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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Goethe und die Koryphäen der heutigen Naturwissenschaft.

mechanische Mittel zu enträtseln ist. Und nun können wir den Gegensatz zwischen
Goethes Standpunkt in der Farbenlehre und dem der Physiker aufs allerschärfste
hinstellen. Goethe wußte konform mit Kant, daß die ganze Welt der sinnlichen
Wahrnehmung nichts ist ohne den Hintergrund des Geistes. Den Geist aber
in seinem Wesen zu erkennen, dazu reicht unser menschlicher Verstand nicht aus.
Die Welt durchforschen und erkennen wir als der Gottheit lebendiges Kleid,
die Gottheit selbst nicht. Alles Mechanische ist unserm Verständnis zugänglich,
der letzte Grund davon aber bleibt uns Geheimnis selbst am hellen lichten
Tage. Licht und Farben sind gar nichts ohne unsre Empfindung, diese aber ist
eine Thätigkeit des menschlichen Geistes, also bleibt es immer bedenklich, von
ihrem letzten Grunde und Wesen zu reden, einem Geheimnis, das man nicht
völlig entschleiern kann. Seine Erscheinung ist zu beobachten und zu be¬
schreiben, da es


soviel es strebt,
Verhaftet an den Körpern klebt;
Von Körpern strömt's, die Körper macht es schön,
Ein Körper hemmt's auf seinem Gange.

Die UrPhänomene sind die einfachsten Fälle, wo Finsternis und Licht so zu¬
sammenwirken, daß Farben erscheinen, aus ihnen lassen sich alle komplizirten
Fälle ableiten. Auf diesem Wege bekommen wir ein zusammenhängendes System
von Erscheinungen, welches uns die Wirkung der Farben aus das menschliche
Gemüt ohne Widersprüche erklärt und folglich für alle Kunstbetrachtung von
der größten Bedeutung sein muß.

Die Physiker dagegen schließen von vornherein den Geist ganz aus von
ihrer Betrachtung. Sie fragen zuerst nach dem Stoff des Lichtes und nach den
mechanischen Gesetzen, denen er unterworfen sei. Die feine Materie, die Newton
von der Sonne ausstrahlen ließ, mußte einer womöglich noch feinern Platz
machen, die in Wellenschwingungen erzittert. Immer wird das Licht als etwas
für sich bestehendes Materielles behandelt, mit dem man so umgehen könne wie
mit einer chemischen Mischung. Sieben Arten farbiger Strahlen setzen das
weiße Licht zusammen, lassen sich wieder aus demselben ausscheiden, reinigen
und verunreinigen, wie man will, und wenn es nun gilt, ihre Wahrnehmung
durch die Sinne und ihr Verhältnis zum menschlichen Gemüt zu erklären, so
ist man erstaunt, daß man gar keinen geeigneten Zugang zu demselben finden
kann. Wohl mühen sich die Schüler aller Orten, die Entwicklung des mensch¬
lichen Farbensinnes durch die Jahrtausende hindurch aus den mechanischen
Kräften der verschiedenfarbigen Lichtstrahlen nachzuweisen, die "Realität der
Farbenempfindungen" durch chemische Prozesse in der Netzhaut wahrscheinlich
zu machen, zu zeigen, daß farbige Strahlen materiell in die Netzhaut und damit
in die Empfindung übergehen; aber zum Unglück aller dieser Bemühungen
findet sich immer sehr bald, nachdem sie aufgetaucht sind, eine Fülle so wider-


Goethe und die Koryphäen der heutigen Naturwissenschaft.

mechanische Mittel zu enträtseln ist. Und nun können wir den Gegensatz zwischen
Goethes Standpunkt in der Farbenlehre und dem der Physiker aufs allerschärfste
hinstellen. Goethe wußte konform mit Kant, daß die ganze Welt der sinnlichen
Wahrnehmung nichts ist ohne den Hintergrund des Geistes. Den Geist aber
in seinem Wesen zu erkennen, dazu reicht unser menschlicher Verstand nicht aus.
Die Welt durchforschen und erkennen wir als der Gottheit lebendiges Kleid,
die Gottheit selbst nicht. Alles Mechanische ist unserm Verständnis zugänglich,
der letzte Grund davon aber bleibt uns Geheimnis selbst am hellen lichten
Tage. Licht und Farben sind gar nichts ohne unsre Empfindung, diese aber ist
eine Thätigkeit des menschlichen Geistes, also bleibt es immer bedenklich, von
ihrem letzten Grunde und Wesen zu reden, einem Geheimnis, das man nicht
völlig entschleiern kann. Seine Erscheinung ist zu beobachten und zu be¬
schreiben, da es


soviel es strebt,
Verhaftet an den Körpern klebt;
Von Körpern strömt's, die Körper macht es schön,
Ein Körper hemmt's auf seinem Gange.

Die UrPhänomene sind die einfachsten Fälle, wo Finsternis und Licht so zu¬
sammenwirken, daß Farben erscheinen, aus ihnen lassen sich alle komplizirten
Fälle ableiten. Auf diesem Wege bekommen wir ein zusammenhängendes System
von Erscheinungen, welches uns die Wirkung der Farben aus das menschliche
Gemüt ohne Widersprüche erklärt und folglich für alle Kunstbetrachtung von
der größten Bedeutung sein muß.

