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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Gewerbereform im österreichischen Reichsmte,

zweideutig den Aberglauben zurück, daß durch dies Gesetz, daß überhaupt durch
Gesetze allein dem Handwerk geholfen werden könne, jeder erkennt an, das
beste bleibe immer dem Gewerbsmanne selbst zu thun, jeder bezeichnet diesen
Schritt nur als einen ersten, als den Anfang der sozialpolitischen Reform, und
unbekümmert wieverholen die Gegner, es sei unverantwortlich, in den betreffenden
.Meisen trügerische Hoffnungen zu erregen, mit solchen Mitteln sei die soziale
Frage nicht zu lösen, daher lasse man besser alles beim alten. Die Gewerbs-
genossenschaften haben vor acht Jahren ganz anders gesprochen als hente, folglich
wissen sie selbst nicht, was sie wollen, sagt ein Fabrikant. Das beliebte Thema
der Konsequenz! Ob dieser Maun in den verflossnen acht Jahren in seinem
Geschäfte nichts gelernt hat, nicht durch die Erfahrung in manchen Ansichten
berichtigt worden ist? Wendet er einen chemischen Prozeß oder eine Maschine
mich ferner an, nur weil er sie einmal für nützlich gehalten hat und ob sie sich
bewährt haben möge oder nicht? Derselbe meint, Zivangsgenossenschaftcn
könnten nicht das Gefühl für Standesehre heben, weil sie kein Mittel hätten,
"den ärgsten Schwindler und Lumpen, wenn er sich nicht hat erwischen lassen
notÄ dans, auszuscheiden." Der Satz, aus welchem nur die totale Unkenntnis
der Geschichte der gewerblichen Verbände hervorsticht, wird erst vollends ver¬
ständlich durch den vvrausgcgangnen, welcher sich gegen die "zwangsweise Ver¬
einigung der heterogensten Elemente in Bezug auf Charakter, soziale Stellung ?e."
ausspricht. Darauf antwortete ein polnischer Abgeordneter treffend, wer dem:
entscheiden solle, welche Elemente die homogenen, die lauteren, und welche die
unlauteren seien? Ob die ersten besten sich zusammenthun und sagen dürften:
Wir sind die Rubeln, oder ob ein pfarramtliches oder polizeiliches Sitten-
zeugnis dazu nötig sein werde? In Wahrheit, der echte Bourgevisliberalismus
konnte sich nicht ärger bloßstelleu als in solchen Herzensergüssen! Zu Tage
trat er freilich noch außerdem genügend. Unter anderm in folgendem Zuge,
Auf der rechten Seite traten ein Fürst Liechtenstein und mehrere Grafen mit
besonderer Wärme für die Reform ein, und gegen sie wurde vorzugsweise mit
geistreichen Schmeicheleien auf die Durchlauchtigen und Hochgeborner zu Felde
gezogen, die von ihren Schlössern aus das Elend des Volkes beobachten, auf
Raubritterburgen u. tgi. in. In dein richtigen Gefühl aber, daß damit die
unangenehme Konkurrenz doch nicht totzumachen sei, wurde den Herren insinuirt,
daß die von ihnen vorgetragenen Ideen fremdes Eigentum seien, teils den
Kathedersozialisten entlehnt, teils der liberalen Partei. In Beziehung auf den
letzteren Punkt kam es zu Prioritätsstreitigkeiten, welche durchaus nicht er¬
hebender wirkten als die einseitigen Zänkereien um deu Bortritt in Regensburg.
Selbst bis in die Reihen der Parteigenossen erstreckten sie sich. Ein Abge¬
ordneter von der Linken wollte die Hausindustrie ausdrücklich von den Be¬
stimmungen der Novelle ausgenommen wissen, flugs kam ein zweiter daher,
um sein geistiges Miteigentumsrecht an dem Antrage geltend zu uneben, welche"


