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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Goethe und die Koryphäen der heutigen Naturwissenschaft.

Vor, daß man die Phänomene des Lichts und der Farben zerlegen und zu¬
sammensetzen, reinigen und mischen könne fast so gut wie chemische Substanzen,
wie doch die Physiker es alle Tage wirklich zu thun behaupten, und auch
Goethen des öftern vordemonstrirt haben. Er blieb bei seiner Behauptung,
daß sich das helle Weiß niemals ans dunklern Farben zusammensetzen lasse,
daß die Farben des Spektrums nur an den Rändern weißer Bilder durch Ver¬
mischung von Weiß mit dem dunkeln Grunde, daß überhaupt alle Farben durch
verschiedne Verbindungen von Weiß und Schwarz und verschiedne Trübungen
des reinen Lichtes entstünden, kurz, er wollte durchaus nicht den Mechanismus
der feinen Lichtmaterie und ihrer Zusammensetzung aus verschiedenfarbigen
Strahlen begreifen. So empfindet denn Helmholtz von seinem Standpunkt aus
mit Recht "ein unbehagliches, ängstliches Gefühl," bei einem so hervorragenden
Manne gar keine Fähigkeit finden zu können, so einfache mechanische Theorien
zu begreifen. Die leidenschaftliche Polemik, in die Goethe zuweilen gegen die
physikalischen Optiker geraten ist, dient ihm zum Beleg, daß hier doch ein ganz
wesentlicher Mangel in Goethes wissenschaftlichem Denken gewesen sein müsse,
etwa nach dem eignen Worte Goethes:


Noch spukt der Babylonische Thurm,
Sie sind nicht zu vereinen;
Ein jeder Mann hat seinen Wurm,
Kopernikus den seinen.

"Wir können, sagt Helmholtz, den Mechanismus der Materie nicht dadurch
besiegen, daß wir ihn wegleugnen, sondern mir dadurch, daß wir ihn den Zwecken
des sittlichen Geistes unterwerfen. Wir müssen seine Hebel und Stricke kennen
lernen, wenn es auch die dichterische Naturbetrachtung stören sollte, um sie
nach unserm eignen Willen regieren zu können, und darin liegt die große Be¬
deutung der physikalischen Forschung für die Kultur des Menschengeschlechts
und ihre volle Berechtigung begründet." Nimmt man i" diesem Satze anstatt
des schönklingenden Wortes "sittlichen Geistes" den einzig passenden Ausdruck:
praktischen Willen des Menschen, die Natur seinen Zwecken dienstbar zu machen,
so tritt uns überraschend deutlich der echte Schüler Bacos und der ganzen eng¬
lischen empiristischen Schule entgegen, zu der sich freilich Goethe nicht so rück¬
sichtslos bekannte. Praktische Erfolge im Kampf des Menschen, um die Herr¬
schaft über die Natur zu gewinnen, das ist nach dieser Anschauung das Ziel der
Wissenschaft, welches ihr allein Bedeutung für die menschliche Kultur und volle
Berechtigung verleiht. So hatte Lord Bacon gepredigt, als er für seine
Landsleute das Mona, orZauvn verfaßte und den Glauben an die mittel¬
alterliche Gelehrsamkeit und die Macht der aristotelischen Logik zertrümmerte.
Durch Wissen und Kenntnisse Macht, Einfluß und Reichtum zu gewinnen, ja
die ganze Welt zu unterwerfen, das war das Ziel, welches Baco vor England
aufstellte.


Goethe und die Koryphäen der heutigen Naturwissenschaft.

Vor, daß man die Phänomene des Lichts und der Farben zerlegen und zu¬
sammensetzen, reinigen und mischen könne fast so gut wie chemische Substanzen,
wie doch die Physiker es alle Tage wirklich zu thun behaupten, und auch
Goethen des öftern vordemonstrirt haben. Er blieb bei seiner Behauptung,
daß sich das helle Weiß niemals ans dunklern Farben zusammensetzen lasse,
daß die Farben des Spektrums nur an den Rändern weißer Bilder durch Ver¬
mischung von Weiß mit dem dunkeln Grunde, daß überhaupt alle Farben durch
verschiedne Verbindungen von Weiß und Schwarz und verschiedne Trübungen
des reinen Lichtes entstünden, kurz, er wollte durchaus nicht den Mechanismus
der feinen Lichtmaterie und ihrer Zusammensetzung aus verschiedenfarbigen
Strahlen begreifen. So empfindet denn Helmholtz von seinem Standpunkt aus
mit Recht „ein unbehagliches, ängstliches Gefühl," bei einem so hervorragenden
Manne gar keine Fähigkeit finden zu können, so einfache mechanische Theorien
zu begreifen. Die leidenschaftliche Polemik, in die Goethe zuweilen gegen die
physikalischen Optiker geraten ist, dient ihm zum Beleg, daß hier doch ein ganz
wesentlicher Mangel in Goethes wissenschaftlichem Denken gewesen sein müsse,
etwa nach dem eignen Worte Goethes:


Noch spukt der Babylonische Thurm,
Sie sind nicht zu vereinen;
Ein jeder Mann hat seinen Wurm,
Kopernikus den seinen.

