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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

einmal ihrem Sohne gegenüber zur Sprache gebracht und der diesen so sehr
aufgeregt hatte. Sie wünschte vorläufig alles zu thun, um Wind und Wetter
klar und rein und einer guten Kur günstig zu halten.

So fuhr sie denn auch eines Nachmittags zu Anfang der vierten Woche
mit ihrem Sohne spazieren, und mau hatte den Weg nach Scholldorf gewählt,
der die Bucht umkreiste. Jenseits Scholldorf wollten sie eine Strecke durch den
Wald fahre" und von Süden her nach Fischbcck zurückkehren. Gräfin Sibylle
saß mit Dietrich im Fond des Landauers und Fräulein Glock auf dein Rücksitz.
So hatte die Gräfin es gebieterisch gleich bei der ersten Ausfahrt zu Dreien
angeordnet, als Dietrich höflich das junge Mädchen auf den bessern Platz nötigen
wollte. Sie hielt streng auf Rangordnung.

Es war sehr schweigsam im Wagen. Fräulein Glock hielt die Augen auf
die im Sonnenschein blinkende See geheftet, Dietrich blickte träumerisch vor sich
hin, und Gräfin Sibylle war ebenfalls lebhaft mit den eignen Gedanken be¬
schäftigt, indem sie ein Billet des Barons von Sextus überlegte, das sie diesen
Morgen erhalten hatte und worin er ihr mitteilte, daß sein Gichtanfall glücklich
vorübergegangen und er wieder imstande sei, umherzugehen.

So rollte der Wagen längs der Küste dahin und lenkte dann in das kleine
Scholldorf ein, das, halb unter seinen Weidenbäumen und Buchen versteckt,
leblos in der Sonne brütete. Der Schall des Pferdegctmppels und das Rollen
der Räder lockten hie und da eine Fischersfrau an die Thür und ließen die
spielenden Kinder mit Jubelgeheul in einer Staubwolke zur Seite stieben, der
Geruch von getrockneten Fischen, durch den der untere Teil des Dorfes sich hervor¬
that, erfüllte die Luft, und die Gäule peitschten heftiger als am Gestade mit den
Schweifen nach den lästigen Fliegen. Es war sehr heiß, und umsomehr erschien
es auffallend, daß vor dem Gasthause zum frischen Hering, gerade auf der
mit schwarzen: Schiefer beschlagenen Westseite, wo eine wahre Backofenglut
herrschen mußte, ein Mann behaglich auf der Bank saß. Allerdings sah Dietrich,
indem der Wagen vorüberrollte, daß dieser Mann, ein Neger war. Die Sonnen¬
strahlen spiegelten sich in einem Gesicht, welches wie polirter schwarzer Marmor
glänzte. Der Mann hatte den Hut zurückgeschoben und hielt eine kurze Tabaks¬
pfeife zwischen den Zähnen.

Sieh doch, Mama, sagte Dietrich, wie dieser schwarze Kerl sich seinen
äquatorialen Gefühlen hingiebt.

Die Gräfin antwortete nicht, und Dietrich blickte, ohne sehr auf eine
Antwort gespannt zu sein, wieder vor sich hin, als er nach etwa einer halben
Minute bemerkte, daß Fräulein Glock eilfertig ein Riechfläschchen aus ihrem
Necessaire zog und damit der Gräfin unter die Nase fuhr. Er sah erschreckt
in seiner Mutter Gesicht und fand, daß es sehr blaß war und daß ihre Augen
einen leeren Ausdruck zeigten, als ob eine Ohnmacht nahe sei. Er konnte sich
der Beobachtung nicht enthalten, daß die Wangen der Gräfin ihr sanftes Rot


Die Grafen von Altenschwerdt.

einmal ihrem Sohne gegenüber zur Sprache gebracht und der diesen so sehr
aufgeregt hatte. Sie wünschte vorläufig alles zu thun, um Wind und Wetter
klar und rein und einer guten Kur günstig zu halten.

So fuhr sie denn auch eines Nachmittags zu Anfang der vierten Woche
mit ihrem Sohne spazieren, und mau hatte den Weg nach Scholldorf gewählt,
der die Bucht umkreiste. Jenseits Scholldorf wollten sie eine Strecke durch den
Wald fahre» und von Süden her nach Fischbcck zurückkehren. Gräfin Sibylle
saß mit Dietrich im Fond des Landauers und Fräulein Glock auf dein Rücksitz.
So hatte die Gräfin es gebieterisch gleich bei der ersten Ausfahrt zu Dreien
angeordnet, als Dietrich höflich das junge Mädchen auf den bessern Platz nötigen
wollte. Sie hielt streng auf Rangordnung.

Es war sehr schweigsam im Wagen. Fräulein Glock hielt die Augen auf
die im Sonnenschein blinkende See geheftet, Dietrich blickte träumerisch vor sich
hin, und Gräfin Sibylle war ebenfalls lebhaft mit den eignen Gedanken be¬
schäftigt, indem sie ein Billet des Barons von Sextus überlegte, das sie diesen
Morgen erhalten hatte und worin er ihr mitteilte, daß sein Gichtanfall glücklich
vorübergegangen und er wieder imstande sei, umherzugehen.

