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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Ver zweite pariser Rrcich,

einen andern Charakter geben mußte. Die UnVerständlichkeit der jüngsten
französischen Politik im Mittelmeer, die hier und da erstaunlich gewesen ist,
wird sich aufklären, wenn man dies im Auge behält. Denn Rothschild führt
das französische Ministerium am Schnürchen. Allein Rothschild täuschte sich in
Gladstone so sehr, wie er sich kurz zuvor in Gambetta getäuscht hatte; wobei der
für jenen bedauerliche Umstand, daß die Macht Rothschilds in England eine wesent¬
lich geringere ist als in Frankreich und daß die Börse in London noch nicht den
gefährlichen Einfluß hat gewinnen können wie in Paris, sehr ins Gewicht fiel.
Gladstone zog aus dem Zurückbleiben Frankreichs von der Aktion ganz andre
Konsequenzen, als dies Rothschild lieb war; und die Franzosen, die an Tunis
noch genug zu verdauen haben, zugleich aber auch an Madagaskar und an den
Senegal denken, waren anscheinend nicht abgeneigt, einen ovatus vivsiM auf
der Basis der englischen Absichten einzugehen, wodurch Rothschild seinen wirk¬
samsten Hebel zum Emportreiben seiner Interessen verlieren mußte.

Unter dem frivolen Spiel, das sich die Hauts-nimm06 zur Durchführung
ihrer ausbeuterischen Interessen an der Pariser Börse erlaubt, und mit dem
es die Privatinteressen des Volkes ebensowenig schont als die öffentlichen Inter¬
essen des Staates, ist die Nachwirkung des Boutoux-Krachs zu einer tiefen,
schleichenden wirtschaftlichen Krankheit geworden. Gerade wie nach dem Wiener
Krach trotz der Erkrankung der wirtschaftlichen Verhältnisse in Österreich und
in Deutschland die Lauts-tmAiros unausgesetzt fortfuhr, die aufgerissenen Be¬
ziehungen durch alle möglichen Künste von der Heilung fernzuhalten, bis der
Nachkrach von 1875 die letzten Ähren hereinbrachte, ebenso, aber in weit
höherem Grade, verfuhr jene in Frankreich, von wo aus sie das Ziel der voll¬
ständigen wirtschaftlichen Unterwerfung aller Völker und Staaten des europä¬
ischen Wirtschaftsgebietes, die vou der politischen untrennbar ist, zu vollenden strebt.

Alle gesetzgeberischen Maßnahmen in Frankreich, die sich auf die Wirtschaft¬
lichkeit beziehen, wurden ohne Anstand im Sinne der Börse gelenkt. Die Un-
klagbarkeit der Differenzgeschäfte ist der erste Fall. Ein neues Gesetz soll das alte,
welches verbot, industrielle Aktien unter 500 Franks auszugeben, aufheben und
Aktien von 50 Mark gestatten. Es soll eben kein Ersparnis, selbst das kleinste
nicht, vor den Klanen der Börse sich verbergen können. Die Börse war schon
längst neidisch auf die Ansammlungen in den Sparkassen. Diese sollen nur vor¬
arbeite" für jene, die sich nun die Resultate der Sparsamkeit möglichst bald
sichern will. Umso sicherer ist denn auch die Einwirkung der Börse auf alle
Kreise der Bevölkerung. Die famosen Zeiten der Fronde, wo man nach Be¬
lieben einen Auflauf der Rentiers haben konnte, sind wieder im Anzüge; und
dann hat man nicht nur Rentiers, sondern auch noch Aktionäre, und diese sind
aus guten Gründen noch weit reizbarer als jene.

Unter diesen Aussichten und mit Mitteln, welche sie virtuos zu gebrauchen
versteht, arbeitet die Lauts-tmiwos weiter über den zweiten Pariser Krach hin-


Ver zweite pariser Rrcich,

einen andern Charakter geben mußte. Die UnVerständlichkeit der jüngsten
französischen Politik im Mittelmeer, die hier und da erstaunlich gewesen ist,
wird sich aufklären, wenn man dies im Auge behält. Denn Rothschild führt
das französische Ministerium am Schnürchen. Allein Rothschild täuschte sich in
Gladstone so sehr, wie er sich kurz zuvor in Gambetta getäuscht hatte; wobei der
für jenen bedauerliche Umstand, daß die Macht Rothschilds in England eine wesent¬
lich geringere ist als in Frankreich und daß die Börse in London noch nicht den
gefährlichen Einfluß hat gewinnen können wie in Paris, sehr ins Gewicht fiel.
Gladstone zog aus dem Zurückbleiben Frankreichs von der Aktion ganz andre
Konsequenzen, als dies Rothschild lieb war; und die Franzosen, die an Tunis
noch genug zu verdauen haben, zugleich aber auch an Madagaskar und an den
Senegal denken, waren anscheinend nicht abgeneigt, einen ovatus vivsiM auf
der Basis der englischen Absichten einzugehen, wodurch Rothschild seinen wirk¬
samsten Hebel zum Emportreiben seiner Interessen verlieren mußte.

Unter dem frivolen Spiel, das sich die Hauts-nimm06 zur Durchführung
ihrer ausbeuterischen Interessen an der Pariser Börse erlaubt, und mit dem
es die Privatinteressen des Volkes ebensowenig schont als die öffentlichen Inter¬
essen des Staates, ist die Nachwirkung des Boutoux-Krachs zu einer tiefen,
schleichenden wirtschaftlichen Krankheit geworden. Gerade wie nach dem Wiener
Krach trotz der Erkrankung der wirtschaftlichen Verhältnisse in Österreich und
in Deutschland die Lauts-tmAiros unausgesetzt fortfuhr, die aufgerissenen Be¬
ziehungen durch alle möglichen Künste von der Heilung fernzuhalten, bis der
Nachkrach von 1875 die letzten Ähren hereinbrachte, ebenso, aber in weit
höherem Grade, verfuhr jene in Frankreich, von wo aus sie das Ziel der voll¬
ständigen wirtschaftlichen Unterwerfung aller Völker und Staaten des europä¬
ischen Wirtschaftsgebietes, die vou der politischen untrennbar ist, zu vollenden strebt.

