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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Heinrich Laubes Erinnerungen.

beweisen war, daß er kein Shakespeare sei) gelästert, lächerlich gemacht ward,
wenn er mehr sein wollte als Mosenthal und Virchpfeiffer? Ging ein Geist
von der Bühnenleitung aus, der den ehrenhaften, um der Sache der Kunst
willen schreibenden Kritikern Mut und Lust gab, sich dem Burgtheater anzu¬
schließen, und der die Schmachreklame, die inzwischen auch in Wien üppig ins
Kraut geschossen war, abschreckte, dem künstlerischen Institut ihre Dienste zu
weihen? Wie gesagt, es wäre im höchsten Maße Unrecht von einem Fernstehenden,
alle diese Fragen zu entscheiden, aber aufgeworfen müssen sie immerhin werden,
und zu wünschen bleibt es, daß die Laubeschen Erinnerungen etwas mehr Anhalt
zu ihrer Beantwortung bieten möchten.

Über seine letzten Erlebnisse als Direktor des Leipziger Stadttheaters und
als Leiter des neugegründeten Wiener Stadttheaters, welches sich als rechtes
Kind des großen Börsenschwindels der ersten siebziger Jahre erwies und mit
dem Krach selbst verkrachte, geht Laube rasch hinweg, er giebt nur ein paar
flüchtige Notizen. Daß er das Leipziger Theater vor allem deshalb aufgegeben,
weil er die französische Komödie nicht in der Weise zu Pflegen und zu bevorzugen
vermochte wie in Wien, gesteht Laube offen zu. In seiner betreffenden Aus¬
einandersetzung (S. 204 und 205 der "Erinnerungen") mischt sich Wahres nud
Falsches in bedenklicher Weise. Er hat Recht, daß er dem Stück aus der
gegenwärtigen Welt einen bedeutenden Anteil an dem Gedeihen und der lebendigen
Wirkung des Theaters zuspricht. Aber er übersieht, daß die französischen Ko¬
mödien für uns diese Wirkungen nur partiell haben können, weil sich die fran¬
zösische Gesellschaft, die französische Familie auf einer total andern Basis auf¬
bauen, als unsre Familie, unsre Gesellschaft. Die Sittlichkeitsfrage ganz bei¬
seite gesetzt -- die bloßen Voraussetzungen der dramatischen Probleme und
Konflikte sind total andre.

Laubes "Erinnerungen" berühren die spätere literarische Thätigkeit des
Schriftstellers sehr nebenher und durchaus bescheiden. Es ist nur gerecht her¬
vorzuheben, daß er mitten in der drängenden und zerstreuenden Direktions-
thätigkeit Sammlung und Kraft gefunden hat, sein tüchtigstes und nach unserm
Urteil bleibendstes Buch, den historischen Roman "Der deutsche Krieg," zu ent¬
.x. werfen und auszuführen.




Heinrich Laubes Erinnerungen.

beweisen war, daß er kein Shakespeare sei) gelästert, lächerlich gemacht ward,
wenn er mehr sein wollte als Mosenthal und Virchpfeiffer? Ging ein Geist
von der Bühnenleitung aus, der den ehrenhaften, um der Sache der Kunst
willen schreibenden Kritikern Mut und Lust gab, sich dem Burgtheater anzu¬
schließen, und der die Schmachreklame, die inzwischen auch in Wien üppig ins
Kraut geschossen war, abschreckte, dem künstlerischen Institut ihre Dienste zu
weihen? Wie gesagt, es wäre im höchsten Maße Unrecht von einem Fernstehenden,
alle diese Fragen zu entscheiden, aber aufgeworfen müssen sie immerhin werden,
und zu wünschen bleibt es, daß die Laubeschen Erinnerungen etwas mehr Anhalt
zu ihrer Beantwortung bieten möchten.

Über seine letzten Erlebnisse als Direktor des Leipziger Stadttheaters und
als Leiter des neugegründeten Wiener Stadttheaters, welches sich als rechtes
Kind des großen Börsenschwindels der ersten siebziger Jahre erwies und mit
dem Krach selbst verkrachte, geht Laube rasch hinweg, er giebt nur ein paar
flüchtige Notizen. Daß er das Leipziger Theater vor allem deshalb aufgegeben,
weil er die französische Komödie nicht in der Weise zu Pflegen und zu bevorzugen
vermochte wie in Wien, gesteht Laube offen zu. In seiner betreffenden Aus¬
einandersetzung (S. 204 und 205 der „Erinnerungen") mischt sich Wahres nud
Falsches in bedenklicher Weise. Er hat Recht, daß er dem Stück aus der
gegenwärtigen Welt einen bedeutenden Anteil an dem Gedeihen und der lebendigen
Wirkung des Theaters zuspricht. Aber er übersieht, daß die französischen Ko¬
mödien für uns diese Wirkungen nur partiell haben können, weil sich die fran¬
zösische Gesellschaft, die französische Familie auf einer total andern Basis auf¬
bauen, als unsre Familie, unsre Gesellschaft. Die Sittlichkeitsfrage ganz bei¬
seite gesetzt — die bloßen Voraussetzungen der dramatischen Probleme und
Konflikte sind total andre.

Laubes „Erinnerungen" berühren die spätere literarische Thätigkeit des
Schriftstellers sehr nebenher und durchaus bescheiden. Es ist nur gerecht her¬
vorzuheben, daß er mitten in der drängenden und zerstreuenden Direktions-
thätigkeit Sammlung und Kraft gefunden hat, sein tüchtigstes und nach unserm
Urteil bleibendstes Buch, den historischen Roman „Der deutsche Krieg," zu ent¬
.x. werfen und auszuführen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/578>, abgerufen am 23.07.2024.