So rollte der Wagen längs der Küste dahin und lenkte dann in das kleine
Scholldorf ein, das, halb unter seinen Weidenbäumen und Buchen versteckt,
leblos in der Sonne brütete. Der Schall des Pferdegctmppels und das Rollen
der Räder lockten hie und da eine Fischersfrau an die Thür und ließen die
spielenden Kinder mit Jubelgeheul in einer Staubwolke zur Seite stieben, der
Geruch von getrockneten Fischen, durch den der untere Teil des Dorfes sich hervor¬
that, erfüllte die Luft, und die Gäule peitschten heftiger als am Gestade mit den
Schweifen nach den lästigen Fliegen. Es war sehr heiß, und umsomehr erschien
es auffallend, daß vor dem Gasthause zum frischen Hering, gerade auf der
mit schwarzen: Schiefer beschlagenen Westseite, wo eine wahre Backofenglut
herrschen mußte, ein Mann behaglich auf der Bank saß. Allerdings sah Dietrich,
indem der Wagen vorüberrollte, daß dieser Mann, ein Neger war. Die Sonnen¬
strahlen spiegelten sich in einem Gesicht, welches wie polirter schwarzer Marmor
glänzte. Der Mann hatte den Hut zurückgeschoben und hielt eine kurze Tabaks¬
pfeife zwischen den Zähnen.

Sieh doch, Mama, sagte Dietrich, wie dieser schwarze Kerl sich seinen
äquatorialen Gefühlen hingiebt.

Die Gräfin antwortete nicht, und Dietrich blickte, ohne sehr auf eine
Antwort gespannt zu sein, wieder vor sich hin, als er nach etwa einer halben
Minute bemerkte, daß Fräulein Glock eilfertig ein Riechfläschchen aus ihrem
Necessaire zog und damit der Gräfin unter die Nase fuhr. Er sah erschreckt
in seiner Mutter Gesicht und fand, daß es sehr blaß war und daß ihre Augen
einen leeren Ausdruck zeigten, als ob eine Ohnmacht nahe sei. Er konnte sich
der Beobachtung nicht enthalten, daß die Wangen der Gräfin ihr sanftes Rot


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[0550] Die Grafen von Altenschwerdt. einmal ihrem Sohne gegenüber zur Sprache gebracht und der diesen so sehr aufgeregt hatte. Sie wünschte vorläufig alles zu thun, um Wind und Wetter klar und rein und einer guten Kur günstig zu halten. So fuhr sie denn auch eines Nachmittags zu Anfang der vierten Woche mit ihrem Sohne spazieren, und mau hatte den Weg nach Scholldorf gewählt, der die Bucht umkreiste. Jenseits Scholldorf wollten sie eine Strecke durch den Wald fahre» und von Süden her nach Fischbcck zurückkehren. Gräfin Sibylle saß mit Dietrich im Fond des Landauers und Fräulein Glock auf dein Rücksitz. So hatte die Gräfin es gebieterisch gleich bei der ersten Ausfahrt zu Dreien angeordnet, als Dietrich höflich das junge Mädchen auf den bessern Platz nötigen wollte. Sie hielt streng auf Rangordnung. Es war sehr schweigsam im Wagen. Fräulein Glock hielt die Augen auf die im Sonnenschein blinkende See geheftet, Dietrich blickte träumerisch vor sich hin, und Gräfin Sibylle war ebenfalls lebhaft mit den eignen Gedanken be¬ schäftigt, indem sie ein Billet des Barons von Sextus überlegte, das sie diesen Morgen erhalten hatte und worin er ihr mitteilte, daß sein Gichtanfall glücklich vorübergegangen und er wieder imstande sei, umherzugehen. So rollte der Wagen längs der Küste dahin und lenkte dann in das kleine Scholldorf ein, das, halb unter seinen Weidenbäumen und Buchen versteckt, leblos in der Sonne brütete. Der Schall des Pferdegctmppels und das Rollen der Räder lockten hie und da eine Fischersfrau an die Thür und ließen die spielenden Kinder mit Jubelgeheul in einer Staubwolke zur Seite stieben, der Geruch von getrockneten Fischen, durch den der untere Teil des Dorfes sich hervor¬ that, erfüllte die Luft, und die Gäule peitschten heftiger als am Gestade mit den Schweifen nach den lästigen Fliegen. Es war sehr heiß, und umsomehr erschien es auffallend, daß vor dem Gasthause zum frischen Hering, gerade auf der mit schwarzen: Schiefer beschlagenen Westseite, wo eine wahre Backofenglut herrschen mußte, ein Mann behaglich auf der Bank saß. Allerdings sah Dietrich, indem der Wagen vorüberrollte, daß dieser Mann, ein Neger war. Die Sonnen¬ strahlen spiegelten sich in einem Gesicht, welches wie polirter schwarzer Marmor glänzte. Der Mann hatte den Hut zurückgeschoben und hielt eine kurze Tabaks¬ pfeife zwischen den Zähnen. Sieh doch, Mama, sagte Dietrich, wie dieser schwarze Kerl sich seinen äquatorialen Gefühlen hingiebt. Die Gräfin antwortete nicht, und Dietrich blickte, ohne sehr auf eine Antwort gespannt zu sein, wieder vor sich hin, als er nach etwa einer halben Minute bemerkte, daß Fräulein Glock eilfertig ein Riechfläschchen aus ihrem Necessaire zog und damit der Gräfin unter die Nase fuhr. Er sah erschreckt in seiner Mutter Gesicht und fand, daß es sehr blaß war und daß ihre Augen einen leeren Ausdruck zeigten, als ob eine Ohnmacht nahe sei. Er konnte sich der Beobachtung nicht enthalten, daß die Wangen der Gräfin ihr sanftes Rot

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/550>, abgerufen am 28.09.2024.