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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Henri Regnault.

schimmernden Pracht der Alhambra, enthüllte sich seinen Augen die Welt, die
er sich erträumt hatte. Damals stieg der erste Gedanke an die "Hinrichtung"
in seiner Phantasie auf. Die Briefe, welche er unter dem Eindruck der mau¬
rischen Paläste schrieb, atmen eine orientalische Glut. Die Einsamkeit der Al¬
hambra bezauberte ihn, und Tage lang hielt er sich in ihren Hallen auf, um
seine Studien zu machen.*) Während eines Ausfluges nach Gibraltar hatte er
jedoch einen Blick auf die afrikanische Küste geworfen, und fortan klammerte
sich seine Sehnsucht, die ihn nirgends lange rasten ließ, an dieses Land der
ewigen Sonne. Der Gedanke an den Winter in Granada verursachte dem
Künstler, der sein Leben lang fröstelte, Unbehagen, und sein ganzes Streben
war darauf gerichtet, die künstlerischen Entwürfe, die er begonnen, in Afrika
auszuführen. "Ich gestehe," schrieb er noch während seines Aufenthalts in
Spanien, "daß mir Italien im Vergleich zu Spanien trübe, zu sehr bekannt
und verbraucht erschienen ist. Die Italiener, Männer sowohl wie Frauen, sind
mir zum Überdruß; ihre Trachten kommen mir schwarz, langweilig, unharmonisch
blendend vor. Welch ein Unterschied gegen Spanien, welches gleichwohl nnr
ein Übergangsstadium, eine Zwischenstation ist! Der Osten ist es, der mir über
alles geht, den ich ersehne, den ich haben will. Ich glaube, daß ich dort allein
zum Vollgefühl meiner Kraft gelangen werde."

Im Dezember 1869 ging er nach Tanger, wo er sich in einem maurischen
Hause niederließ und auf einem mit Glas gedeckten Hofe sein Atelier aufschlug.
Hier vollendete er zunächst seine "Salome," welche bereits einen Käufer gefunden
hatte, und schickte sie dann nach Paris, wo sie im Salon von 1870 zur Aus¬
stellung gelangte. "Das Bildnis Prius ist ganz Spanien, die Salome der
ganze Orient," schrieb Theophil Gautier in seiner Begeisterung; aber das moderne
hätte er hinzufügen können. Die Tochter der Herodias sitzt auf einem mit Elfen¬
bein inkrustirteu kastenartigen Möbel, wie man es heutzutage im Orient, in
Ägypten und in der Türkei überall findet. Sie hat die Rechte nachlässig in
die Seite gestemmt und umspannt mit der Linken einen Jatagan mit elfenbeinernen
Griff, der in einem kupfernen, zur Aufnahme des Hauptes bestimmten Gefäß
liegt Um dieses auf den Knien zu halten, hat sie die nackten, in kleinen Pan-
töffelchen steckenden Füße etwas emporgezogen. Das Gewand von durchsichtigem
Goldstoff, welches von der rechten Schulter herabgesunken ist, läßt auch die
Formen und die Fleischfarbe der Beine durchscheinen. Während hier alles auf
sinnlichen Reiz berechnet ist, spiegelt das keineswegs schöne, von einer Flut
schwarzer Locke" umrahmte Antlitz die Blutgier einer Tigerin, welche auf ihre
Beute wartet, und die Lippen umspielt ein gedankenloses Lächeln, welches die
abgestumpfte Dienerin der Wollust charakterisirt. "Obgleich sie auf ihren Knien



*) Zwei solcher Studien in Aquarell, der Eingang und das Innere des Saales der
beiden Schwestern, befinden sich im Louvre.
Henri Regnault.

schimmernden Pracht der Alhambra, enthüllte sich seinen Augen die Welt, die
er sich erträumt hatte. Damals stieg der erste Gedanke an die „Hinrichtung"
in seiner Phantasie auf. Die Briefe, welche er unter dem Eindruck der mau¬
rischen Paläste schrieb, atmen eine orientalische Glut. Die Einsamkeit der Al¬
hambra bezauberte ihn, und Tage lang hielt er sich in ihren Hallen auf, um
seine Studien zu machen.*) Während eines Ausfluges nach Gibraltar hatte er
jedoch einen Blick auf die afrikanische Küste geworfen, und fortan klammerte
sich seine Sehnsucht, die ihn nirgends lange rasten ließ, an dieses Land der
ewigen Sonne. Der Gedanke an den Winter in Granada verursachte dem
Künstler, der sein Leben lang fröstelte, Unbehagen, und sein ganzes Streben
war darauf gerichtet, die künstlerischen Entwürfe, die er begonnen, in Afrika
auszuführen. „Ich gestehe," schrieb er noch während seines Aufenthalts in
Spanien, „daß mir Italien im Vergleich zu Spanien trübe, zu sehr bekannt
und verbraucht erschienen ist. Die Italiener, Männer sowohl wie Frauen, sind
mir zum Überdruß; ihre Trachten kommen mir schwarz, langweilig, unharmonisch
blendend vor. Welch ein Unterschied gegen Spanien, welches gleichwohl nnr
ein Übergangsstadium, eine Zwischenstation ist! Der Osten ist es, der mir über
alles geht, den ich ersehne, den ich haben will. Ich glaube, daß ich dort allein
zum Vollgefühl meiner Kraft gelangen werde."

Im Dezember 1869 ging er nach Tanger, wo er sich in einem maurischen
Hause niederließ und auf einem mit Glas gedeckten Hofe sein Atelier aufschlug.
Hier vollendete er zunächst seine „Salome," welche bereits einen Käufer gefunden
hatte, und schickte sie dann nach Paris, wo sie im Salon von 1870 zur Aus¬
stellung gelangte. „Das Bildnis Prius ist ganz Spanien, die Salome der
ganze Orient," schrieb Theophil Gautier in seiner Begeisterung; aber das moderne
hätte er hinzufügen können. Die Tochter der Herodias sitzt auf einem mit Elfen¬
bein inkrustirteu kastenartigen Möbel, wie man es heutzutage im Orient, in
Ägypten und in der Türkei überall findet. Sie hat die Rechte nachlässig in
die Seite gestemmt und umspannt mit der Linken einen Jatagan mit elfenbeinernen
Griff, der in einem kupfernen, zur Aufnahme des Hauptes bestimmten Gefäß
liegt Um dieses auf den Knien zu halten, hat sie die nackten, in kleinen Pan-
töffelchen steckenden Füße etwas emporgezogen. Das Gewand von durchsichtigem
Goldstoff, welches von der rechten Schulter herabgesunken ist, läßt auch die
Formen und die Fleischfarbe der Beine durchscheinen. Während hier alles auf
sinnlichen Reiz berechnet ist, spiegelt das keineswegs schöne, von einer Flut
schwarzer Locke» umrahmte Antlitz die Blutgier einer Tigerin, welche auf ihre
Beute wartet, und die Lippen umspielt ein gedankenloses Lächeln, welches die
abgestumpfte Dienerin der Wollust charakterisirt. „Obgleich sie auf ihren Knien



*) Zwei solcher Studien in Aquarell, der Eingang und das Innere des Saales der
beiden Schwestern, befinden sich im Louvre.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/532>, abgerufen am 23.07.2024.