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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Der zweite Pariser Rrach.

wart von einiger Unabhängigkeit, bei Entwerfung seines "Arbeitsplanes" war,
von den neuen Staatsbahnen aus die Verstaatlichung auch der großen Privat-
bahnen anzustreben. Dieser Gedanke setzte sich offenbar unmittelbar wider das Börsen¬
interesse, Wesentlich diesem Gegensatz verdankte Freycinet seinen Sturz, Aber
auch die Nachfolger wollten wenigstens nicht in aller Form jenen Gedanken der
Hardt-latines opfern; sie wollten dieser nicht von vornherein schon "im Prinzip"
die neuen Staatsbahuen für die Zukunft (natürlich "nur billig") preisgeben.
Allein dies verlangte Herr von Rothschild jetzt entschieden, ebenso wie das Ein¬
schreiten zu seinen Gunsten in Ägypten; und als das Ministerium dennoch
zögerte, erfolgte der Novemberschlag, welcher vollendete, was der Januarkrach
begonnen hatte.

Dieser Novemberschlag machte freilich nicht jenes donnernde Geräusch
wie der Januarkrach, Allein, daß damit die wirtschaftliche Krankheit Frank¬
reichs nach allen Seiten hin intensiv geworden ist, das zeigte sich sofort. Selbst
die gewerbsmäßige Agiotage zeigte sich auf Wochen laug erstarrt. Aber dieser
Erstarrung voran gingen Szenen an den Börsen zu Paris und Lyon, welche
die Erinnerung an die Spielhöllen der Bäder aufs lebendigste wieder vor Augen
führen. Nur der Vorsicht der Hautö-liiiMvö, welche der Kulisse nicht entbehren
kann, und welche schon ihren Zweck erreicht sah mit "Abschlachtnng" des ein¬
gefangenen äußern Publikums, ist es zuzuschreiben, daß nicht auch noch der
Knalleffekt zum Gehör kam. Den Kulissenhäusern und aktiven Kulissenspeku-
lautcu wurde bereitwilligst "prolvugirt." Umsomehr müssen sie tanzen, wie
ihnen gepfiffen wird.

Die Presse aber meldete, daß zwischen Herrn von Rothschild und dem
französischen Ministerium die "Versöhnung" stattgefunden habe, und daß Unter¬
handlungen zum "Ausgleich der beiderseitigen Differenzen" stattfanden. Über
den Ausgang dieser Unterhandlungen ist kein Zweifel. Das Verhalten in der
ägyptischen Frage und die Wendung in der innern Finanzpolitik reden deutlich
genng. Das "Prinzip der Eiscnbahnverstaatlichuug" ist beseitigt. Ein Versuch,
das mobile Kapital zu höherer Besteuerung heranzuziehen, wurde zurückgewiesen,
denn mau darf die Börse nicht verstimmen, sagte der Repräsentant der Regierung
in der Kammer. Die Hauto-lin-mes aber hat ihre Mittel wieder um einige
hundert Millionen Franks vermehrt. Das "Angenehme" ist aufs beste mit dem
"Nützlichen" verbunden worden. Warum sollte also der Herr von Ferriöres nicht
"Republikaner" sein und sich amüsiren? I" der That feierte er seineu neuesten
Triumph durch el" glänzendes Fest, zu dem die Gäste im Extrazug nach
Ferneres abgeholt und im Morgengrauen nach Paris zurückgebracht wurden.
Der Zug verbrannte nicht, wie der verhängnisvolle Zug von 1842. Noch
konnten auch die Gäste von Ferriöres auf der Heimfahrt sich trösten, wie einst
die von Marly, Klein-Trianon, Versailles und Trianon sich wiegte" in dem
famosen Gedanken: ^.prös nous 1s Mu^s.


Der zweite Pariser Rrach.

wart von einiger Unabhängigkeit, bei Entwerfung seines „Arbeitsplanes" war,
von den neuen Staatsbahnen aus die Verstaatlichung auch der großen Privat-
bahnen anzustreben. Dieser Gedanke setzte sich offenbar unmittelbar wider das Börsen¬
interesse, Wesentlich diesem Gegensatz verdankte Freycinet seinen Sturz, Aber
auch die Nachfolger wollten wenigstens nicht in aller Form jenen Gedanken der
Hardt-latines opfern; sie wollten dieser nicht von vornherein schon „im Prinzip"
die neuen Staatsbahuen für die Zukunft (natürlich „nur billig") preisgeben.
Allein dies verlangte Herr von Rothschild jetzt entschieden, ebenso wie das Ein¬
schreiten zu seinen Gunsten in Ägypten; und als das Ministerium dennoch
zögerte, erfolgte der Novemberschlag, welcher vollendete, was der Januarkrach
begonnen hatte.

Dieser Novemberschlag machte freilich nicht jenes donnernde Geräusch
wie der Januarkrach, Allein, daß damit die wirtschaftliche Krankheit Frank¬
reichs nach allen Seiten hin intensiv geworden ist, das zeigte sich sofort. Selbst
die gewerbsmäßige Agiotage zeigte sich auf Wochen laug erstarrt. Aber dieser
Erstarrung voran gingen Szenen an den Börsen zu Paris und Lyon, welche
die Erinnerung an die Spielhöllen der Bäder aufs lebendigste wieder vor Augen
führen. Nur der Vorsicht der Hautö-liiiMvö, welche der Kulisse nicht entbehren
kann, und welche schon ihren Zweck erreicht sah mit „Abschlachtnng" des ein¬
gefangenen äußern Publikums, ist es zuzuschreiben, daß nicht auch noch der
Knalleffekt zum Gehör kam. Den Kulissenhäusern und aktiven Kulissenspeku-
lautcu wurde bereitwilligst „prolvugirt." Umsomehr müssen sie tanzen, wie
ihnen gepfiffen wird.

