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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Der Entschädigungsanspruch wegen ungerechtfertigter Straf- und Untersuchungshaft.

es sagt aber keineswegs: Es lag kein Grund vor, den Angeklagten in Unter¬
suchungshaft zu nehmen. Und zwar besagt dies die Freisprechung nicht bloß
nicht in dem Falle, wo wegen unzureichenden Beweises freigesprochen wurde,
sondern auch nicht einmal für den Fall, wo die Unschuld des Angeklagten positiv
erwiesen ist.

Kein zivilisirter Staat -- dies wurde schon von verschiednen Rednern des
Juristentages hervorgehoben -- kann die Untersuchungshaft entbehren. Er wird
zum Schutze der persönlichen Freiheit die gesetzlichen Voraussetzungen für deren
Zulüssigkeit so streng normiren, als die Rücksicht auf das allgemeine Wohl ge¬
stattet; treffen aber die gesetzlichen Voraussetzungen zu, dann kann der Verhaftete
niemals behaupten, er sei widerrechtlich seiner Freiheit beraubt worden. Ist
er unschuldig, so ist die Verhaftung für ihn ein Unglück, aber der Umstand,
daß ihn dieses Unglück durch die gesetzmäßige Thätigkeit eines richterlichen Be¬
amten getroffen hat, rechtfertigt es nicht, ihm einen Entschädigungsanspruch
gegen den Staat zu gewähren. Durch mancherlei Maßregeln staatlicher oder
gemeindlicher Behörden kann ein Bürger zu Schaden kommen, zu einem Schaden,
den er vielleicht weit höher anschlägt, als er eine vorübergehende Beschränkung
seiner persönlichen Freiheit anschlagen würde. Allein wenn die Maßregel ge¬
setzmäßig war, so wird es niemand in den Sinn kommen, dem Staate oder
der Gemeinde eine Entschädigungspflicht aufzuerlegen. Wenn z. B. jemand an
einer frequenten, aber schlechte" Gebirgsstraße ein Wirtshaus besitzt und der
Staat eine gute neue Straße weit seitab von seinem Hause bauen läßt, so kann
hierdurch die ökonomische Existenz des Mannes schwer geschädigt, vielleicht zerstört
werden, aber Schadenersatz kann er nicht verlangen, weil niemand ihm ein Un¬
recht zugefügt hat. Warum sollte es nun gerade bei einer Art von Schaden-
zufügung anders gehalten werden? In dem ausgeführten liegt auch schon die
Widerlegung des Verlangens, es solle demjenigen, der seine Unschuld beweist,
Entschädigung gewährt werden; auch er kann infolge unglücklicher Verkettung
der Umstände völlig rechtmäßig verhaftet worden sein, auch seinem Ansprüche
würde es daher an einer rechtlichen Grundlage fehlen. Andrerseits aber schränkt
diese Ansicht den Anspruch des ungerecht Verhafteten ganz ungebührlich ein;
es kann die Unrechtmäßigkeit der Untersuchungshaft auf der Hand liegen, während
es doch dem Verhafteten rein unmöglich ist, den positiven Beweis seiner Un¬
schuld zu führen. So ist uns ein Fall erinnerlich, wo ein durchaus unbe¬
scholtener Mann, dem sein Haus abbrannte, auf sehr schwache Verdachtsgründe
hin wegen Brandstiftung verhaftet und aus gröbster Fahrlässigkeit sieben Monate
in Haft gehalten wurde. Er hatte nach würtembergischen Rechte gegen den
fahrlässigen Beamten überhaupt keinen Anspruch; wäre ihm aber ein solcher
unter der Bedingung, daß er seine Unschuld nachweise, eingeräumt worden, so
wäre er gerade so rechtlos gewesen, denn die Unmöglichkeit seiner Thäter¬
schaft konnte er nach Lage der Sache nicht beweisen. Und doch sollte für solche


Der Entschädigungsanspruch wegen ungerechtfertigter Straf- und Untersuchungshaft.

es sagt aber keineswegs: Es lag kein Grund vor, den Angeklagten in Unter¬
suchungshaft zu nehmen. Und zwar besagt dies die Freisprechung nicht bloß
nicht in dem Falle, wo wegen unzureichenden Beweises freigesprochen wurde,
sondern auch nicht einmal für den Fall, wo die Unschuld des Angeklagten positiv
erwiesen ist.

