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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Der Regen.

wartet es für den nächsten Tag über England oder der Nordsee, aber es hat
vorgezogen, einen Tag lang stillzustehen, um um statt nach Osten nach Norden
abzuziehen. Ein andres/das kaum merkbar über Frankreich sich ausbildete,
marschirt in vierundzwanzig Stunden bis zum schwarzen Meere, während eine
gleichzeitige nördlichere Depression sich Tage lang über der Nordsee herumtreibt.
Solche Unberechenbarkeiten verursachen der Prognose große Schwierigkeiten, die
noch wachsen, wenn die Gebiete niederen Druckes sich nicht völlig zu Cyklonen
ausbilden, sondern als Furchen, Zunge" oder breite Flächen auftreten. Ju solchen
Fällen ist die Voraussage viel mehr auf die Verwertung praktischer Erfahrungen
und eiuen gewissen meteorologischen Takt als auf die Anwendung bestimmter
Witterungsgesetze angewiesen.

Dennoch läßt sich im Kommen und Gehen der Depressionen eine gewisse
Gesetzmäßigkeit wahrnehmen. Sie haben gewisse Zugstraßeu, die sie mit Vor¬
liebe freqnentiren. Diese Straßen beginnen für uns sichtbar zu werden in dem
Raume vom Viskayischen Meere bis zu deu Hebriden und pflegen entweder
über die nördliche Nordsee ins Eismeer oder quer über die skandinavische Halb¬
insel oder längs der Küste von Nord- und Ostsee zu leiten. In das Innere
des Festlandes kommt eine Hauptdeprcssivn selten. Doch bilden sich am Rande
der Hauptdepression auch häufig sekundäre Minima; diese statten uns speziellen
Besuch ab und bringen Gewitter und Regen vollauf. Eine in deu Winter-
monaten nicht selten besuchte Straße führt durch Spanien oder Südfrankreich
und die Lombardei nach der Balkanhalbinsel, sie geht also südlich von uns
dnrch und verursacht über Italien schwere Regenfälle, während wir die Winde
der Nordseite, Frost und rauhes Wetter zu kosten bekommen. Oder eine über
dem mittelländischen Meere ausgebildete Depression zieht nördlich quer durch
Deutschland. Bei solcher Gelegenheit giebt es im Winter die heftigsten Schnee-
stürme. Vor allem wird der Meteorologe aus der Gruppirung der Winde, der
Barometerstände und dem bereits beobachteten Vorrücken deu Weg zu erraten
haben und darnach seine Voraussage einrichten.

Es hat sich gezeigt, daß die barometrischen Minima, sobald sie westlich von
Irland oder von Schweden Land treffen, zögernd stehen bleiben, auch an Kraft
verlieren und langsamer vorschreiten. Hierbei werden namentlich im Winter
erhebliche Mengen von Regen, bez. Schnee niedergeworfen, und wir verdanken
beide Rheinüberschwemmungen der eben geschilderten Witterungserscheinung.

Aus alledem ist zu ersehe", daß die Ursache ihres Wciterschreitens und
ihrer Zugrichtung im Feuchtigkeitsgehalte der Luft fliegt. Diese Feuchtigkeit
stürzt als Regen nieder, und in den leeren Raum tritt gleichsam das Minimum
ein, um die gleiche Ursache weiter vorwärts zu tragen. Es ist auch vielfach
ersichtlich, daß Minima an der Grenze von verschieden erwärmten Luftmeeren
entlang ziehen und eine Ausgleichung herbeiführen. Man könnte den Vorgang
mit der Arbeit einer Mähmaschine vergleichen, welche das links stehende Korn


Der Regen.

wartet es für den nächsten Tag über England oder der Nordsee, aber es hat
vorgezogen, einen Tag lang stillzustehen, um um statt nach Osten nach Norden
abzuziehen. Ein andres/das kaum merkbar über Frankreich sich ausbildete,
marschirt in vierundzwanzig Stunden bis zum schwarzen Meere, während eine
gleichzeitige nördlichere Depression sich Tage lang über der Nordsee herumtreibt.
Solche Unberechenbarkeiten verursachen der Prognose große Schwierigkeiten, die
noch wachsen, wenn die Gebiete niederen Druckes sich nicht völlig zu Cyklonen
ausbilden, sondern als Furchen, Zunge» oder breite Flächen auftreten. Ju solchen
Fällen ist die Voraussage viel mehr auf die Verwertung praktischer Erfahrungen
und eiuen gewissen meteorologischen Takt als auf die Anwendung bestimmter
Witterungsgesetze angewiesen.

Dennoch läßt sich im Kommen und Gehen der Depressionen eine gewisse
Gesetzmäßigkeit wahrnehmen. Sie haben gewisse Zugstraßeu, die sie mit Vor¬
liebe freqnentiren. Diese Straßen beginnen für uns sichtbar zu werden in dem
Raume vom Viskayischen Meere bis zu deu Hebriden und pflegen entweder
über die nördliche Nordsee ins Eismeer oder quer über die skandinavische Halb¬
insel oder längs der Küste von Nord- und Ostsee zu leiten. In das Innere
des Festlandes kommt eine Hauptdeprcssivn selten. Doch bilden sich am Rande
der Hauptdepression auch häufig sekundäre Minima; diese statten uns speziellen
Besuch ab und bringen Gewitter und Regen vollauf. Eine in deu Winter-
monaten nicht selten besuchte Straße führt durch Spanien oder Südfrankreich
und die Lombardei nach der Balkanhalbinsel, sie geht also südlich von uns
dnrch und verursacht über Italien schwere Regenfälle, während wir die Winde
der Nordseite, Frost und rauhes Wetter zu kosten bekommen. Oder eine über
dem mittelländischen Meere ausgebildete Depression zieht nördlich quer durch
Deutschland. Bei solcher Gelegenheit giebt es im Winter die heftigsten Schnee-
stürme. Vor allem wird der Meteorologe aus der Gruppirung der Winde, der
Barometerstände und dem bereits beobachteten Vorrücken deu Weg zu erraten
haben und darnach seine Voraussage einrichten.