Die Presse aber meldete, daß zwischen Herrn von Rothschild und dem
französischen Ministerium die „Versöhnung" stattgefunden habe, und daß Unter¬
handlungen zum „Ausgleich der beiderseitigen Differenzen" stattfanden. Über
den Ausgang dieser Unterhandlungen ist kein Zweifel. Das Verhalten in der
ägyptischen Frage und die Wendung in der innern Finanzpolitik reden deutlich
genng. Das „Prinzip der Eiscnbahnverstaatlichuug" ist beseitigt. Ein Versuch,
das mobile Kapital zu höherer Besteuerung heranzuziehen, wurde zurückgewiesen,
denn mau darf die Börse nicht verstimmen, sagte der Repräsentant der Regierung
in der Kammer. Die Hauto-lin-mes aber hat ihre Mittel wieder um einige
hundert Millionen Franks vermehrt. Das „Angenehme" ist aufs beste mit dem
„Nützlichen" verbunden worden. Warum sollte also der Herr von Ferriöres nicht
„Republikaner" sein und sich amüsiren? I» der That feierte er seineu neuesten
Triumph durch el» glänzendes Fest, zu dem die Gäste im Extrazug nach
Ferneres abgeholt und im Morgengrauen nach Paris zurückgebracht wurden.
Der Zug verbrannte nicht, wie der verhängnisvolle Zug von 1842. Noch
konnten auch die Gäste von Ferriöres auf der Heimfahrt sich trösten, wie einst
die von Marly, Klein-Trianon, Versailles und Trianon sich wiegte» in dem
famosen Gedanken: ^.prös nous 1s Mu^s.


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[0416] Der zweite Pariser Rrach. wart von einiger Unabhängigkeit, bei Entwerfung seines „Arbeitsplanes" war, von den neuen Staatsbahnen aus die Verstaatlichung auch der großen Privat- bahnen anzustreben. Dieser Gedanke setzte sich offenbar unmittelbar wider das Börsen¬ interesse, Wesentlich diesem Gegensatz verdankte Freycinet seinen Sturz, Aber auch die Nachfolger wollten wenigstens nicht in aller Form jenen Gedanken der Hardt-latines opfern; sie wollten dieser nicht von vornherein schon „im Prinzip" die neuen Staatsbahuen für die Zukunft (natürlich „nur billig") preisgeben. Allein dies verlangte Herr von Rothschild jetzt entschieden, ebenso wie das Ein¬ schreiten zu seinen Gunsten in Ägypten; und als das Ministerium dennoch zögerte, erfolgte der Novemberschlag, welcher vollendete, was der Januarkrach begonnen hatte. Dieser Novemberschlag machte freilich nicht jenes donnernde Geräusch wie der Januarkrach, Allein, daß damit die wirtschaftliche Krankheit Frank¬ reichs nach allen Seiten hin intensiv geworden ist, das zeigte sich sofort. Selbst die gewerbsmäßige Agiotage zeigte sich auf Wochen laug erstarrt. Aber dieser Erstarrung voran gingen Szenen an den Börsen zu Paris und Lyon, welche die Erinnerung an die Spielhöllen der Bäder aufs lebendigste wieder vor Augen führen. Nur der Vorsicht der Hautö-liiiMvö, welche der Kulisse nicht entbehren kann, und welche schon ihren Zweck erreicht sah mit „Abschlachtnng" des ein¬ gefangenen äußern Publikums, ist es zuzuschreiben, daß nicht auch noch der Knalleffekt zum Gehör kam. Den Kulissenhäusern und aktiven Kulissenspeku- lautcu wurde bereitwilligst „prolvugirt." Umsomehr müssen sie tanzen, wie ihnen gepfiffen wird. Die Presse aber meldete, daß zwischen Herrn von Rothschild und dem französischen Ministerium die „Versöhnung" stattgefunden habe, und daß Unter¬ handlungen zum „Ausgleich der beiderseitigen Differenzen" stattfanden. Über den Ausgang dieser Unterhandlungen ist kein Zweifel. Das Verhalten in der ägyptischen Frage und die Wendung in der innern Finanzpolitik reden deutlich genng. Das „Prinzip der Eiscnbahnverstaatlichuug" ist beseitigt. Ein Versuch, das mobile Kapital zu höherer Besteuerung heranzuziehen, wurde zurückgewiesen, denn mau darf die Börse nicht verstimmen, sagte der Repräsentant der Regierung in der Kammer. Die Hauto-lin-mes aber hat ihre Mittel wieder um einige hundert Millionen Franks vermehrt. Das „Angenehme" ist aufs beste mit dem „Nützlichen" verbunden worden. Warum sollte also der Herr von Ferriöres nicht „Republikaner" sein und sich amüsiren? I» der That feierte er seineu neuesten Triumph durch el» glänzendes Fest, zu dem die Gäste im Extrazug nach Ferneres abgeholt und im Morgengrauen nach Paris zurückgebracht wurden. Der Zug verbrannte nicht, wie der verhängnisvolle Zug von 1842. Noch konnten auch die Gäste von Ferriöres auf der Heimfahrt sich trösten, wie einst die von Marly, Klein-Trianon, Versailles und Trianon sich wiegte» in dem famosen Gedanken: ^.prös nous 1s Mu^s.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/416>, abgerufen am 23.07.2024.