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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Entstehungsgeschichte und Stil des Lgniont.

den Stvlbcrgen und sicher auch allein wallfnhrtete und über welches Max Rieger
in seiner Biographie Klingers näheres mitgeteilt hat. Aber sicher haben auch
künstlerische Motive Goethe geleitet, indem er diese Liebschaft einflocht. Sie
sollten Egmont in die innigste Beziehung mit dein Volke bringen, ihn in einer
Art Verwandtschaft mit demselben zeigen, ein natürliches Band mit dem Seelen¬
bande vereinigen. Mag nun der Anfang dieser Liebesszene mit dem Liede
"Frendvvll und lcidvoll" immer in die früheste Zeit fallen, so fühlt man sich
doch versucht, den Schluß in die spätere Zeit zu verlegen: der oft verdrießliche,
steife, kalte Egnivut, der an sich halten, bald dieses, bald jenes Gesicht mache"
muß, für alle arbeitend und sich bemühend, oft ohne Zweck, meist ohne Lohn --
dieser Egmont, meint man, müsse dem Weimarischen Geschäftsleben entlehnt sein.
Und doch malt Goethe in einem Briefe vom 13. Februar 1775 seiner Freundin
Auguste Stolberg ganz so einen doppelten Goethe, mie Klürchen dem Egmont
einen doppelten Egmont aus, wenn er (also noch ehe am Egmont gearbeitet
wurde) schreibt: "Wenn Sie sich, meine liebe, einen Goethe vorstellen können,
der im galonirtcn Rock, sonst von Kopf zu Fuße auch in leidlich konsistenter
Galanterie, umleuchtet vom unbedeutenden Prachtglanze der Wandleuchter und
Kronenleuchter, mitten unter allerley Leuten, von ein Paar schönen Angen am
Spieltische gehalten wird, der in abwechselnder Zerstreuung aus der Gesellschaft,
ius Conzert, und von da auf den Ball getrieben wird, und mit allem Interesse
des Leichtsinns, einer niedlichen Blondine den Hof macht; so haben Sie den
gegenwärtigen Fastnachts Goethe, der Ihnen neulich einige dumpfe tiefe Gefühle
vorstolperte, der nicht an Sie schreiben mag, der Sie auch manchmal vergißt, weil
er sich in Ihrer Gegenwart ganz unausstehlich fühlt.... Aber nun giebts noch
einen, der im grauen Biberfrack mit dem brnnnseidncn Halstuch und Stiefeln,
der in der striechcudeu Februarluft schon den Frühling Ahndet, dem nnn bald
seine liebe weite Welt wieder geöffnet wird, der immer in sich lebend, strebend
und arbeitend, bald die unschuldigen Gefühle der Jngend in kleinen Gedichten,
das kräftige Gewürze des Lebens in mancherlei Dramas, die Gestalten seiner
Freunde und seiner Gegenden und seines geliebten Hnnsraths mit Kreide auf
grauem Papier, "ach seiner Maaße auszudrücken sucht, weder rechts noch links
fragt: was von dem gehalten werde was er machte? weil er arbeitend immer
gleich eine Stufe höher steigt, weil er nach keinem Ideale springen, sondern
seine Gefühle sich zu Fähigkeiten, kämpfend und spielend, entwickeln lassen will.
Das ist der, dem Sie nicht aus dem Sinne kommen, der auf einmal am frühen
Morgen einen Beruf fühlt Ihnen zu schreiben, dessen größte Glückseligkeit ist
mit den besten Menschen seiner Zeit zu leben." So früh hat Goethe seine Doppel¬
stellung zur äußern Welt, und lange bevor er in der bekannten Stelle des Faust
der Doppelnatur in seinem Innern Ausdruck gab, schmerzlich empfunden.