Es hat sich gezeigt, daß die barometrischen Minima, sobald sie westlich von
Irland oder von Schweden Land treffen, zögernd stehen bleiben, auch an Kraft
verlieren und langsamer vorschreiten. Hierbei werden namentlich im Winter
erhebliche Mengen von Regen, bez. Schnee niedergeworfen, und wir verdanken
beide Rheinüberschwemmungen der eben geschilderten Witterungserscheinung.

Aus alledem ist zu ersehe», daß die Ursache ihres Wciterschreitens und
ihrer Zugrichtung im Feuchtigkeitsgehalte der Luft fliegt. Diese Feuchtigkeit
stürzt als Regen nieder, und in den leeren Raum tritt gleichsam das Minimum
ein, um die gleiche Ursache weiter vorwärts zu tragen. Es ist auch vielfach
ersichtlich, daß Minima an der Grenze von verschieden erwärmten Luftmeeren
entlang ziehen und eine Ausgleichung herbeiführen. Man könnte den Vorgang
mit der Arbeit einer Mähmaschine vergleichen, welche das links stehende Korn


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[0365] Der Regen. wartet es für den nächsten Tag über England oder der Nordsee, aber es hat vorgezogen, einen Tag lang stillzustehen, um um statt nach Osten nach Norden abzuziehen. Ein andres/das kaum merkbar über Frankreich sich ausbildete, marschirt in vierundzwanzig Stunden bis zum schwarzen Meere, während eine gleichzeitige nördlichere Depression sich Tage lang über der Nordsee herumtreibt. Solche Unberechenbarkeiten verursachen der Prognose große Schwierigkeiten, die noch wachsen, wenn die Gebiete niederen Druckes sich nicht völlig zu Cyklonen ausbilden, sondern als Furchen, Zunge» oder breite Flächen auftreten. Ju solchen Fällen ist die Voraussage viel mehr auf die Verwertung praktischer Erfahrungen und eiuen gewissen meteorologischen Takt als auf die Anwendung bestimmter Witterungsgesetze angewiesen. Dennoch läßt sich im Kommen und Gehen der Depressionen eine gewisse Gesetzmäßigkeit wahrnehmen. Sie haben gewisse Zugstraßeu, die sie mit Vor¬ liebe freqnentiren. Diese Straßen beginnen für uns sichtbar zu werden in dem Raume vom Viskayischen Meere bis zu deu Hebriden und pflegen entweder über die nördliche Nordsee ins Eismeer oder quer über die skandinavische Halb¬ insel oder längs der Küste von Nord- und Ostsee zu leiten. In das Innere des Festlandes kommt eine Hauptdeprcssivn selten. Doch bilden sich am Rande der Hauptdepression auch häufig sekundäre Minima; diese statten uns speziellen Besuch ab und bringen Gewitter und Regen vollauf. Eine in deu Winter- monaten nicht selten besuchte Straße führt durch Spanien oder Südfrankreich und die Lombardei nach der Balkanhalbinsel, sie geht also südlich von uns dnrch und verursacht über Italien schwere Regenfälle, während wir die Winde der Nordseite, Frost und rauhes Wetter zu kosten bekommen. Oder eine über dem mittelländischen Meere ausgebildete Depression zieht nördlich quer durch Deutschland. Bei solcher Gelegenheit giebt es im Winter die heftigsten Schnee- stürme. Vor allem wird der Meteorologe aus der Gruppirung der Winde, der Barometerstände und dem bereits beobachteten Vorrücken deu Weg zu erraten haben und darnach seine Voraussage einrichten. Es hat sich gezeigt, daß die barometrischen Minima, sobald sie westlich von Irland oder von Schweden Land treffen, zögernd stehen bleiben, auch an Kraft verlieren und langsamer vorschreiten. Hierbei werden namentlich im Winter erhebliche Mengen von Regen, bez. Schnee niedergeworfen, und wir verdanken beide Rheinüberschwemmungen der eben geschilderten Witterungserscheinung. Aus alledem ist zu ersehe», daß die Ursache ihres Wciterschreitens und ihrer Zugrichtung im Feuchtigkeitsgehalte der Luft fliegt. Diese Feuchtigkeit stürzt als Regen nieder, und in den leeren Raum tritt gleichsam das Minimum ein, um die gleiche Ursache weiter vorwärts zu tragen. Es ist auch vielfach ersichtlich, daß Minima an der Grenze von verschieden erwärmten Luftmeeren entlang ziehen und eine Ausgleichung herbeiführen. Man könnte den Vorgang mit der Arbeit einer Mähmaschine vergleichen, welche das links stehende Korn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/365>, abgerufen am 23.07.2024.