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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

darauf. Eine Thräne fiel aus seinem Auge auf das schmächtige Handgelenk,
welches aus dem Battistärmel hervorlugtc, und die Thräne war so heiß, daß
der Arm zuckte.

Es finden sich hierin alle die Dokumente, deren mein Sohn jemals be¬
dürfen könnte, um die Ehre seiner Mutter und seine eigne zu verteidigen,
sagte die Dame mit bebenden Lippen. Auch findet sich darin das kleine Ver¬
mögen in Obligationen der Vereinigten Staaten, welches ich ihm hinterlasse.
Was dieses letztere anlangt, so kann mein Sohn damit verfahren, wie er will.
Was aber jene Dokumente betrifft, so soll er des Versprechens gedenken, welches
er mir gegeben hat.

Bei diesen Worten richtete sich die Sterbende auf, und ihre Stimme ward
vernehmbarer.

Hörst du, Andrew, du, der du den Verstorbenen gekannt hast! sagte sie in
feierlicher und ihn gleichsam beschwörender Weise. Hörst du, ich will nicht, daß
das Andenken dessen, den ich liebte, befleckt wird. Sage meinem Sohne, daß
diese Dokumente zwar sein unbestreitbares Eigentum sind, daß er aber damit
nur seinem Versprechen gemäß verfahren darf. Dieses letzte Wort seiner Mutter
an ihn, dieser letzte Wunsch seiner Mutter wird ihm heilig sein, das weiß ich.

Sie nahm, nachdem sie so gesprochen hatte, ein Bild aus der Kassette, ein
kleines Pastellbild, einen schönen Mann von vornehmem Aussehen darstellend.

Indem sie das Porträt in ihren gefalteten Händen emporhielt, sank sie
wieder in die Kissen zurück, und Thränen benetzten ihre Wangen. Legt mir dies
Bild in das Grab, bat sie mit erstickender Stimme. Er hat mir das Herz ge¬
brochen, aber so werde ich desto früher mit ihm wieder vereinigt sein.

Sie preßte das Bild an ihre Lippen, und dann sanken ihre Hände kraftlos
in ihren Schoß zurück, und sie lehnte müde den Kopf zur Seite. Die Auf¬
regung der letzten Minuten schien ihren schwachen Rest von Lebenskraft auf¬
gezehrt zu haben. Ihr Atem ward schwächer, noch einmal heftete sich ihr Blick
mit einem sanften Lächeln auf die Shakerin und den treuen Diener, richtete
sich dann auf den Himmel, dessen Röte nun in eine bläuliche Färbung ver¬
schwamm, ein Zittern durchflog die ätherische Gestalt, und dann war auf Erden
für sie alles beendigt.

Die Shakerin legte ihr die Hand auf das Herz und lauschte auf die letzten
Spuren des Atems, dann, als alles ruhig geworden war, drückte sie der Ver¬
storbenen die Augen zu, und es knieten zu beiden Seiten ihrer Lagerstätte die
Zeugen ihres Todes nieder und beteten zu dem Gott, der die arme, müde Seele
erlöst hatte.

Es war ganz still in dem puritanischen Gemach, zu der offnen Thüre
wehte der Abendwind herein, und Dämmerung verbreitete sich über die segen¬
schweren Gefilde, die von dem Fleiße der frommen Gemeinde Zeugnis ablegten,
über die schöne, friedliche Ansiedlung, die lange Jahre hindurch dem bekümmerten


Die Grafen von Altenschwerdt.

darauf. Eine Thräne fiel aus seinem Auge auf das schmächtige Handgelenk,
welches aus dem Battistärmel hervorlugtc, und die Thräne war so heiß, daß
der Arm zuckte.

Es finden sich hierin alle die Dokumente, deren mein Sohn jemals be¬
dürfen könnte, um die Ehre seiner Mutter und seine eigne zu verteidigen,
sagte die Dame mit bebenden Lippen. Auch findet sich darin das kleine Ver¬
mögen in Obligationen der Vereinigten Staaten, welches ich ihm hinterlasse.
Was dieses letztere anlangt, so kann mein Sohn damit verfahren, wie er will.
Was aber jene Dokumente betrifft, so soll er des Versprechens gedenken, welches
er mir gegeben hat.

Bei diesen Worten richtete sich die Sterbende auf, und ihre Stimme ward
vernehmbarer.

Hörst du, Andrew, du, der du den Verstorbenen gekannt hast! sagte sie in
feierlicher und ihn gleichsam beschwörender Weise. Hörst du, ich will nicht, daß
das Andenken dessen, den ich liebte, befleckt wird. Sage meinem Sohne, daß
diese Dokumente zwar sein unbestreitbares Eigentum sind, daß er aber damit
nur seinem Versprechen gemäß verfahren darf. Dieses letzte Wort seiner Mutter
an ihn, dieser letzte Wunsch seiner Mutter wird ihm heilig sein, das weiß ich.

Sie nahm, nachdem sie so gesprochen hatte, ein Bild aus der Kassette, ein
kleines Pastellbild, einen schönen Mann von vornehmem Aussehen darstellend.