Die einleitenden Szenen im Palaste Aldas weisen durch den Stil auf eine
ältere Zeit. Bilder wie diese: "Ihr Schicksal wird sie wie eine wohlberechnete


Entstehungsgeschichte und Stil des Lgniont.

den Stvlbcrgen und sicher auch allein wallfnhrtete und über welches Max Rieger
in seiner Biographie Klingers näheres mitgeteilt hat. Aber sicher haben auch
künstlerische Motive Goethe geleitet, indem er diese Liebschaft einflocht. Sie
sollten Egmont in die innigste Beziehung mit dein Volke bringen, ihn in einer
Art Verwandtschaft mit demselben zeigen, ein natürliches Band mit dem Seelen¬
bande vereinigen. Mag nun der Anfang dieser Liebesszene mit dem Liede
„Frendvvll und lcidvoll" immer in die früheste Zeit fallen, so fühlt man sich
doch versucht, den Schluß in die spätere Zeit zu verlegen: der oft verdrießliche,
steife, kalte Egnivut, der an sich halten, bald dieses, bald jenes Gesicht mache»
muß, für alle arbeitend und sich bemühend, oft ohne Zweck, meist ohne Lohn —
dieser Egmont, meint man, müsse dem Weimarischen Geschäftsleben entlehnt sein.
Und doch malt Goethe in einem Briefe vom 13. Februar 1775 seiner Freundin
Auguste Stolberg ganz so einen doppelten Goethe, mie Klürchen dem Egmont
einen doppelten Egmont aus, wenn er (also noch ehe am Egmont gearbeitet
wurde) schreibt: „Wenn Sie sich, meine liebe, einen Goethe vorstellen können,
der im galonirtcn Rock, sonst von Kopf zu Fuße auch in leidlich konsistenter
Galanterie, umleuchtet vom unbedeutenden Prachtglanze der Wandleuchter und
Kronenleuchter, mitten unter allerley Leuten, von ein Paar schönen Angen am
Spieltische gehalten wird, der in abwechselnder Zerstreuung aus der Gesellschaft,
ius Conzert, und von da auf den Ball getrieben wird, und mit allem Interesse
des Leichtsinns, einer niedlichen Blondine den Hof macht; so haben Sie den
gegenwärtigen Fastnachts Goethe, der Ihnen neulich einige dumpfe tiefe Gefühle
vorstolperte, der nicht an Sie schreiben mag, der Sie auch manchmal vergißt, weil
er sich in Ihrer Gegenwart ganz unausstehlich fühlt.... Aber nun giebts noch
einen, der im grauen Biberfrack mit dem brnnnseidncn Halstuch und Stiefeln,
der in der striechcudeu Februarluft schon den Frühling Ahndet, dem nnn bald
seine liebe weite Welt wieder geöffnet wird, der immer in sich lebend, strebend
und arbeitend, bald die unschuldigen Gefühle der Jngend in kleinen Gedichten,
das kräftige Gewürze des Lebens in mancherlei Dramas, die Gestalten seiner
Freunde und seiner Gegenden und seines geliebten Hnnsraths mit Kreide auf
grauem Papier, »ach seiner Maaße auszudrücken sucht, weder rechts noch links
fragt: was von dem gehalten werde was er machte? weil er arbeitend immer
gleich eine Stufe höher steigt, weil er nach keinem Ideale springen, sondern
seine Gefühle sich zu Fähigkeiten, kämpfend und spielend, entwickeln lassen will.
Das ist der, dem Sie nicht aus dem Sinne kommen, der auf einmal am frühen
Morgen einen Beruf fühlt Ihnen zu schreiben, dessen größte Glückseligkeit ist
mit den besten Menschen seiner Zeit zu leben." So früh hat Goethe seine Doppel¬
stellung zur äußern Welt, und lange bevor er in der bekannten Stelle des Faust
der Doppelnatur in seinem Innern Ausdruck gab, schmerzlich empfunden.