Kein zivilisirter Staat — dies wurde schon von verschiednen Rednern des
Juristentages hervorgehoben — kann die Untersuchungshaft entbehren. Er wird
zum Schutze der persönlichen Freiheit die gesetzlichen Voraussetzungen für deren
Zulüssigkeit so streng normiren, als die Rücksicht auf das allgemeine Wohl ge¬
stattet; treffen aber die gesetzlichen Voraussetzungen zu, dann kann der Verhaftete
niemals behaupten, er sei widerrechtlich seiner Freiheit beraubt worden. Ist
er unschuldig, so ist die Verhaftung für ihn ein Unglück, aber der Umstand,
daß ihn dieses Unglück durch die gesetzmäßige Thätigkeit eines richterlichen Be¬
amten getroffen hat, rechtfertigt es nicht, ihm einen Entschädigungsanspruch
gegen den Staat zu gewähren. Durch mancherlei Maßregeln staatlicher oder
gemeindlicher Behörden kann ein Bürger zu Schaden kommen, zu einem Schaden,
den er vielleicht weit höher anschlägt, als er eine vorübergehende Beschränkung
seiner persönlichen Freiheit anschlagen würde. Allein wenn die Maßregel ge¬
setzmäßig war, so wird es niemand in den Sinn kommen, dem Staate oder
der Gemeinde eine Entschädigungspflicht aufzuerlegen. Wenn z. B. jemand an
einer frequenten, aber schlechte» Gebirgsstraße ein Wirtshaus besitzt und der
Staat eine gute neue Straße weit seitab von seinem Hause bauen läßt, so kann
hierdurch die ökonomische Existenz des Mannes schwer geschädigt, vielleicht zerstört
werden, aber Schadenersatz kann er nicht verlangen, weil niemand ihm ein Un¬
recht zugefügt hat. Warum sollte es nun gerade bei einer Art von Schaden-
zufügung anders gehalten werden? In dem ausgeführten liegt auch schon die
Widerlegung des Verlangens, es solle demjenigen, der seine Unschuld beweist,
Entschädigung gewährt werden; auch er kann infolge unglücklicher Verkettung
der Umstände völlig rechtmäßig verhaftet worden sein, auch seinem Ansprüche
würde es daher an einer rechtlichen Grundlage fehlen. Andrerseits aber schränkt
diese Ansicht den Anspruch des ungerecht Verhafteten ganz ungebührlich ein;
es kann die Unrechtmäßigkeit der Untersuchungshaft auf der Hand liegen, während
es doch dem Verhafteten rein unmöglich ist, den positiven Beweis seiner Un¬
schuld zu führen. So ist uns ein Fall erinnerlich, wo ein durchaus unbe¬
scholtener Mann, dem sein Haus abbrannte, auf sehr schwache Verdachtsgründe
hin wegen Brandstiftung verhaftet und aus gröbster Fahrlässigkeit sieben Monate
in Haft gehalten wurde. Er hatte nach würtembergischen Rechte gegen den
fahrlässigen Beamten überhaupt keinen Anspruch; wäre ihm aber ein solcher
unter der Bedingung, daß er seine Unschuld nachweise, eingeräumt worden, so
wäre er gerade so rechtlos gewesen, denn die Unmöglichkeit seiner Thäter¬
schaft konnte er nach Lage der Sache nicht beweisen. Und doch sollte für solche


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[0624] Der Entschädigungsanspruch wegen ungerechtfertigter Straf- und Untersuchungshaft. es sagt aber keineswegs: Es lag kein Grund vor, den Angeklagten in Unter¬ suchungshaft zu nehmen. Und zwar besagt dies die Freisprechung nicht bloß nicht in dem Falle, wo wegen unzureichenden Beweises freigesprochen wurde, sondern auch nicht einmal für den Fall, wo die Unschuld des Angeklagten positiv erwiesen ist. Kein zivilisirter Staat — dies wurde schon von verschiednen Rednern des Juristentages hervorgehoben — kann die Untersuchungshaft entbehren. Er wird zum Schutze der persönlichen Freiheit die gesetzlichen Voraussetzungen für deren Zulüssigkeit so streng normiren, als die Rücksicht auf das allgemeine Wohl ge¬ stattet; treffen aber die gesetzlichen Voraussetzungen zu, dann kann der Verhaftete niemals behaupten, er sei widerrechtlich seiner Freiheit beraubt worden. Ist er unschuldig, so ist die Verhaftung für ihn ein Unglück, aber der Umstand, daß ihn dieses Unglück durch die gesetzmäßige Thätigkeit eines richterlichen Be¬ amten getroffen hat, rechtfertigt es nicht, ihm einen Entschädigungsanspruch gegen den Staat zu gewähren. Durch mancherlei Maßregeln staatlicher oder gemeindlicher Behörden kann ein Bürger zu Schaden kommen, zu einem Schaden, den er vielleicht weit höher anschlägt, als er eine vorübergehende Beschränkung seiner persönlichen Freiheit anschlagen würde. Allein wenn die Maßregel ge¬ setzmäßig war, so wird es niemand in den Sinn kommen, dem Staate oder der Gemeinde eine Entschädigungspflicht aufzuerlegen. Wenn z. B. jemand an einer frequenten, aber schlechte» Gebirgsstraße ein Wirtshaus besitzt und der Staat eine gute neue Straße weit seitab von seinem Hause bauen läßt, so kann hierdurch die ökonomische Existenz des Mannes schwer geschädigt, vielleicht zerstört werden, aber Schadenersatz kann er nicht verlangen, weil niemand ihm ein Un¬ recht zugefügt hat. Warum sollte es nun gerade bei einer Art von Schaden- zufügung anders gehalten werden? In dem ausgeführten liegt auch schon die Widerlegung des Verlangens, es solle demjenigen, der seine Unschuld beweist, Entschädigung gewährt werden; auch er kann infolge unglücklicher Verkettung der Umstände völlig rechtmäßig verhaftet worden sein, auch seinem Ansprüche würde es daher an einer rechtlichen Grundlage fehlen. Andrerseits aber schränkt diese Ansicht den Anspruch des ungerecht Verhafteten ganz ungebührlich ein; es kann die Unrechtmäßigkeit der Untersuchungshaft auf der Hand liegen, während es doch dem Verhafteten rein unmöglich ist, den positiven Beweis seiner Un¬ schuld zu führen. So ist uns ein Fall erinnerlich, wo ein durchaus unbe¬ scholtener Mann, dem sein Haus abbrannte, auf sehr schwache Verdachtsgründe hin wegen Brandstiftung verhaftet und aus gröbster Fahrlässigkeit sieben Monate in Haft gehalten wurde. Er hatte nach würtembergischen Rechte gegen den fahrlässigen Beamten überhaupt keinen Anspruch; wäre ihm aber ein solcher unter der Bedingung, daß er seine Unschuld nachweise, eingeräumt worden, so wäre er gerade so rechtlos gewesen, denn die Unmöglichkeit seiner Thäter¬ schaft konnte er nach Lage der Sache nicht beweisen. Und doch sollte für solche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/624>, abgerufen am 23.07.2024.