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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Lin französischer Kriegsminister.

Zahl rechneten, zugeben, daß das Werk der französischen Heeresorganisation
weder nach festen, unverrückter Grundsätzen, noch mit derjenigen Kontinuität der
Anschauungen gefördert worden ist, ohne welche ein Gelingen unmöglich erscheint.
Die Republik hat seit ihrer Aufrichtung mehr Kriegsminister verbraucht als das
preußische Heer in der zehnfachen Zeit, und jeder von ihnen hat sich immer
mehr oder weniger mit der Richtung seines Vorgängers im Widerspruche be¬
funden.

Es ist wohl überflüssig, die Reihe der aus dem Dunkel hervorgezogenen
und nach kurzer Zeit wieder der Vergessenheit zurückgegebenen Männer, welche
sich willig finden ließen, das ehrenvolle Amt eines französischen Kriegsministers
zu verwalten, hier mit Namen aufzuführen. Wir wollen auch durchaus nicht
sagen, daß die Republik mit der Wahl dieser hohen Würdenträger sich fort¬
während in der Lage des Steines befunden hätte, welcher bergab rollt, wenn
wir unumwunden unsrer Ansicht Ausdruck geben, daß Staat und Armee bei
der Ernennung des Generals Thibaudin den denkbar niedrigsten Standpunkt in
dieser Beziehung erreicht haben.

Die Gelegenheit und die politische Konstellation, welcher der genannte Herr
die Erhebung zu einem Posten verdankt, der noch in weit höherm Maße, als
dies beispielsweise im deutschen Heere der Fall ist, die gesamte Armeeleitung ir
einer Hand vereinigt, ist bekannt. Aber es ist wohl nicht überflüssig, Beweise
für die Richtigkeit der oben ausgesprochenen Anschauung beizubringen, und wir
verweisen deshalb zunächst auf zwei öffentliche Aktenstücke.

Der in Mainz erschienene "Süddeutsche Polizei-Telegraph" hat am 14. De¬
zember 1870 folgenden vom königlichen Gouvernement daselbst erlassenen und
gezeichneten Steckbrief veröffentlicht: "Der französische Kriegsgefangene Colonel
Thibaudin vom 67. Linienregiment, geboren zu Moulins en Gilbert, hat sich
unter Bruch seines Ehrenworts von hier heimlich entfernt. Alle Zivil- und
Militärbehörden werden hierdurch ersucht, auf den Thibaudin zu vigiliren und
ihn im Betretungsfalle dem Gouvernement zuführen zu lassen." (Folgt das
Signalement.)

Wenige Tage darauf brachte das "Militär-Wochenblatt" in Nummer 139
eine Bekanntmachung des Inhalts: "In Verfolg der Bekanntmachung im Mi¬
litär-Wochenblatt Ur. 184 werden diejenigen kriegsgefangenen Offiziere nam¬
haft gemacht, welche unter Bruch des Ehrenworts, keinen Fluchtversuch machen
zu wollen, desertirt sind: 24. Colonel Thibaudin, Kommandeur des 67. Linien-
Regiments."

Dieser Bruch des Ehrenwortes steht freilich durchaus nicht vereinzelt da. Eine
Verfügung der Regierung der nationalen Verteidigung versprach allen fran¬
zösischen Offizieren ohne Ausnahme, also auch den auf Ehrenwort verpflichteten,
welche aus deutscher Gefangenschaft entweichen würden, eine Geldbelohnung von
750 Franks und setzte damit geradezu eine Prämie und noch dazu eine recht


Lin französischer Kriegsminister.

Zahl rechneten, zugeben, daß das Werk der französischen Heeresorganisation
weder nach festen, unverrückter Grundsätzen, noch mit derjenigen Kontinuität der
Anschauungen gefördert worden ist, ohne welche ein Gelingen unmöglich erscheint.
Die Republik hat seit ihrer Aufrichtung mehr Kriegsminister verbraucht als das
preußische Heer in der zehnfachen Zeit, und jeder von ihnen hat sich immer
mehr oder weniger mit der Richtung seines Vorgängers im Widerspruche be¬
funden.

Es ist wohl überflüssig, die Reihe der aus dem Dunkel hervorgezogenen
und nach kurzer Zeit wieder der Vergessenheit zurückgegebenen Männer, welche
sich willig finden ließen, das ehrenvolle Amt eines französischen Kriegsministers
zu verwalten, hier mit Namen aufzuführen. Wir wollen auch durchaus nicht
sagen, daß die Republik mit der Wahl dieser hohen Würdenträger sich fort¬
während in der Lage des Steines befunden hätte, welcher bergab rollt, wenn
wir unumwunden unsrer Ansicht Ausdruck geben, daß Staat und Armee bei
der Ernennung des Generals Thibaudin den denkbar niedrigsten Standpunkt in
dieser Beziehung erreicht haben.

Die Gelegenheit und die politische Konstellation, welcher der genannte Herr
die Erhebung zu einem Posten verdankt, der noch in weit höherm Maße, als
dies beispielsweise im deutschen Heere der Fall ist, die gesamte Armeeleitung ir
einer Hand vereinigt, ist bekannt. Aber es ist wohl nicht überflüssig, Beweise
für die Richtigkeit der oben ausgesprochenen Anschauung beizubringen, und wir
verweisen deshalb zunächst auf zwei öffentliche Aktenstücke.

Der in Mainz erschienene „Süddeutsche Polizei-Telegraph" hat am 14. De¬
zember 1870 folgenden vom königlichen Gouvernement daselbst erlassenen und
gezeichneten Steckbrief veröffentlicht: „Der französische Kriegsgefangene Colonel
Thibaudin vom 67. Linienregiment, geboren zu Moulins en Gilbert, hat sich
unter Bruch seines Ehrenworts von hier heimlich entfernt. Alle Zivil- und
Militärbehörden werden hierdurch ersucht, auf den Thibaudin zu vigiliren und
ihn im Betretungsfalle dem Gouvernement zuführen zu lassen." (Folgt das
Signalement.)

Wenige Tage darauf brachte das „Militär-Wochenblatt" in Nummer 139
eine Bekanntmachung des Inhalts: „In Verfolg der Bekanntmachung im Mi¬
litär-Wochenblatt Ur. 184 werden diejenigen kriegsgefangenen Offiziere nam¬
haft gemacht, welche unter Bruch des Ehrenworts, keinen Fluchtversuch machen
zu wollen, desertirt sind: 24. Colonel Thibaudin, Kommandeur des 67. Linien-
Regiments."

Dieser Bruch des Ehrenwortes steht freilich durchaus nicht vereinzelt da. Eine
Verfügung der Regierung der nationalen Verteidigung versprach allen fran¬
zösischen Offizieren ohne Ausnahme, also auch den auf Ehrenwort verpflichteten,
welche aus deutscher Gefangenschaft entweichen würden, eine Geldbelohnung von
750 Franks und setzte damit geradezu eine Prämie und noch dazu eine recht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/610>, abgerufen am 23.07.2024.