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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Jmwcenz 171. und das dciilsche Reich.

Überschauen wir die politische Thätigkeit dieses Papstes, so bemerken wir
ein außerordentliches Mißverhältnis zwischen der durchaus idealen, großartigen
Auffassung seines Berufes und zwischen den sehr realen Mitteln, die er aller¬
orten anwendete und anwenden mußte. Er klammerte sich kiihn an den Himmel
an, bereitete sich aber auf der Erde die Stützen, die ihn am Herabfallen ver¬
hindern sollten. Die so sehr verachtete weltliche Macht mußte diese Stützen
bilden. Er bediente sich ihrer zur Wahrung seiner päpstlichen Allgewalt. Die
weltliche Macht war freilich auch nicht so beschaffen, daß sie ganz auf eignen
Füßen stehen konnte -- die priesterliche, welche damals fast ausschließlich die
Intelligenz vertrat, leitete sie überall --, aber trotzdem mußte Innocenz erfahren,
daß sie sich immer wieder neben ihm emporrcmg und über ihn hinausstreben.
Sie beanspruchte nach altem Recht die Erde und verwies die päpstliche auf den
Himmel. Und doch hatte auch diese ihren Wirkungskreis ans der Erde, wo sie
ohne die weltliche nichts ausrichten konnte. Selbst der Bann, das von Gott
selbst verliehene Mittel der päpstlichen Allgewalt, war auf dieser Erde wirkungslos
ohne die weltliche Macht. In dieser hatten Papst und Kaiser ihre Stütze, in
ihr berührten sich Himmel und Erde.

Wie es in Deutschland damals aussah, in Deutschland, das eigentlich nichts
weiter war als der Tummelplatz päpstlicher Intriguen, das beweist uns der all¬
gemeine Glaube jener Zeit, daß der Weltuntergang nahe sei. "Der Sohn er¬
hebt sich gegen den Vater, der Bruder gegen den Bruder, die Geistlichen sind
voll von Lug und Trug." So klagt Walther von der Bogelweide, und an
einer andern Stelle:


Untriu^of ist in äsr SW",
Hoviüt port ut äsr sti-ZM,
?M umso i-sein 8int sol-s wiuit.

Heute gehöre" wir nicht mehr dem Papste an; wie unser Kaiser so schön es aus¬
gesprochen: vor mehr als dreihundert Jahren sind wir frei geworden, aber diese
Freiheit müsse" wir für die Zukunft behaupten. Kann auch die päpstliche Gewalt
keine Wogen mehr erregen, die das deutsche Volk überfluten, so haben wir doch
allen Grund, vorsichtig zu sein. Ist das deutsche Reich durch siegreiche Kraft
wie durch weise Besonnenheit gegründet worden, ist es unter den Völkern wieder
zu der Ehre und Macht gelangt, die ihm gebührt, so wird es wohl auch
glücklich durch die Klippen und Untiefen hindurchsteuern, welche den Weg, der zum
kirchlichen Frieden führt, allerorten umgeben. nachgerade muß auch die geistliche
Negierung sich die Frage vorlegen, ob sie bei dem jetzigen Zustande des Reiches,
das denn doch ans festerer Grundlage ruht, als sie offenbar geglaubt hat, nicht
besser thäte, den: Kaiser zuzuerkennen, was des Kaisers ist, und damit dem
Reiche den Frieden zu geben, der ihm zu seiner ungehemmten innern Entwick¬
lung noch fehlt.




Jmwcenz 171. und das dciilsche Reich.

Überschauen wir die politische Thätigkeit dieses Papstes, so bemerken wir
ein außerordentliches Mißverhältnis zwischen der durchaus idealen, großartigen
Auffassung seines Berufes und zwischen den sehr realen Mitteln, die er aller¬
orten anwendete und anwenden mußte. Er klammerte sich kiihn an den Himmel
an, bereitete sich aber auf der Erde die Stützen, die ihn am Herabfallen ver¬
hindern sollten. Die so sehr verachtete weltliche Macht mußte diese Stützen
bilden. Er bediente sich ihrer zur Wahrung seiner päpstlichen Allgewalt. Die
weltliche Macht war freilich auch nicht so beschaffen, daß sie ganz auf eignen
Füßen stehen konnte — die priesterliche, welche damals fast ausschließlich die
Intelligenz vertrat, leitete sie überall —, aber trotzdem mußte Innocenz erfahren,
daß sie sich immer wieder neben ihm emporrcmg und über ihn hinausstreben.
Sie beanspruchte nach altem Recht die Erde und verwies die päpstliche auf den
Himmel. Und doch hatte auch diese ihren Wirkungskreis ans der Erde, wo sie
ohne die weltliche nichts ausrichten konnte. Selbst der Bann, das von Gott
selbst verliehene Mittel der päpstlichen Allgewalt, war auf dieser Erde wirkungslos
ohne die weltliche Macht. In dieser hatten Papst und Kaiser ihre Stütze, in
ihr berührten sich Himmel und Erde.

Wie es in Deutschland damals aussah, in Deutschland, das eigentlich nichts
weiter war als der Tummelplatz päpstlicher Intriguen, das beweist uns der all¬
gemeine Glaube jener Zeit, daß der Weltuntergang nahe sei. „Der Sohn er¬
hebt sich gegen den Vater, der Bruder gegen den Bruder, die Geistlichen sind
voll von Lug und Trug." So klagt Walther von der Bogelweide, und an
einer andern Stelle:


Untriu^of ist in äsr SW«,
Hoviüt port ut äsr sti-ZM,
?M umso i-sein 8int sol-s wiuit.

Heute gehöre» wir nicht mehr dem Papste an; wie unser Kaiser so schön es aus¬
gesprochen: vor mehr als dreihundert Jahren sind wir frei geworden, aber diese
Freiheit müsse» wir für die Zukunft behaupten. Kann auch die päpstliche Gewalt
keine Wogen mehr erregen, die das deutsche Volk überfluten, so haben wir doch
allen Grund, vorsichtig zu sein. Ist das deutsche Reich durch siegreiche Kraft
wie durch weise Besonnenheit gegründet worden, ist es unter den Völkern wieder
zu der Ehre und Macht gelangt, die ihm gebührt, so wird es wohl auch
glücklich durch die Klippen und Untiefen hindurchsteuern, welche den Weg, der zum
kirchlichen Frieden führt, allerorten umgeben. nachgerade muß auch die geistliche
Negierung sich die Frage vorlegen, ob sie bei dem jetzigen Zustande des Reiches,
das denn doch ans festerer Grundlage ruht, als sie offenbar geglaubt hat, nicht
besser thäte, den: Kaiser zuzuerkennen, was des Kaisers ist, und damit dem
Reiche den Frieden zu geben, der ihm zu seiner ungehemmten innern Entwick¬
lung noch fehlt.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/508>, abgerufen am 23.07.2024.