Bemühungen, für seine Anschauungen bei den Phy-


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[0640] Goethe und die Koryphäen der heutigen Naturwissenschaft. schwarzem Grunde ansieht, so wird sein Bild seitlich verschoben. Dadurch ent¬ steht an den Grenzen desselben rechts und links ein Zusammenwirken von Schwarz und Weiß, und daher die farbigen Ränder, einerseits blau-violett, andrerseits rot-gelb. Schopenhauer führte dies Beispiel in materiellerm Sinne aus, indem er sagte: An dem einen Rande spielt das Bild des weißen Vierecks, indem es über den schwarzen Grund hinüber sich ausbreitet, die Rolle eines trüben Mediums, welches bekanntlich wie der Rauch vor dem dunkeln Horizont, von der Sonne beschienen, Blau hervorruft. An dem andern Rande bleibt das weiße Bild unter dem schwarzen Grunde stecken,' oder dieser breitet sich darüber aus (warum, ist nicht gesagt), und nun ist wieder das Rot-Gelb daraus zu er¬ klären, daß eine trübe Schicht vor einem hellen Hintergrunde liegt wie bei der Abendröte. Diese Erläuterung seiner Theorie that Goethe sofort mit den Worten ab: „Gut Gedachtes in fremden Adern wird sofort mit dir selber hadern"; worüber Schopenhauer sich allerdings stark ärgerte, aber doch nicht bekehrte. Er hatte Goethe gegenüber dieselbe Naivetät wie Fichte Kant gegenüber. Beide behaupteten ihren Meister besser zu verstehen als dieser sich selbst. Wenn man sagt, die Goethischen UrPhänomene, wie durch trübe Mittel zwischen dem Beobachter und dem Hintergründe Gelb und Rot und andrerseits Blau entständen, seien durch Brückes Untersuchungen über die atmosphärischen Einflüsse auf das Licht widerlegt, so ist das ein Irrtum, dessen selbst Brücke sich niemals gerühmt hat. Es verdient natürlich volle Anerkennung, daß er die physikalischen Ursachen zu den von Goethe beschriebenen Phänomenen nach¬ gewiesen hat, aber dadurch ist Goethes Beschreibung der Phänomene nicht wider¬ legt, sondern nur von physikalischer Seite fester begründet. Ob Goethe auch Recht hatte mit seiner Polemik gegen die Physiker, ist eine ganz andre Frage als die, ob er ein Recht hatte, seine Farbenlehre als ein zusammenhängendes System von Beobachtungen aufzustellen. Wenn Helm- holtz eine Auslese von leidenschaftlich gefärbten Äußerungen Goethes (bis zum Unglaublichen unverschämt — barer Unsinn — fratzenhafte Erklärungsart — höchlich bewundernswert für die Schüler auf der Laufbank — ich sehe wohl, Lügen bedarf's und über die Maßen) zusammenstellte, um nachzuweisen, wie er gegen Newton, diesen größten Denker in der Physik und Astronomie, ge¬ sündigt habe, so hat er damit allerdings erreicht, daß das deutsche Publikum weit und breit überzeugt ist von Goethes illoyaler Kampfesweise in wissenschaft¬ lichen Sachen. Allein diese Darstellung ist ungerecht. In dem, was Goethe selbst hat drucken lassen, in seiner eigentlich wissenschaftlichen Polemik gegen Newton sind derartige Ausfälle nicht enthalten. Im Gegenteil sucht er die großen Erfolge der Newtonschen Farbenlehre durch die Genialität und die geistige überlegene Kraft des großen Denkers zu erklären, welche fortreißend und be¬ stimmend auf die Nachwelt wirken mußten. Wenn Goethe später nach jahr¬ zehntelangen vergeblichen Bemühungen, für seine Anschauungen bei den Phy-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/640>, abgerufen am 23.07.2024.