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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Lntstchuugsgeschichti! und Stil dos Lgnwnt,

Züge in Brackenburg festgehalten hat, ist unzweifelhaft. Er sah in ihm etwa
einen jüngern Goethe, den Leipziger Goethe, der den Verlust Katheders nicht
verschmerzen kann, der auch noch etwas schülerhafte Geberden hat. Wie Bracken¬
burg bei den Schulexerzitien immer der erste ist und vom Rektor das Lob erhält!
"Wenn es nur ordentlicher wäre, nur nicht alles so übereinander gestolpert,"
so schreibt Goethe an Oeser: "Sie wissen, ich hatte immer einen hübsche" Fond
c"i Reflektioncn, die ich Ihnen meistenteils vortrug, freilich gingen sie manchmal
etwas quer, nun da belehrten Sie mich eines besseren." Möglich aber auch, daß
Goethe mit eignen Zügen das Bild eines andern ergänzt hat. Der Bruder der
Karoline Flachsland (der späteren Frau Herder) konnte sich über den Verlust seiner
Geliebten niemals trösten und hing selbst, nachdem sie einen andern geheiratet
hatte, mit unerschütterlicher Liebe und Treue an ihr. Daß Klärcheu übrigens
in der ersten Szene unter dem Namen Klare, später nnr als Klnrchen einge¬
führt wird, erinnert uns an einen ähnlichen Wechsel der Namensformen im
Faust (Gretchen, Margarete), wird uns aber kaum zu weiter" Resultate" führen:
im Dialog heißt es auch hier durchgehends Klärcheu.

Die zweite Szene des zweite" Aktes ist meines Erachtens ganz in die
Weimarer Zeit zu verlegen, unzweifelhaft aber die Unterredung mit dem Se¬
kretär. Sie enthält durchgehends Selbsterlebtes. Voran eine Kleinigkeit: Richard
soll dem Grafen Oliva in Egmonts Namen antworten und dabei seine Hand
nachahmen. Das ist Goethes Verfahren in späterer Zeit, dem ja auch unter
vielem verhaßten das Schreiben das verhaßteste war. In der Weimarer Zeit
nun suchte Goethes Diener, Philipp Seidel, die Handschrift seines Herrn täu¬
schend nachzuahmen; ein leichtes Stück -- auch der Komponist Kayser hat sich
später die Hand Goethes so natürlich angeeignet, daß er auf ihn ni"e" falsche"
Wechsel hätte ausstellen können. Aber weiter: Es ist ein Brief vom alten Oliva
eingelaufen, der Egmont vorsorglich vor dem leichten, unbekümmerten Leben
warnt. Egmont antwortet barsch und rauh gegen den guten Mann und recht¬
fertigt diesen Ton damit, daß er immer wieder diese alte Seite berühre und
doch wisse, wie verhaßt ihm diese Ermahnungen seien. Solche Warnungen wegen
seines tollen Treibens hatte Goethe in der ersten Zeit seines Weimarer Auf¬
enthaltes von vielen Seite" erhalte". Auch sein Freund Merck mußte erst
durch el" längeres Zusammensei" mit Goethe und dem Herzoge auf der Wart¬
burg bei Eisenach überzeugt werde", daß das Spiel, das Goethe in Weimar
spiele, doch nicht auf ganz haltloser Basis gespielt werde. Seinem Freunde
Zimmermann ließ Goethe durch die Stein schreiben: "Grüße Zimmermann, sage
ihm, ich hab ihn nicht verkannt, aber ich hab eine Pik auf alle meine Freunde,
die mich mit Schreiben von dem, was man über mich sagte, wider ihren Willen
plagten. Du kennst meine Lage am besten, also sag ihm was Dir's Herz sagt.
Sag ihm, er solls für sich behalten, soll mich lieb behalten." Über den Brief
Olivas sagt Egmont: "Da bringt er wieder die alten Märchen auf, was wir