Indem sie das Porträt in ihren gefalteten Händen emporhielt, sank sie
wieder in die Kissen zurück, und Thränen benetzten ihre Wangen. Legt mir dies
Bild in das Grab, bat sie mit erstickender Stimme. Er hat mir das Herz ge¬
brochen, aber so werde ich desto früher mit ihm wieder vereinigt sein.

Sie preßte das Bild an ihre Lippen, und dann sanken ihre Hände kraftlos
in ihren Schoß zurück, und sie lehnte müde den Kopf zur Seite. Die Auf¬
regung der letzten Minuten schien ihren schwachen Rest von Lebenskraft auf¬
gezehrt zu haben. Ihr Atem ward schwächer, noch einmal heftete sich ihr Blick
mit einem sanften Lächeln auf die Shakerin und den treuen Diener, richtete
sich dann auf den Himmel, dessen Röte nun in eine bläuliche Färbung ver¬
schwamm, ein Zittern durchflog die ätherische Gestalt, und dann war auf Erden
für sie alles beendigt.

Die Shakerin legte ihr die Hand auf das Herz und lauschte auf die letzten
Spuren des Atems, dann, als alles ruhig geworden war, drückte sie der Ver¬
storbenen die Augen zu, und es knieten zu beiden Seiten ihrer Lagerstätte die
Zeugen ihres Todes nieder und beteten zu dem Gott, der die arme, müde Seele
erlöst hatte.

Es war ganz still in dem puritanischen Gemach, zu der offnen Thüre
wehte der Abendwind herein, und Dämmerung verbreitete sich über die segen¬
schweren Gefilde, die von dem Fleiße der frommen Gemeinde Zeugnis ablegten,
über die schöne, friedliche Ansiedlung, die lange Jahre hindurch dem bekümmerten


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[0056] Die Grafen von Altenschwerdt. darauf. Eine Thräne fiel aus seinem Auge auf das schmächtige Handgelenk, welches aus dem Battistärmel hervorlugtc, und die Thräne war so heiß, daß der Arm zuckte. Es finden sich hierin alle die Dokumente, deren mein Sohn jemals be¬ dürfen könnte, um die Ehre seiner Mutter und seine eigne zu verteidigen, sagte die Dame mit bebenden Lippen. Auch findet sich darin das kleine Ver¬ mögen in Obligationen der Vereinigten Staaten, welches ich ihm hinterlasse. Was dieses letztere anlangt, so kann mein Sohn damit verfahren, wie er will. Was aber jene Dokumente betrifft, so soll er des Versprechens gedenken, welches er mir gegeben hat. Bei diesen Worten richtete sich die Sterbende auf, und ihre Stimme ward vernehmbarer. Hörst du, Andrew, du, der du den Verstorbenen gekannt hast! sagte sie in feierlicher und ihn gleichsam beschwörender Weise. Hörst du, ich will nicht, daß das Andenken dessen, den ich liebte, befleckt wird. Sage meinem Sohne, daß diese Dokumente zwar sein unbestreitbares Eigentum sind, daß er aber damit nur seinem Versprechen gemäß verfahren darf. Dieses letzte Wort seiner Mutter an ihn, dieser letzte Wunsch seiner Mutter wird ihm heilig sein, das weiß ich. Sie nahm, nachdem sie so gesprochen hatte, ein Bild aus der Kassette, ein kleines Pastellbild, einen schönen Mann von vornehmem Aussehen darstellend. Indem sie das Porträt in ihren gefalteten Händen emporhielt, sank sie wieder in die Kissen zurück, und Thränen benetzten ihre Wangen. Legt mir dies Bild in das Grab, bat sie mit erstickender Stimme. Er hat mir das Herz ge¬ brochen, aber so werde ich desto früher mit ihm wieder vereinigt sein. Sie preßte das Bild an ihre Lippen, und dann sanken ihre Hände kraftlos in ihren Schoß zurück, und sie lehnte müde den Kopf zur Seite. Die Auf¬ regung der letzten Minuten schien ihren schwachen Rest von Lebenskraft auf¬ gezehrt zu haben. Ihr Atem ward schwächer, noch einmal heftete sich ihr Blick mit einem sanften Lächeln auf die Shakerin und den treuen Diener, richtete sich dann auf den Himmel, dessen Röte nun in eine bläuliche Färbung ver¬ schwamm, ein Zittern durchflog die ätherische Gestalt, und dann war auf Erden für sie alles beendigt. Die Shakerin legte ihr die Hand auf das Herz und lauschte auf die letzten Spuren des Atems, dann, als alles ruhig geworden war, drückte sie der Ver¬ storbenen die Augen zu, und es knieten zu beiden Seiten ihrer Lagerstätte die Zeugen ihres Todes nieder und beteten zu dem Gott, der die arme, müde Seele erlöst hatte. Es war ganz still in dem puritanischen Gemach, zu der offnen Thüre wehte der Abendwind herein, und Dämmerung verbreitete sich über die segen¬ schweren Gefilde, die von dem Fleiße der frommen Gemeinde Zeugnis ablegten, über die schöne, friedliche Ansiedlung, die lange Jahre hindurch dem bekümmerten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/56>, abgerufen am 23.07.2024.