„Wir können, sagt Helmholtz, den Mechanismus der Materie nicht dadurch
besiegen, daß wir ihn wegleugnen, sondern mir dadurch, daß wir ihn den Zwecken
des sittlichen Geistes unterwerfen. Wir müssen seine Hebel und Stricke kennen
lernen, wenn es auch die dichterische Naturbetrachtung stören sollte, um sie
nach unserm eignen Willen regieren zu können, und darin liegt die große Be¬
deutung der physikalischen Forschung für die Kultur des Menschengeschlechts
und ihre volle Berechtigung begründet." Nimmt man i» diesem Satze anstatt
des schönklingenden Wortes „sittlichen Geistes" den einzig passenden Ausdruck:
praktischen Willen des Menschen, die Natur seinen Zwecken dienstbar zu machen,
so tritt uns überraschend deutlich der echte Schüler Bacos und der ganzen eng¬
lischen empiristischen Schule entgegen, zu der sich freilich Goethe nicht so rück¬
sichtslos bekannte. Praktische Erfolge im Kampf des Menschen, um die Herr¬
schaft über die Natur zu gewinnen, das ist nach dieser Anschauung das Ziel der
Wissenschaft, welches ihr allein Bedeutung für die menschliche Kultur und volle
Berechtigung verleiht. So hatte Lord Bacon gepredigt, als er für seine
Landsleute das Mona, orZauvn verfaßte und den Glauben an die mittel¬
alterliche Gelehrsamkeit und die Macht der aristotelischen Logik zertrümmerte.
Durch Wissen und Kenntnisse Macht, Einfluß und Reichtum zu gewinnen, ja
die ganze Welt zu unterwerfen, das war das Ziel, welches Baco vor England
aufstellte.


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[0629] Goethe und die Koryphäen der heutigen Naturwissenschaft. Vor, daß man die Phänomene des Lichts und der Farben zerlegen und zu¬ sammensetzen, reinigen und mischen könne fast so gut wie chemische Substanzen, wie doch die Physiker es alle Tage wirklich zu thun behaupten, und auch Goethen des öftern vordemonstrirt haben. Er blieb bei seiner Behauptung, daß sich das helle Weiß niemals ans dunklern Farben zusammensetzen lasse, daß die Farben des Spektrums nur an den Rändern weißer Bilder durch Ver¬ mischung von Weiß mit dem dunkeln Grunde, daß überhaupt alle Farben durch verschiedne Verbindungen von Weiß und Schwarz und verschiedne Trübungen des reinen Lichtes entstünden, kurz, er wollte durchaus nicht den Mechanismus der feinen Lichtmaterie und ihrer Zusammensetzung aus verschiedenfarbigen Strahlen begreifen. So empfindet denn Helmholtz von seinem Standpunkt aus mit Recht „ein unbehagliches, ängstliches Gefühl," bei einem so hervorragenden Manne gar keine Fähigkeit finden zu können, so einfache mechanische Theorien zu begreifen. Die leidenschaftliche Polemik, in die Goethe zuweilen gegen die physikalischen Optiker geraten ist, dient ihm zum Beleg, daß hier doch ein ganz wesentlicher Mangel in Goethes wissenschaftlichem Denken gewesen sein müsse, etwa nach dem eignen Worte Goethes: Noch spukt der Babylonische Thurm, Sie sind nicht zu vereinen; Ein jeder Mann hat seinen Wurm, Kopernikus den seinen. „Wir können, sagt Helmholtz, den Mechanismus der Materie nicht dadurch besiegen, daß wir ihn wegleugnen, sondern mir dadurch, daß wir ihn den Zwecken des sittlichen Geistes unterwerfen. Wir müssen seine Hebel und Stricke kennen lernen, wenn es auch die dichterische Naturbetrachtung stören sollte, um sie nach unserm eignen Willen regieren zu können, und darin liegt die große Be¬ deutung der physikalischen Forschung für die Kultur des Menschengeschlechts und ihre volle Berechtigung begründet." Nimmt man i» diesem Satze anstatt des schönklingenden Wortes „sittlichen Geistes" den einzig passenden Ausdruck: praktischen Willen des Menschen, die Natur seinen Zwecken dienstbar zu machen, so tritt uns überraschend deutlich der echte Schüler Bacos und der ganzen eng¬ lischen empiristischen Schule entgegen, zu der sich freilich Goethe nicht so rück¬ sichtslos bekannte. Praktische Erfolge im Kampf des Menschen, um die Herr¬ schaft über die Natur zu gewinnen, das ist nach dieser Anschauung das Ziel der Wissenschaft, welches ihr allein Bedeutung für die menschliche Kultur und volle Berechtigung verleiht. So hatte Lord Bacon gepredigt, als er für seine Landsleute das Mona, orZauvn verfaßte und den Glauben an die mittel¬ alterliche Gelehrsamkeit und die Macht der aristotelischen Logik zertrümmerte. Durch Wissen und Kenntnisse Macht, Einfluß und Reichtum zu gewinnen, ja die ganze Welt zu unterwerfen, das war das Ziel, welches Baco vor England aufstellte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/629>, abgerufen am 23.07.2024.