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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Gewerbcrcform im österreichischen Reichsrate.

Leben beinahe unmöglich machen; man will ihm die Hand bieten; man hält
für ein Mittel der Wiedererhebung, daß der, welcher seine Sache gelernt hat,
gegen die Mitbewerbung dessen, der nichts gelernt hat, geschützt, die Möglich¬
keit der Wiederherstellung eines in jeder Beziehung ehrenhaften, durch Gemein¬
samkeit der Interessen zusammengehaltenen, ein lebensfähiges Glied der Gesell¬
schaft bildenden Hcmdwerkertums geboten werde. Das ist nicht zu erreichen
durch freie Genossenschaften, sondern nur durch obligatorische, weil die frei¬
willigen nicht für die Dauer die Lasten für alle würden tragen wollen. Ge¬
rechtfertigt ist der Zwang, wie der Schul- und Militärzwang, der Schutzzoll
für die Industrie, die Beschränkung des Wuchers u. a. in. Von der Besserung
der materiellen Verhältnisse, der größeren Sicherheit der ehrlichen Arbeit ist eine
moralische Hebung des Standes zu hoffen. Man erwartet von diesem Mittel
weder unmittelbare Wirkung noch eine Radikalkur, aber irgendwo muß der An¬
fang gemacht werden, und die Frage: weshalb eben hier und nicht dort? würde
sich' stets erheben lassen, wo man auch den Hebel ansetzen wollte. Was für
das Gewerbe geschieht, geschieht für die Gesellschaft, wer das eine erhält, schützt
damit die Gesamtheit, blüht jenes, so hat auch der "Konsument" nicht zu klagen.

Soweit konnte man mit Befriedigung den Auseinandersetzungen folgen,
und wenn die Majorität die Versuche, das Zustandekommen des Gesetzes zu
verhindern, zurückwies, so war sie in vollem Rechte. Als solche Versuche sind
die Anträge auf erneuerte Enqueten anzusehen. Ebenso richtig war es, sich
durch die Behauptung, nur die Schule könne helfen, nicht irremachen zu lassen.
Es gehört zu den Marotten der Gegenwart, der Schule alle Verantwortlichkeiten
aufbürden zu wollen. Man sagt, die Werkstatt könne unmöglich alles leisten,
wie die Fachschule und die Lehrwerkstätte. Das ist richtig, aber ebenso gewiß
können die beiden letztern vieles nicht, was die Werkstattlehre leistet. Denn die
erstem sind, soviel "praktisch" gearbeitet werden mag, Anstalten der Theorie
die letztere steht im wirklichen Leben, und man sollte sich wohl bedenken, das
ganze Gewerbe mit "akademisch" gebildeten Gehilfen versorgen zu wollen;
solche werden in der Regel schwer einen Meister finden, noch häufiger gar
keinen suchen.

Leider erwies der spätere Verlauf der Debatten die Wahrheit der mehr¬
mals erhobenen Anschuldigung, daß die Mehrheit des Hauses entschlossen sei,
die Vorlage auf jeden Fall vor Beginn der Weihnachtsferien zu erledigen.
Dieselbe, eine einschneidende Umarbeitung der Regierungsvorlage, enthält un¬
verkennbare Lücken und Mängel. Mit Recht wurde auf Unklarheiten in der
Fassung, auf teils unausführbare, teils den Mißbrauch gestattende Bestimmungen
im einzelnen hingewiesen. Offenbar ist ferner, daß das Zurücklegen der Lehr-
und Gchilfenzeit allein noch nicht Gewähr für die genügende Ansbildung sei.
Der von dem Abgeordneten Sax als wahrscheinlich bezeichnete Übelstand, daß
formell berechtigte aber thatsächlich unfähige Menschen ein Geschlecht von Pfuschern


Die Gewerbcrcform im österreichischen Reichsrate.

Leben beinahe unmöglich machen; man will ihm die Hand bieten; man hält
für ein Mittel der Wiedererhebung, daß der, welcher seine Sache gelernt hat,
gegen die Mitbewerbung dessen, der nichts gelernt hat, geschützt, die Möglich¬
keit der Wiederherstellung eines in jeder Beziehung ehrenhaften, durch Gemein¬
samkeit der Interessen zusammengehaltenen, ein lebensfähiges Glied der Gesell¬
schaft bildenden Hcmdwerkertums geboten werde. Das ist nicht zu erreichen
durch freie Genossenschaften, sondern nur durch obligatorische, weil die frei¬
willigen nicht für die Dauer die Lasten für alle würden tragen wollen. Ge¬
rechtfertigt ist der Zwang, wie der Schul- und Militärzwang, der Schutzzoll
für die Industrie, die Beschränkung des Wuchers u. a. in. Von der Besserung
der materiellen Verhältnisse, der größeren Sicherheit der ehrlichen Arbeit ist eine
moralische Hebung des Standes zu hoffen. Man erwartet von diesem Mittel
weder unmittelbare Wirkung noch eine Radikalkur, aber irgendwo muß der An¬
fang gemacht werden, und die Frage: weshalb eben hier und nicht dort? würde
sich' stets erheben lassen, wo man auch den Hebel ansetzen wollte. Was für
das Gewerbe geschieht, geschieht für die Gesellschaft, wer das eine erhält, schützt
damit die Gesamtheit, blüht jenes, so hat auch der „Konsument" nicht zu klagen.

Soweit konnte man mit Befriedigung den Auseinandersetzungen folgen,
und wenn die Majorität die Versuche, das Zustandekommen des Gesetzes zu
verhindern, zurückwies, so war sie in vollem Rechte. Als solche Versuche sind
die Anträge auf erneuerte Enqueten anzusehen. Ebenso richtig war es, sich
durch die Behauptung, nur die Schule könne helfen, nicht irremachen zu lassen.
Es gehört zu den Marotten der Gegenwart, der Schule alle Verantwortlichkeiten
aufbürden zu wollen. Man sagt, die Werkstatt könne unmöglich alles leisten,
wie die Fachschule und die Lehrwerkstätte. Das ist richtig, aber ebenso gewiß
können die beiden letztern vieles nicht, was die Werkstattlehre leistet. Denn die
erstem sind, soviel „praktisch" gearbeitet werden mag, Anstalten der Theorie
die letztere steht im wirklichen Leben, und man sollte sich wohl bedenken, das
ganze Gewerbe mit „akademisch" gebildeten Gehilfen versorgen zu wollen;
solche werden in der Regel schwer einen Meister finden, noch häufiger gar
keinen suchen.

Leider erwies der spätere Verlauf der Debatten die Wahrheit der mehr¬
mals erhobenen Anschuldigung, daß die Mehrheit des Hauses entschlossen sei,
die Vorlage auf jeden Fall vor Beginn der Weihnachtsferien zu erledigen.
Dieselbe, eine einschneidende Umarbeitung der Regierungsvorlage, enthält un¬
verkennbare Lücken und Mängel. Mit Recht wurde auf Unklarheiten in der
Fassung, auf teils unausführbare, teils den Mißbrauch gestattende Bestimmungen
im einzelnen hingewiesen. Offenbar ist ferner, daß das Zurücklegen der Lehr-
und Gchilfenzeit allein noch nicht Gewähr für die genügende Ansbildung sei.
Der von dem Abgeordneten Sax als wahrscheinlich bezeichnete Übelstand, daß
formell berechtigte aber thatsächlich unfähige Menschen ein Geschlecht von Pfuschern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/45>, abgerufen am 23.07.2024.