Die Physiker dagegen schließen von vornherein den Geist ganz aus von
ihrer Betrachtung. Sie fragen zuerst nach dem Stoff des Lichtes und nach den
mechanischen Gesetzen, denen er unterworfen sei. Die feine Materie, die Newton
von der Sonne ausstrahlen ließ, mußte einer womöglich noch feinern Platz
machen, die in Wellenschwingungen erzittert. Immer wird das Licht als etwas
für sich bestehendes Materielles behandelt, mit dem man so umgehen könne wie
mit einer chemischen Mischung. Sieben Arten farbiger Strahlen setzen das
weiße Licht zusammen, lassen sich wieder aus demselben ausscheiden, reinigen
und verunreinigen, wie man will, und wenn es nun gilt, ihre Wahrnehmung
durch die Sinne und ihr Verhältnis zum menschlichen Gemüt zu erklären, so
ist man erstaunt, daß man gar keinen geeigneten Zugang zu demselben finden
kann. Wohl mühen sich die Schüler aller Orten, die Entwicklung des mensch¬
lichen Farbensinnes durch die Jahrtausende hindurch aus den mechanischen
Kräften der verschiedenfarbigen Lichtstrahlen nachzuweisen, die „Realität der
Farbenempfindungen" durch chemische Prozesse in der Netzhaut wahrscheinlich
zu machen, zu zeigen, daß farbige Strahlen materiell in die Netzhaut und damit
in die Empfindung übergehen; aber zum Unglück aller dieser Bemühungen
findet sich immer sehr bald, nachdem sie aufgetaucht sind, eine Fülle so wider-


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[0638] Goethe und die Koryphäen der heutigen Naturwissenschaft. mechanische Mittel zu enträtseln ist. Und nun können wir den Gegensatz zwischen Goethes Standpunkt in der Farbenlehre und dem der Physiker aufs allerschärfste hinstellen. Goethe wußte konform mit Kant, daß die ganze Welt der sinnlichen Wahrnehmung nichts ist ohne den Hintergrund des Geistes. Den Geist aber in seinem Wesen zu erkennen, dazu reicht unser menschlicher Verstand nicht aus. Die Welt durchforschen und erkennen wir als der Gottheit lebendiges Kleid, die Gottheit selbst nicht. Alles Mechanische ist unserm Verständnis zugänglich, der letzte Grund davon aber bleibt uns Geheimnis selbst am hellen lichten Tage. Licht und Farben sind gar nichts ohne unsre Empfindung, diese aber ist eine Thätigkeit des menschlichen Geistes, also bleibt es immer bedenklich, von ihrem letzten Grunde und Wesen zu reden, einem Geheimnis, das man nicht völlig entschleiern kann. Seine Erscheinung ist zu beobachten und zu be¬ schreiben, da es soviel es strebt, Verhaftet an den Körpern klebt; Von Körpern strömt's, die Körper macht es schön, Ein Körper hemmt's auf seinem Gange. Die UrPhänomene sind die einfachsten Fälle, wo Finsternis und Licht so zu¬ sammenwirken, daß Farben erscheinen, aus ihnen lassen sich alle komplizirten Fälle ableiten. Auf diesem Wege bekommen wir ein zusammenhängendes System von Erscheinungen, welches uns die Wirkung der Farben aus das menschliche Gemüt ohne Widersprüche erklärt und folglich für alle Kunstbetrachtung von der größten Bedeutung sein muß. Die Physiker dagegen schließen von vornherein den Geist ganz aus von ihrer Betrachtung. Sie fragen zuerst nach dem Stoff des Lichtes und nach den mechanischen Gesetzen, denen er unterworfen sei. Die feine Materie, die Newton von der Sonne ausstrahlen ließ, mußte einer womöglich noch feinern Platz machen, die in Wellenschwingungen erzittert. Immer wird das Licht als etwas für sich bestehendes Materielles behandelt, mit dem man so umgehen könne wie mit einer chemischen Mischung. Sieben Arten farbiger Strahlen setzen das weiße Licht zusammen, lassen sich wieder aus demselben ausscheiden, reinigen und verunreinigen, wie man will, und wenn es nun gilt, ihre Wahrnehmung durch die Sinne und ihr Verhältnis zum menschlichen Gemüt zu erklären, so ist man erstaunt, daß man gar keinen geeigneten Zugang zu demselben finden kann. Wohl mühen sich die Schüler aller Orten, die Entwicklung des mensch¬ lichen Farbensinnes durch die Jahrtausende hindurch aus den mechanischen Kräften der verschiedenfarbigen Lichtstrahlen nachzuweisen, die „Realität der Farbenempfindungen" durch chemische Prozesse in der Netzhaut wahrscheinlich zu machen, zu zeigen, daß farbige Strahlen materiell in die Netzhaut und damit in die Empfindung übergehen; aber zum Unglück aller dieser Bemühungen findet sich immer sehr bald, nachdem sie aufgetaucht sind, eine Fülle so wider-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/638>, abgerufen am 23.07.2024.