Lntstchuugsgeschichti! und Stil dos Lgnwnt,

Züge in Brackenburg festgehalten hat, ist unzweifelhaft. Er sah in ihm etwa
einen jüngern Goethe, den Leipziger Goethe, der den Verlust Katheders nicht
verschmerzen kann, der auch noch etwas schülerhafte Geberden hat. Wie Bracken¬
burg bei den Schulexerzitien immer der erste ist und vom Rektor das Lob erhält!
„Wenn es nur ordentlicher wäre, nur nicht alles so übereinander gestolpert,"
so schreibt Goethe an Oeser: „Sie wissen, ich hatte immer einen hübsche» Fond
c»i Reflektioncn, die ich Ihnen meistenteils vortrug, freilich gingen sie manchmal
etwas quer, nun da belehrten Sie mich eines besseren." Möglich aber auch, daß
Goethe mit eignen Zügen das Bild eines andern ergänzt hat. Der Bruder der
Karoline Flachsland (der späteren Frau Herder) konnte sich über den Verlust seiner
Geliebten niemals trösten und hing selbst, nachdem sie einen andern geheiratet
hatte, mit unerschütterlicher Liebe und Treue an ihr. Daß Klärcheu übrigens
in der ersten Szene unter dem Namen Klare, später nnr als Klnrchen einge¬
führt wird, erinnert uns an einen ähnlichen Wechsel der Namensformen im
Faust (Gretchen, Margarete), wird uns aber kaum zu weiter» Resultate» führen:
im Dialog heißt es auch hier durchgehends Klärcheu.

Die zweite Szene des zweite» Aktes ist meines Erachtens ganz in die
Weimarer Zeit zu verlegen, unzweifelhaft aber die Unterredung mit dem Se¬
kretär. Sie enthält durchgehends Selbsterlebtes. Voran eine Kleinigkeit: Richard
soll dem Grafen Oliva in Egmonts Namen antworten und dabei seine Hand
nachahmen. Das ist Goethes Verfahren in späterer Zeit, dem ja auch unter
vielem verhaßten das Schreiben das verhaßteste war. In der Weimarer Zeit
nun suchte Goethes Diener, Philipp Seidel, die Handschrift seines Herrn täu¬
schend nachzuahmen; ein leichtes Stück — auch der Komponist Kayser hat sich
später die Hand Goethes so natürlich angeeignet, daß er auf ihn ni»e» falsche»
Wechsel hätte ausstellen können. Aber weiter: Es ist ein Brief vom alten Oliva
eingelaufen, der Egmont vorsorglich vor dem leichten, unbekümmerten Leben
warnt. Egmont antwortet barsch und rauh gegen den guten Mann und recht¬
fertigt diesen Ton damit, daß er immer wieder diese alte Seite berühre und
doch wisse, wie verhaßt ihm diese Ermahnungen seien. Solche Warnungen wegen
seines tollen Treibens hatte Goethe in der ersten Zeit seines Weimarer Auf¬
enthaltes von vielen Seite» erhalte». Auch sein Freund Merck mußte erst
durch el» längeres Zusammensei» mit Goethe und dem Herzoge auf der Wart¬
burg bei Eisenach überzeugt werde», daß das Spiel, das Goethe in Weimar
spiele, doch nicht auf ganz haltloser Basis gespielt werde. Seinem Freunde
Zimmermann ließ Goethe durch die Stein schreiben: „Grüße Zimmermann, sage
ihm, ich hab ihn nicht verkannt, aber ich hab eine Pik auf alle meine Freunde,
die mich mit Schreiben von dem, was man über mich sagte, wider ihren Willen
plagten. Du kennst meine Lage am besten, also sag ihm was Dir's Herz sagt.
Sag ihm, er solls für sich behalten, soll mich lieb behalten." Über den Brief
Olivas sagt Egmont: „Da bringt er wieder die alten Märchen auf, was wir


