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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Henri Regnault.

Es ist charakteristisch, daß der Maler der "Hinrichtung ohne Urteilsspruch,"
dessen Phantasie die schrecklichsten Greuelthaten der Vergangenheit wieder auf¬
leben ließ, im wirklichen Leben durch jede Roheit aufs peinlichste berührt, aufs
schwerste verletzt wurde. Mit Baudry, Vvulanger und einigen andern Künst¬
lern trat Regnault nun in die neugebildeten Marschkompagnien ein und that
als Soldat heroisch seine Pflicht. Der empfindliche Maler, der immer nach
der Sonne des Südens strebte, hatte durch die Kälte des ungewöhnlich harten
Winters schwer zu leiden. Aber kein Wort der Klage kam über seine Lippen.
Sein leidenschaftlicher Patriotismus hatte ihn zum Philosophen gemacht, dessen
Grundsätze auf einem Blatte, das man bei seiner Leiche fand, also formulirt
waren: "Heute befiehlt uns die Republik, ein reines, ehrenhaftes und recht¬
schaffenes Leben zu führen, und wir sind verpflichtet, dem Vaterlande und über
das Vaterland hinaus der freien Humanität den Tribut unsers Körpers und
unsrer Seele darzubringen. Was diese beiden zusammen schaffen können, sind
wir jener schuldig. Alle unsre Kräfte müssen wir zum Heile der großen Fa¬
milie beitragen, indem wir selbst die Gefühle der Ehre und die Liebe zur Ar¬
beit bethätigen und sie bei den andern zu erwecken suchen." Für die Wahrheit
dieser seiner Überzeugung setzte er sein Blut ein. Am 19. Januar 1871, als
die Franzosen den letzten Ausfall gegen Versailles unternahmen, fiel er, von
einer preußischen Kugel in die linke Schläfe getroffen, als ein Opfer seiner
eignen Tollkühnheit. Nachdem schon zum Rückzüge geblasen worden war und
man ihn aufgefordert hatte, dem Signal Folge zu leisten, gab er zur Ant¬
wort, er wolle nur noch seine letzten Patronen abfeuern. Er schoß über eine
Mauer des Parkes von Buzenval hinweg, und als sein Kopf oberhalb der
Mauer auftauchte, empfing er die todbringende Kugel. An demselben Tage, als
Jules Favre als Unterhändler im deutschen Hauptquartier in Versailles erschien,
wurde Henri Regnault mit zweihundert Kameraden auf dem Pere Lachaise
bestattet.




Henri Regnault.

Es ist charakteristisch, daß der Maler der „Hinrichtung ohne Urteilsspruch,"
dessen Phantasie die schrecklichsten Greuelthaten der Vergangenheit wieder auf¬
leben ließ, im wirklichen Leben durch jede Roheit aufs peinlichste berührt, aufs
schwerste verletzt wurde. Mit Baudry, Vvulanger und einigen andern Künst¬
lern trat Regnault nun in die neugebildeten Marschkompagnien ein und that
als Soldat heroisch seine Pflicht. Der empfindliche Maler, der immer nach
der Sonne des Südens strebte, hatte durch die Kälte des ungewöhnlich harten
Winters schwer zu leiden. Aber kein Wort der Klage kam über seine Lippen.
Sein leidenschaftlicher Patriotismus hatte ihn zum Philosophen gemacht, dessen
Grundsätze auf einem Blatte, das man bei seiner Leiche fand, also formulirt
waren: „Heute befiehlt uns die Republik, ein reines, ehrenhaftes und recht¬
schaffenes Leben zu führen, und wir sind verpflichtet, dem Vaterlande und über
das Vaterland hinaus der freien Humanität den Tribut unsers Körpers und
unsrer Seele darzubringen. Was diese beiden zusammen schaffen können, sind
wir jener schuldig. Alle unsre Kräfte müssen wir zum Heile der großen Fa¬
milie beitragen, indem wir selbst die Gefühle der Ehre und die Liebe zur Ar¬
beit bethätigen und sie bei den andern zu erwecken suchen." Für die Wahrheit
dieser seiner Überzeugung setzte er sein Blut ein. Am 19. Januar 1871, als
die Franzosen den letzten Ausfall gegen Versailles unternahmen, fiel er, von
einer preußischen Kugel in die linke Schläfe getroffen, als ein Opfer seiner
eignen Tollkühnheit. Nachdem schon zum Rückzüge geblasen worden war und
man ihn aufgefordert hatte, dem Signal Folge zu leisten, gab er zur Ant¬
wort, er wolle nur noch seine letzten Patronen abfeuern. Er schoß über eine
Mauer des Parkes von Buzenval hinweg, und als sein Kopf oberhalb der
Mauer auftauchte, empfing er die todbringende Kugel. An demselben Tage, als
Jules Favre als Unterhändler im deutschen Hauptquartier in Versailles erschien,
wurde Henri Regnault mit zweihundert Kameraden auf dem Pere Lachaise
bestattet.




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[0535] Henri Regnault. Es ist charakteristisch, daß der Maler der „Hinrichtung ohne Urteilsspruch," dessen Phantasie die schrecklichsten Greuelthaten der Vergangenheit wieder auf¬ leben ließ, im wirklichen Leben durch jede Roheit aufs peinlichste berührt, aufs schwerste verletzt wurde. Mit Baudry, Vvulanger und einigen andern Künst¬ lern trat Regnault nun in die neugebildeten Marschkompagnien ein und that als Soldat heroisch seine Pflicht. Der empfindliche Maler, der immer nach der Sonne des Südens strebte, hatte durch die Kälte des ungewöhnlich harten Winters schwer zu leiden. Aber kein Wort der Klage kam über seine Lippen. Sein leidenschaftlicher Patriotismus hatte ihn zum Philosophen gemacht, dessen Grundsätze auf einem Blatte, das man bei seiner Leiche fand, also formulirt waren: „Heute befiehlt uns die Republik, ein reines, ehrenhaftes und recht¬ schaffenes Leben zu führen, und wir sind verpflichtet, dem Vaterlande und über das Vaterland hinaus der freien Humanität den Tribut unsers Körpers und unsrer Seele darzubringen. Was diese beiden zusammen schaffen können, sind wir jener schuldig. Alle unsre Kräfte müssen wir zum Heile der großen Fa¬ milie beitragen, indem wir selbst die Gefühle der Ehre und die Liebe zur Ar¬ beit bethätigen und sie bei den andern zu erwecken suchen." Für die Wahrheit dieser seiner Überzeugung setzte er sein Blut ein. Am 19. Januar 1871, als die Franzosen den letzten Ausfall gegen Versailles unternahmen, fiel er, von einer preußischen Kugel in die linke Schläfe getroffen, als ein Opfer seiner eignen Tollkühnheit. Nachdem schon zum Rückzüge geblasen worden war und man ihn aufgefordert hatte, dem Signal Folge zu leisten, gab er zur Ant¬ wort, er wolle nur noch seine letzten Patronen abfeuern. Er schoß über eine Mauer des Parkes von Buzenval hinweg, und als sein Kopf oberhalb der Mauer auftauchte, empfing er die todbringende Kugel. An demselben Tage, als Jules Favre als Unterhändler im deutschen Hauptquartier in Versailles erschien, wurde Henri Regnault mit zweihundert Kameraden auf dem Pere Lachaise bestattet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/535>, abgerufen am 23.07.2024.