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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Der Entschädigungsanspruch wegen ungerechtfertigter Straf- und Untersuchungshaft,

angenommen wird, doch jedenfalls von einer Haftung der richterlichen (einschließlich
der staatsanwaltlichen) Beamten für jede, auch die leichteste Fahrlässigkeit wird
Umgang genommen werden. Auf Beamte wendet das französische Recht selbst
den Satz nicht an; das badische bürgerliche Recht, das auf dem LoÄs MxoI6on
beruht und den Grundsatz der Haftung für jede Fahrlässigkeit gleichfalls auf¬
stellt, normirt die Haftung der Beamten für widerrechtliche Freiheitsentziehung
ausdrücklich dahin, daß dieselben -- unter subsidiärer Haftung des Staates --
nur für bösen Vorsatz und grobe Nachlässigkeit verantwortlich sind. Eine andre
Entscheidung der Frage den Beamten gegenüber könnte auch nur die Folge
haben, daß entweder das Gesetz nicht angewendet oder der Staat in kurzer Zeit
keine, wenigstens keine brauchbaren Beamten finden würde. Denn ein leichtes
Verschulden wird man anch einem tüchtigen Untersuchungsrichter bei mancher
ergebnislosen Verhaftung, noch mehr einem erkennenden Richter bei einem nach¬
träglich wieder aufgehobenen Strafurteil nachweisen können; der Gefahr aber,
wegen jedes derartigen, in der Hauptsache gewöhnlich auf einen Mangel der
Urteilskraft zurückzuführenden Fehlers mit einer Schadenersatzklage verfolgt zu
werden, wird sich ein ehrlicbender Mann nicht aussetzen.

Es bliebe also nur die andre Alternative: direkte Haftung des Staates für
jede fahrlässige Freiheitsentziehung mit Regreß gegen den grob-fahrlüssigen Be¬
amten. Würde der Grundsatz, daß jeder für die Folgen seines schuldhaften
Handelns verantwortlich ist, in das deutsche Recht aufgenommen, so würde sich
diese Haftung mit einer gewissen Notwendigkeit ergeben; der Gesetzgeber, welcher den
Beamten ausnahmsweise Befreiung von dieser Verantwortlichkeit einräumt, müßte
dafür Sorge tragen, daß der durch die Schuld des Beamten Geschädigte anders¬
woher den Ersatz seines Schadens erhielte, und da bliebe als ersatzpflichtig nur
die Staatskasse übrig. Würde dagegen das deutsche Zivilgesetz bezüglich der
Schadensklage an dem -- unsers Erachtens hierin prinziplosen -- gemeinen Recht
festhalten, dann wäre allerdings durch die Zulassung des Entschädigungsanspruchs
wegen jeder fahrlässigen Freiheitsentziehung ein Ausnahmerecht für gewisse
Schadenfälle begründet, ein Ausnahmerecht, von dem man aber immerhin sagen
könnte, daß es seine Rechtfertigung finde in dem Schutz, den der Staat einem
so hohen Gute wie der persönlichen Freiheit seiner Bürger schulde.

Wenn wir also hiernach bereit sind, die Haftung des Staates in der be¬
zeichneten Weise anzuerkennen, so sind wir deshalb doch weit davon entfernt,
die Resolutionen des Juristentages in ihrem ganzen Umfange, namentlich was
die Untersuchungshaft angeht, uns aneignen zu wollen; denn diese schießen unsers
Erachtens weit über das Ziel hinaus.

Wir haben oben gesagt, alle Mitglieder des Juristentages seien wohl damit
einverstanden, daß ein rechtmäßig gcfangengehaltener keinen Anspruch auf
Schadenersatz habe; die Frage sei nur die: wann ist die Gefangenhaltung, na¬
mentlich die Untersuchungshaft, rechtmäßig? Dieser Frage, bei deren Veant-


Der Entschädigungsanspruch wegen ungerechtfertigter Straf- und Untersuchungshaft,

angenommen wird, doch jedenfalls von einer Haftung der richterlichen (einschließlich
der staatsanwaltlichen) Beamten für jede, auch die leichteste Fahrlässigkeit wird
Umgang genommen werden. Auf Beamte wendet das französische Recht selbst
den Satz nicht an; das badische bürgerliche Recht, das auf dem LoÄs MxoI6on
beruht und den Grundsatz der Haftung für jede Fahrlässigkeit gleichfalls auf¬
stellt, normirt die Haftung der Beamten für widerrechtliche Freiheitsentziehung
ausdrücklich dahin, daß dieselben — unter subsidiärer Haftung des Staates —
nur für bösen Vorsatz und grobe Nachlässigkeit verantwortlich sind. Eine andre
Entscheidung der Frage den Beamten gegenüber könnte auch nur die Folge
haben, daß entweder das Gesetz nicht angewendet oder der Staat in kurzer Zeit
keine, wenigstens keine brauchbaren Beamten finden würde. Denn ein leichtes
Verschulden wird man anch einem tüchtigen Untersuchungsrichter bei mancher
ergebnislosen Verhaftung, noch mehr einem erkennenden Richter bei einem nach¬
träglich wieder aufgehobenen Strafurteil nachweisen können; der Gefahr aber,
wegen jedes derartigen, in der Hauptsache gewöhnlich auf einen Mangel der
Urteilskraft zurückzuführenden Fehlers mit einer Schadenersatzklage verfolgt zu
werden, wird sich ein ehrlicbender Mann nicht aussetzen.