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[0373] Lntstchuugsgeschichti! und Stil dos Lgnwnt, Züge in Brackenburg festgehalten hat, ist unzweifelhaft. Er sah in ihm etwa einen jüngern Goethe, den Leipziger Goethe, der den Verlust Katheders nicht verschmerzen kann, der auch noch etwas schülerhafte Geberden hat. Wie Bracken¬ burg bei den Schulexerzitien immer der erste ist und vom Rektor das Lob erhält! „Wenn es nur ordentlicher wäre, nur nicht alles so übereinander gestolpert," so schreibt Goethe an Oeser: „Sie wissen, ich hatte immer einen hübsche» Fond c»i Reflektioncn, die ich Ihnen meistenteils vortrug, freilich gingen sie manchmal etwas quer, nun da belehrten Sie mich eines besseren." Möglich aber auch, daß Goethe mit eignen Zügen das Bild eines andern ergänzt hat. Der Bruder der Karoline Flachsland (der späteren Frau Herder) konnte sich über den Verlust seiner Geliebten niemals trösten und hing selbst, nachdem sie einen andern geheiratet hatte, mit unerschütterlicher Liebe und Treue an ihr. Daß Klärcheu übrigens in der ersten Szene unter dem Namen Klare, später nnr als Klnrchen einge¬ führt wird, erinnert uns an einen ähnlichen Wechsel der Namensformen im Faust (Gretchen, Margarete), wird uns aber kaum zu weiter» Resultate» führen: im Dialog heißt es auch hier durchgehends Klärcheu. Die zweite Szene des zweite» Aktes ist meines Erachtens ganz in die Weimarer Zeit zu verlegen, unzweifelhaft aber die Unterredung mit dem Se¬ kretär. Sie enthält durchgehends Selbsterlebtes. Voran eine Kleinigkeit: Richard soll dem Grafen Oliva in Egmonts Namen antworten und dabei seine Hand nachahmen. Das ist Goethes Verfahren in späterer Zeit, dem ja auch unter vielem verhaßten das Schreiben das verhaßteste war. In der Weimarer Zeit nun suchte Goethes Diener, Philipp Seidel, die Handschrift seines Herrn täu¬ schend nachzuahmen; ein leichtes Stück — auch der Komponist Kayser hat sich später die Hand Goethes so natürlich angeeignet, daß er auf ihn ni»e» falsche» Wechsel hätte ausstellen können. Aber weiter: Es ist ein Brief vom alten Oliva eingelaufen, der Egmont vorsorglich vor dem leichten, unbekümmerten Leben warnt. Egmont antwortet barsch und rauh gegen den guten Mann und recht¬ fertigt diesen Ton damit, daß er immer wieder diese alte Seite berühre und doch wisse, wie verhaßt ihm diese Ermahnungen seien. Solche Warnungen wegen seines tollen Treibens hatte Goethe in der ersten Zeit seines Weimarer Auf¬ enthaltes von vielen Seite» erhalte». Auch sein Freund Merck mußte erst durch el» längeres Zusammensei» mit Goethe und dem Herzoge auf der Wart¬ burg bei Eisenach überzeugt werde», daß das Spiel, das Goethe in Weimar spiele, doch nicht auf ganz haltloser Basis gespielt werde. Seinem Freunde Zimmermann ließ Goethe durch die Stein schreiben: „Grüße Zimmermann, sage ihm, ich hab ihn nicht verkannt, aber ich hab eine Pik auf alle meine Freunde, die mich mit Schreiben von dem, was man über mich sagte, wider ihren Willen plagten. Du kennst meine Lage am besten, also sag ihm was Dir's Herz sagt. Sag ihm, er solls für sich behalten, soll mich lieb behalten." Über den Brief Olivas sagt Egmont: „Da bringt er wieder die alten Märchen auf, was wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/373>, abgerufen am 23.07.2024.