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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwcrdt.

Der arme junge Mensch, sagte indessen die Frau Wirtin zu ihrem Ehe¬
herrn, der in seiner blauen Jacke am Herde saß und eine kleine Windmühle
schnitzte, welche er zur Zierde und zum Nutzen des frischen Herings als ein
Windzeichen auf dem Giebel befestigen wollte -- der arme, hübsche junge Mensch!
Er hat gewiß einen Kummer!

Der Ehegatte warf ihr einen schlauen Blick aus den Augenwinkeln zu und
sprach eine Vermutung aus, die dahin zielte, daß wahrscheinlich der Kummer
dieses Herrn dort seinen Grund habe, woher so vieler Kummer rühre, nämlich
in der Leerheit des Beutels, Sie aber hatte über diesen Puukt eine andre
Ansicht, welche sie freilich dem prosaischen Gemüte ihres Mannes anzuvertrauen
nicht geneigt war.

Der fremde Maler erwies sich als ein ruhiger Gast, der wenig Ansprüche
machte und mit einer Miene überlegener Gleichgiltigkeit die zu seinem Wohl¬
befinden getroffenen Anstalten betrachtete, welche der Wirtin vielleicht beleidigend
erschienen wären, wenn sie nicht von gelegentlicher Freundlichkeit begleitet ge¬
wesen wäre, die hin und wieder einem Sonnenblicke gleich aus dem ernsten Ge¬
sicht hervorgebrochen wäre. Er ging still seines Weges, streifte mit dem Skizzen¬
buche in den Wäldern und auf den Höhen umher und saß regelmäßig des
Abends mit seinem Thee und seiner Pfeife unter dem Lindenbäume und blickte
auf das Meer, Von dem unverfälschten Rotwein, den ihm die gefällige Wirtin
angepriesen, trank er so wenig, daß sie anfing, sich der Meinung zuzuneigen,
die ihr Mann in Bezug auf die finanziellen Verhältnisse des Gastes ausge¬
sprochen hatte, obwohl sie nicht leicht dessen Ansichten zustimmte und gerade
hinsichtlich dieses Fremden sich eine besondre Meinung gebildet hatte.

Was malen Sie denn, lieber Herr? fragte sie ihn eines Tages, als er mit
seinen: Skizzenbuche unterm Arme heimkehrte und lächelnd bei den weißhaarigen,
sonnverbrannter Kindern stehen blieb, die eine Art von Kriegstanz vor der
Hausthür aufführten, Malen Sie auch Menschen, oder malen Sie nur Felsen
und Bäume und Meer? Es war ihr der Gedanke gekommen, daß sich vielleicht
zwischen der Kunst des Gastes und den Forderungen des Wirtes ein Kompromiß
schließen ließe, der für beide Teile vorteilhaft wäre, indem er den schmalen
Beutel des erstern schonte und dem Hause des letztern ein schönes, vielfarbiges
Gemälde zurückließ, auf welchem die Familie Zeysing, Vater und Mutter nebst
fünf in Orgclpfeifenreihe aufeinanderfolgenden gesunden Fischerkindern, sich in ihren
besten Anzügen imponirend darstellten.

Aber das Skizzenbuch, welches ihr der Maler auf ihren Wunsch zur Einsicht
überließ, befriedigte sie wenig und ließ ihre Hoffnungen schwinden.

Ach, lieber Herr, sagte Sie, das sind lauter schwarze und weiße Striche,
und ich sollte nicht denken, daß sie dafür viel Geld bekommen werden. Da
war vor zwei Jahren, der Herr Guido hier, der verstand das besser. Er hatte
noch einen andern Namen, den ich aber niemals gut merken konnte, und ich


Die Grafen von Altenschwcrdt.

Der arme junge Mensch, sagte indessen die Frau Wirtin zu ihrem Ehe¬
herrn, der in seiner blauen Jacke am Herde saß und eine kleine Windmühle
schnitzte, welche er zur Zierde und zum Nutzen des frischen Herings als ein
Windzeichen auf dem Giebel befestigen wollte — der arme, hübsche junge Mensch!
Er hat gewiß einen Kummer!

Der Ehegatte warf ihr einen schlauen Blick aus den Augenwinkeln zu und
sprach eine Vermutung aus, die dahin zielte, daß wahrscheinlich der Kummer
dieses Herrn dort seinen Grund habe, woher so vieler Kummer rühre, nämlich
in der Leerheit des Beutels, Sie aber hatte über diesen Puukt eine andre
Ansicht, welche sie freilich dem prosaischen Gemüte ihres Mannes anzuvertrauen
nicht geneigt war.

Der fremde Maler erwies sich als ein ruhiger Gast, der wenig Ansprüche
machte und mit einer Miene überlegener Gleichgiltigkeit die zu seinem Wohl¬
befinden getroffenen Anstalten betrachtete, welche der Wirtin vielleicht beleidigend
erschienen wären, wenn sie nicht von gelegentlicher Freundlichkeit begleitet ge¬
wesen wäre, die hin und wieder einem Sonnenblicke gleich aus dem ernsten Ge¬
sicht hervorgebrochen wäre. Er ging still seines Weges, streifte mit dem Skizzen¬
buche in den Wäldern und auf den Höhen umher und saß regelmäßig des
Abends mit seinem Thee und seiner Pfeife unter dem Lindenbäume und blickte
auf das Meer, Von dem unverfälschten Rotwein, den ihm die gefällige Wirtin
angepriesen, trank er so wenig, daß sie anfing, sich der Meinung zuzuneigen,
die ihr Mann in Bezug auf die finanziellen Verhältnisse des Gastes ausge¬
sprochen hatte, obwohl sie nicht leicht dessen Ansichten zustimmte und gerade
hinsichtlich dieses Fremden sich eine besondre Meinung gebildet hatte.

Was malen Sie denn, lieber Herr? fragte sie ihn eines Tages, als er mit
seinen: Skizzenbuche unterm Arme heimkehrte und lächelnd bei den weißhaarigen,
sonnverbrannter Kindern stehen blieb, die eine Art von Kriegstanz vor der
Hausthür aufführten, Malen Sie auch Menschen, oder malen Sie nur Felsen
und Bäume und Meer? Es war ihr der Gedanke gekommen, daß sich vielleicht
zwischen der Kunst des Gastes und den Forderungen des Wirtes ein Kompromiß
schließen ließe, der für beide Teile vorteilhaft wäre, indem er den schmalen
Beutel des erstern schonte und dem Hause des letztern ein schönes, vielfarbiges
Gemälde zurückließ, auf welchem die Familie Zeysing, Vater und Mutter nebst
fünf in Orgclpfeifenreihe aufeinanderfolgenden gesunden Fischerkindern, sich in ihren
besten Anzügen imponirend darstellten.

Aber das Skizzenbuch, welches ihr der Maler auf ihren Wunsch zur Einsicht
überließ, befriedigte sie wenig und ließ ihre Hoffnungen schwinden.

Ach, lieber Herr, sagte Sie, das sind lauter schwarze und weiße Striche,
und ich sollte nicht denken, daß sie dafür viel Geld bekommen werden. Da
war vor zwei Jahren, der Herr Guido hier, der verstand das besser. Er hatte
noch einen andern Namen, den ich aber niemals gut merken konnte, und ich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/60>, abgerufen am 25.08.2024.