Die einleitenden Szenen im Palaste Aldas weisen durch den Stil auf eine
ältere Zeit. Bilder wie diese: „Ihr Schicksal wird sie wie eine wohlberechnete


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[0376] Entstehungsgeschichte und Stil des Lgniont. den Stvlbcrgen und sicher auch allein wallfnhrtete und über welches Max Rieger in seiner Biographie Klingers näheres mitgeteilt hat. Aber sicher haben auch künstlerische Motive Goethe geleitet, indem er diese Liebschaft einflocht. Sie sollten Egmont in die innigste Beziehung mit dein Volke bringen, ihn in einer Art Verwandtschaft mit demselben zeigen, ein natürliches Band mit dem Seelen¬ bande vereinigen. Mag nun der Anfang dieser Liebesszene mit dem Liede „Frendvvll und lcidvoll" immer in die früheste Zeit fallen, so fühlt man sich doch versucht, den Schluß in die spätere Zeit zu verlegen: der oft verdrießliche, steife, kalte Egnivut, der an sich halten, bald dieses, bald jenes Gesicht mache» muß, für alle arbeitend und sich bemühend, oft ohne Zweck, meist ohne Lohn — dieser Egmont, meint man, müsse dem Weimarischen Geschäftsleben entlehnt sein. Und doch malt Goethe in einem Briefe vom 13. Februar 1775 seiner Freundin Auguste Stolberg ganz so einen doppelten Goethe, mie Klürchen dem Egmont einen doppelten Egmont aus, wenn er (also noch ehe am Egmont gearbeitet wurde) schreibt: „Wenn Sie sich, meine liebe, einen Goethe vorstellen können, der im galonirtcn Rock, sonst von Kopf zu Fuße auch in leidlich konsistenter Galanterie, umleuchtet vom unbedeutenden Prachtglanze der Wandleuchter und Kronenleuchter, mitten unter allerley Leuten, von ein Paar schönen Angen am Spieltische gehalten wird, der in abwechselnder Zerstreuung aus der Gesellschaft, ius Conzert, und von da auf den Ball getrieben wird, und mit allem Interesse des Leichtsinns, einer niedlichen Blondine den Hof macht; so haben Sie den gegenwärtigen Fastnachts Goethe, der Ihnen neulich einige dumpfe tiefe Gefühle vorstolperte, der nicht an Sie schreiben mag, der Sie auch manchmal vergißt, weil er sich in Ihrer Gegenwart ganz unausstehlich fühlt.... Aber nun giebts noch einen, der im grauen Biberfrack mit dem brnnnseidncn Halstuch und Stiefeln, der in der striechcudeu Februarluft schon den Frühling Ahndet, dem nnn bald seine liebe weite Welt wieder geöffnet wird, der immer in sich lebend, strebend und arbeitend, bald die unschuldigen Gefühle der Jngend in kleinen Gedichten, das kräftige Gewürze des Lebens in mancherlei Dramas, die Gestalten seiner Freunde und seiner Gegenden und seines geliebten Hnnsraths mit Kreide auf grauem Papier, »ach seiner Maaße auszudrücken sucht, weder rechts noch links fragt: was von dem gehalten werde was er machte? weil er arbeitend immer gleich eine Stufe höher steigt, weil er nach keinem Ideale springen, sondern seine Gefühle sich zu Fähigkeiten, kämpfend und spielend, entwickeln lassen will. Das ist der, dem Sie nicht aus dem Sinne kommen, der auf einmal am frühen Morgen einen Beruf fühlt Ihnen zu schreiben, dessen größte Glückseligkeit ist mit den besten Menschen seiner Zeit zu leben." So früh hat Goethe seine Doppel¬ stellung zur äußern Welt, und lange bevor er in der bekannten Stelle des Faust der Doppelnatur in seinem Innern Ausdruck gab, schmerzlich empfunden. Die einleitenden Szenen im Palaste Aldas weisen durch den Stil auf eine ältere Zeit. Bilder wie diese: „Ihr Schicksal wird sie wie eine wohlberechnete

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/376>, abgerufen am 23.07.2024.