Es bliebe also nur die andre Alternative: direkte Haftung des Staates für
jede fahrlässige Freiheitsentziehung mit Regreß gegen den grob-fahrlüssigen Be¬
amten. Würde der Grundsatz, daß jeder für die Folgen seines schuldhaften
Handelns verantwortlich ist, in das deutsche Recht aufgenommen, so würde sich
diese Haftung mit einer gewissen Notwendigkeit ergeben; der Gesetzgeber, welcher den
Beamten ausnahmsweise Befreiung von dieser Verantwortlichkeit einräumt, müßte
dafür Sorge tragen, daß der durch die Schuld des Beamten Geschädigte anders¬
woher den Ersatz seines Schadens erhielte, und da bliebe als ersatzpflichtig nur
die Staatskasse übrig. Würde dagegen das deutsche Zivilgesetz bezüglich der
Schadensklage an dem — unsers Erachtens hierin prinziplosen — gemeinen Recht
festhalten, dann wäre allerdings durch die Zulassung des Entschädigungsanspruchs
wegen jeder fahrlässigen Freiheitsentziehung ein Ausnahmerecht für gewisse
Schadenfälle begründet, ein Ausnahmerecht, von dem man aber immerhin sagen
könnte, daß es seine Rechtfertigung finde in dem Schutz, den der Staat einem
so hohen Gute wie der persönlichen Freiheit seiner Bürger schulde.

Wenn wir also hiernach bereit sind, die Haftung des Staates in der be¬
zeichneten Weise anzuerkennen, so sind wir deshalb doch weit davon entfernt,
die Resolutionen des Juristentages in ihrem ganzen Umfange, namentlich was
die Untersuchungshaft angeht, uns aneignen zu wollen; denn diese schießen unsers
Erachtens weit über das Ziel hinaus.

Wir haben oben gesagt, alle Mitglieder des Juristentages seien wohl damit
einverstanden, daß ein rechtmäßig gcfangengehaltener keinen Anspruch auf
Schadenersatz habe; die Frage sei nur die: wann ist die Gefangenhaltung, na¬
mentlich die Untersuchungshaft, rechtmäßig? Dieser Frage, bei deren Veant-


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[0618] Der Entschädigungsanspruch wegen ungerechtfertigter Straf- und Untersuchungshaft, angenommen wird, doch jedenfalls von einer Haftung der richterlichen (einschließlich der staatsanwaltlichen) Beamten für jede, auch die leichteste Fahrlässigkeit wird Umgang genommen werden. Auf Beamte wendet das französische Recht selbst den Satz nicht an; das badische bürgerliche Recht, das auf dem LoÄs MxoI6on beruht und den Grundsatz der Haftung für jede Fahrlässigkeit gleichfalls auf¬ stellt, normirt die Haftung der Beamten für widerrechtliche Freiheitsentziehung ausdrücklich dahin, daß dieselben — unter subsidiärer Haftung des Staates — nur für bösen Vorsatz und grobe Nachlässigkeit verantwortlich sind. Eine andre Entscheidung der Frage den Beamten gegenüber könnte auch nur die Folge haben, daß entweder das Gesetz nicht angewendet oder der Staat in kurzer Zeit keine, wenigstens keine brauchbaren Beamten finden würde. Denn ein leichtes Verschulden wird man anch einem tüchtigen Untersuchungsrichter bei mancher ergebnislosen Verhaftung, noch mehr einem erkennenden Richter bei einem nach¬ träglich wieder aufgehobenen Strafurteil nachweisen können; der Gefahr aber, wegen jedes derartigen, in der Hauptsache gewöhnlich auf einen Mangel der Urteilskraft zurückzuführenden Fehlers mit einer Schadenersatzklage verfolgt zu werden, wird sich ein ehrlicbender Mann nicht aussetzen. Es bliebe also nur die andre Alternative: direkte Haftung des Staates für jede fahrlässige Freiheitsentziehung mit Regreß gegen den grob-fahrlüssigen Be¬ amten. Würde der Grundsatz, daß jeder für die Folgen seines schuldhaften Handelns verantwortlich ist, in das deutsche Recht aufgenommen, so würde sich diese Haftung mit einer gewissen Notwendigkeit ergeben; der Gesetzgeber, welcher den Beamten ausnahmsweise Befreiung von dieser Verantwortlichkeit einräumt, müßte dafür Sorge tragen, daß der durch die Schuld des Beamten Geschädigte anders¬ woher den Ersatz seines Schadens erhielte, und da bliebe als ersatzpflichtig nur die Staatskasse übrig. Würde dagegen das deutsche Zivilgesetz bezüglich der Schadensklage an dem — unsers Erachtens hierin prinziplosen — gemeinen Recht festhalten, dann wäre allerdings durch die Zulassung des Entschädigungsanspruchs wegen jeder fahrlässigen Freiheitsentziehung ein Ausnahmerecht für gewisse Schadenfälle begründet, ein Ausnahmerecht, von dem man aber immerhin sagen könnte, daß es seine Rechtfertigung finde in dem Schutz, den der Staat einem so hohen Gute wie der persönlichen Freiheit seiner Bürger schulde. Wenn wir also hiernach bereit sind, die Haftung des Staates in der be¬ zeichneten Weise anzuerkennen, so sind wir deshalb doch weit davon entfernt, die Resolutionen des Juristentages in ihrem ganzen Umfange, namentlich was die Untersuchungshaft angeht, uns aneignen zu wollen; denn diese schießen unsers Erachtens weit über das Ziel hinaus. Wir haben oben gesagt, alle Mitglieder des Juristentages seien wohl damit einverstanden, daß ein rechtmäßig gcfangengehaltener keinen Anspruch auf Schadenersatz habe; die Frage sei nur die: wann ist die Gefangenhaltung, na¬ mentlich die Untersuchungshaft, rechtmäßig? Dieser Frage, bei deren Veant-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/618>, abgerufen am 23.07.2024.