Alle gesetzgeberischen Maßnahmen in Frankreich, die sich auf die Wirtschaft¬
lichkeit beziehen, wurden ohne Anstand im Sinne der Börse gelenkt. Die Un-
klagbarkeit der Differenzgeschäfte ist der erste Fall. Ein neues Gesetz soll das alte,
welches verbot, industrielle Aktien unter 500 Franks auszugeben, aufheben und
Aktien von 50 Mark gestatten. Es soll eben kein Ersparnis, selbst das kleinste
nicht, vor den Klanen der Börse sich verbergen können. Die Börse war schon
längst neidisch auf die Ansammlungen in den Sparkassen. Diese sollen nur vor¬
arbeite» für jene, die sich nun die Resultate der Sparsamkeit möglichst bald
sichern will. Umso sicherer ist denn auch die Einwirkung der Börse auf alle
Kreise der Bevölkerung. Die famosen Zeiten der Fronde, wo man nach Be¬
lieben einen Auflauf der Rentiers haben konnte, sind wieder im Anzüge; und
dann hat man nicht nur Rentiers, sondern auch noch Aktionäre, und diese sind
aus guten Gründen noch weit reizbarer als jene.

Unter diesen Aussichten und mit Mitteln, welche sie virtuos zu gebrauchen
versteht, arbeitet die Lauts-tmiwos weiter über den zweiten Pariser Krach hin-


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[0413] Ver zweite pariser Rrcich, einen andern Charakter geben mußte. Die UnVerständlichkeit der jüngsten französischen Politik im Mittelmeer, die hier und da erstaunlich gewesen ist, wird sich aufklären, wenn man dies im Auge behält. Denn Rothschild führt das französische Ministerium am Schnürchen. Allein Rothschild täuschte sich in Gladstone so sehr, wie er sich kurz zuvor in Gambetta getäuscht hatte; wobei der für jenen bedauerliche Umstand, daß die Macht Rothschilds in England eine wesent¬ lich geringere ist als in Frankreich und daß die Börse in London noch nicht den gefährlichen Einfluß hat gewinnen können wie in Paris, sehr ins Gewicht fiel. Gladstone zog aus dem Zurückbleiben Frankreichs von der Aktion ganz andre Konsequenzen, als dies Rothschild lieb war; und die Franzosen, die an Tunis noch genug zu verdauen haben, zugleich aber auch an Madagaskar und an den Senegal denken, waren anscheinend nicht abgeneigt, einen ovatus vivsiM auf der Basis der englischen Absichten einzugehen, wodurch Rothschild seinen wirk¬ samsten Hebel zum Emportreiben seiner Interessen verlieren mußte. Unter dem frivolen Spiel, das sich die Hauts-nimm06 zur Durchführung ihrer ausbeuterischen Interessen an der Pariser Börse erlaubt, und mit dem es die Privatinteressen des Volkes ebensowenig schont als die öffentlichen Inter¬ essen des Staates, ist die Nachwirkung des Boutoux-Krachs zu einer tiefen, schleichenden wirtschaftlichen Krankheit geworden. Gerade wie nach dem Wiener Krach trotz der Erkrankung der wirtschaftlichen Verhältnisse in Österreich und in Deutschland die Lauts-tmAiros unausgesetzt fortfuhr, die aufgerissenen Be¬ ziehungen durch alle möglichen Künste von der Heilung fernzuhalten, bis der Nachkrach von 1875 die letzten Ähren hereinbrachte, ebenso, aber in weit höherem Grade, verfuhr jene in Frankreich, von wo aus sie das Ziel der voll¬ ständigen wirtschaftlichen Unterwerfung aller Völker und Staaten des europä¬ ischen Wirtschaftsgebietes, die vou der politischen untrennbar ist, zu vollenden strebt. Alle gesetzgeberischen Maßnahmen in Frankreich, die sich auf die Wirtschaft¬ lichkeit beziehen, wurden ohne Anstand im Sinne der Börse gelenkt. Die Un- klagbarkeit der Differenzgeschäfte ist der erste Fall. Ein neues Gesetz soll das alte, welches verbot, industrielle Aktien unter 500 Franks auszugeben, aufheben und Aktien von 50 Mark gestatten. Es soll eben kein Ersparnis, selbst das kleinste nicht, vor den Klanen der Börse sich verbergen können. Die Börse war schon längst neidisch auf die Ansammlungen in den Sparkassen. Diese sollen nur vor¬ arbeite» für jene, die sich nun die Resultate der Sparsamkeit möglichst bald sichern will. Umso sicherer ist denn auch die Einwirkung der Börse auf alle Kreise der Bevölkerung. Die famosen Zeiten der Fronde, wo man nach Be¬ lieben einen Auflauf der Rentiers haben konnte, sind wieder im Anzüge; und dann hat man nicht nur Rentiers, sondern auch noch Aktionäre, und diese sind aus guten Gründen noch weit reizbarer als jene. Unter diesen Aussichten und mit Mitteln, welche sie virtuos zu gebrauchen versteht, arbeitet die Lauts-tmiwos weiter über den zweiten Pariser Krach hin-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/413>, abgerufen am 23.07.2024.