Die Gewerbereform im österreichischen Reichsmte,

zweideutig den Aberglauben zurück, daß durch dies Gesetz, daß überhaupt durch
Gesetze allein dem Handwerk geholfen werden könne, jeder erkennt an, das
beste bleibe immer dem Gewerbsmanne selbst zu thun, jeder bezeichnet diesen
Schritt nur als einen ersten, als den Anfang der sozialpolitischen Reform, und
unbekümmert wieverholen die Gegner, es sei unverantwortlich, in den betreffenden
.Meisen trügerische Hoffnungen zu erregen, mit solchen Mitteln sei die soziale
Frage nicht zu lösen, daher lasse man besser alles beim alten. Die Gewerbs-
genossenschaften haben vor acht Jahren ganz anders gesprochen als hente, folglich
wissen sie selbst nicht, was sie wollen, sagt ein Fabrikant. Das beliebte Thema
der Konsequenz! Ob dieser Maun in den verflossnen acht Jahren in seinem
Geschäfte nichts gelernt hat, nicht durch die Erfahrung in manchen Ansichten
berichtigt worden ist? Wendet er einen chemischen Prozeß oder eine Maschine
mich ferner an, nur weil er sie einmal für nützlich gehalten hat und ob sie sich
bewährt haben möge oder nicht? Derselbe meint, Zivangsgenossenschaftcn
könnten nicht das Gefühl für Standesehre heben, weil sie kein Mittel hätten,
„den ärgsten Schwindler und Lumpen, wenn er sich nicht hat erwischen lassen
notÄ dans, auszuscheiden." Der Satz, aus welchem nur die totale Unkenntnis
der Geschichte der gewerblichen Verbände hervorsticht, wird erst vollends ver¬
ständlich durch den vvrausgcgangnen, welcher sich gegen die „zwangsweise Ver¬
einigung der heterogensten Elemente in Bezug auf Charakter, soziale Stellung ?e."
ausspricht. Darauf antwortete ein polnischer Abgeordneter treffend, wer dem:
entscheiden solle, welche Elemente die homogenen, die lauteren, und welche die
unlauteren seien? Ob die ersten besten sich zusammenthun und sagen dürften:
Wir sind die Rubeln, oder ob ein pfarramtliches oder polizeiliches Sitten-
zeugnis dazu nötig sein werde? In Wahrheit, der echte Bourgevisliberalismus
konnte sich nicht ärger bloßstelleu als in solchen Herzensergüssen! Zu Tage
trat er freilich noch außerdem genügend. Unter anderm in folgendem Zuge,
Auf der rechten Seite traten ein Fürst Liechtenstein und mehrere Grafen mit
besonderer Wärme für die Reform ein, und gegen sie wurde vorzugsweise mit
geistreichen Schmeicheleien auf die Durchlauchtigen und Hochgeborner zu Felde
gezogen, die von ihren Schlössern aus das Elend des Volkes beobachten, auf
Raubritterburgen u. tgi. in. In dein richtigen Gefühl aber, daß damit die
unangenehme Konkurrenz doch nicht totzumachen sei, wurde den Herren insinuirt,
daß die von ihnen vorgetragenen Ideen fremdes Eigentum seien, teils den
Kathedersozialisten entlehnt, teils der liberalen Partei. In Beziehung auf den
letzteren Punkt kam es zu Prioritätsstreitigkeiten, welche durchaus nicht er¬
hebender wirkten als die einseitigen Zänkereien um deu Bortritt in Regensburg.
Selbst bis in die Reihen der Parteigenossen erstreckten sie sich. Ein Abge¬
ordneter von der Linken wollte die Hausindustrie ausdrücklich von den Be¬
stimmungen der Novelle ausgenommen wissen, flugs kam ein zweiter daher,
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[0039] Die Gewerbereform im österreichischen Reichsmte, zweideutig den Aberglauben zurück, daß durch dies Gesetz, daß überhaupt durch Gesetze allein dem Handwerk geholfen werden könne, jeder erkennt an, das beste bleibe immer dem Gewerbsmanne selbst zu thun, jeder bezeichnet diesen Schritt nur als einen ersten, als den Anfang der sozialpolitischen Reform, und unbekümmert wieverholen die Gegner, es sei unverantwortlich, in den betreffenden .Meisen trügerische Hoffnungen zu erregen, mit solchen Mitteln sei die soziale Frage nicht zu lösen, daher lasse man besser alles beim alten. Die Gewerbs- genossenschaften haben vor acht Jahren ganz anders gesprochen als hente, folglich wissen sie selbst nicht, was sie wollen, sagt ein Fabrikant. Das beliebte Thema der Konsequenz! Ob dieser Maun in den verflossnen acht Jahren in seinem Geschäfte nichts gelernt hat, nicht durch die Erfahrung in manchen Ansichten berichtigt worden ist? Wendet er einen chemischen Prozeß oder eine Maschine mich ferner an, nur weil er sie einmal für nützlich gehalten hat und ob sie sich bewährt haben möge oder nicht? Derselbe meint, Zivangsgenossenschaftcn könnten nicht das Gefühl für Standesehre heben, weil sie kein Mittel hätten, „den ärgsten Schwindler und Lumpen, wenn er sich nicht hat erwischen lassen notÄ dans, auszuscheiden." Der Satz, aus welchem nur die totale Unkenntnis der Geschichte der gewerblichen Verbände hervorsticht, wird erst vollends ver¬ ständlich durch den vvrausgcgangnen, welcher sich gegen die „zwangsweise Ver¬ einigung der heterogensten Elemente in Bezug auf Charakter, soziale Stellung ?e." ausspricht. Darauf antwortete ein polnischer Abgeordneter treffend, wer dem: entscheiden solle, welche Elemente die homogenen, die lauteren, und welche die unlauteren seien? Ob die ersten besten sich zusammenthun und sagen dürften: Wir sind die Rubeln, oder ob ein pfarramtliches oder polizeiliches Sitten- zeugnis dazu nötig sein werde? In Wahrheit, der echte Bourgevisliberalismus konnte sich nicht ärger bloßstelleu als in solchen Herzensergüssen! Zu Tage trat er freilich noch außerdem genügend. Unter anderm in folgendem Zuge, Auf der rechten Seite traten ein Fürst Liechtenstein und mehrere Grafen mit besonderer Wärme für die Reform ein, und gegen sie wurde vorzugsweise mit geistreichen Schmeicheleien auf die Durchlauchtigen und Hochgeborner zu Felde gezogen, die von ihren Schlössern aus das Elend des Volkes beobachten, auf Raubritterburgen u. tgi. in. In dein richtigen Gefühl aber, daß damit die unangenehme Konkurrenz doch nicht totzumachen sei, wurde den Herren insinuirt, daß die von ihnen vorgetragenen Ideen fremdes Eigentum seien, teils den Kathedersozialisten entlehnt, teils der liberalen Partei. In Beziehung auf den letzteren Punkt kam es zu Prioritätsstreitigkeiten, welche durchaus nicht er¬ hebender wirkten als die einseitigen Zänkereien um deu Bortritt in Regensburg. Selbst bis in die Reihen der Parteigenossen erstreckten sie sich. Ein Abge¬ ordneter von der Linken wollte die Hausindustrie ausdrücklich von den Be¬ stimmungen der Novelle ausgenommen wissen, flugs kam ein zweiter daher, um sein geistiges Miteigentumsrecht an dem Antrage geltend zu uneben, welche»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/39>, abgerufen am 26.06.2024.