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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grasen von Altenschwerdt.

Sie wollen das Gute, nur sind sie beschränkt, in niedrigen Geschäften des täg¬
lichen Lebens verkommen und nicht imstande, aus sich selbst die Schätze zu
finden, welche der Fortschritt der Wissenschaften gefördert hat. Wir Journalisten
sind die Vermittler zwischen den Männern strenger unnahbarer Wissenschaft
und der Menge des Volkes, Ich werde die glückliche Zeit deiner Abwesenheit
benutzen, um dem Kreise von Lesern, der um mich versammelt ist, eine Leuchte
aufzustecken, und du sollst dich wundern, geldgieriger, engherziger Manu, wenn
du bei deiner Rückkehr siehst, daß gerade die Nichtbefolgung deines Rates auch
in materieller Hinsicht den schönsten Erfolg gehabt hat. Ich habe eine glän¬
zende Idee, Es ist wahr, daß Belehrung in trockner, nüchterner Form keine
Wirkung übt, darum zeigt sich die Kunst des Schriftstellers erst in der Art
und Weise, wie er belehrt und bessert. Ich werde jetzt meine satirischen Auf¬
sätze, die ich als Buch herauszugeben beabsichtigte, vorläufig in den "Nachrichten"
bringen. Ich gebe ihnen den Titel "Der Spaziergänger in Holzfurt," Das
ist eine Idee,

Der kleine Doktor legte den Finger an die Nase und blickte mit Begeisterung
in das Lampenlicht,

Eine glänzende Idee! Es ist viel Witz im Volke, das Lachen ist der
Götter schönstes Geschenk! Was sie in didaktischer Weise nicht begreifen, das wird
ihnen in der humoristischen Verkleidung einleuchten. Viele Mängel und Schwächen
unsrer Gesellschaft sind in meinen satirischen Aufsätzen gegeißelt, und ich schmeichle
mir, sie siud in einer so pikanten Art durchgenommen, daß niemand sich der
Lektüre entziehen kann. Das wird gefallen! Man wird lachen, und es wird
jenes befreiende Lachen sein, das Lessing als den edeln Zweck des Lustspiels
hinstellt. Man wird die Lehren herauszuschälen wissen, man wird seine Fehler
abzulegen suchen, und die ewigen Wahrheiten, welche das Menschengeschlecht
zu beseligen bestimmt sind, werden aus meiner Satire in blendendem Glänze
hervortreten!

Begeistert von dieser Idee beschleunigte or. Glock die Vollendung des
Morgenblattes und warf sich gegen Sonnemnsgang auf sein Junggesellcnlager,
an in angenehmen Träumen literarischen Ruhmes neuer Tagesarbeit entgegen-
zuschlummern.

Er schlief noch, als Herr Rudolf Schmidt bereits sein Gepäck, worunter
sich eine riesige Kiste mit bunten Fliesen befand, zur Bahn befördern ließ und
selbst in seinem leichten Wagen über Land fuhr, nachdem er noch in zarter
Aufmerksamkeit feiner Braut eine aus Eichhauseu mitgebrachte junge Gans über-
sandt hatte. Er beabsichtigte, vor Beginn der eigentlichen Reise seinen Bruder,
deu Algenarzt, in Fischbeck zu besuchen, mit welchem er auf etwas gespanntem Fuße
lebte. Es war ein Dorn in seinen Augen, daß dieser Bruder eine Beschäftigung
trieb, über die man in Holzfurt spottete.

Nach einer Fahrt von etwa drei Stunden kam er in Fischbeck an und be-


Die Grasen von Altenschwerdt.

Sie wollen das Gute, nur sind sie beschränkt, in niedrigen Geschäften des täg¬
lichen Lebens verkommen und nicht imstande, aus sich selbst die Schätze zu
finden, welche der Fortschritt der Wissenschaften gefördert hat. Wir Journalisten
sind die Vermittler zwischen den Männern strenger unnahbarer Wissenschaft
und der Menge des Volkes, Ich werde die glückliche Zeit deiner Abwesenheit
benutzen, um dem Kreise von Lesern, der um mich versammelt ist, eine Leuchte
aufzustecken, und du sollst dich wundern, geldgieriger, engherziger Manu, wenn
du bei deiner Rückkehr siehst, daß gerade die Nichtbefolgung deines Rates auch
in materieller Hinsicht den schönsten Erfolg gehabt hat. Ich habe eine glän¬
zende Idee, Es ist wahr, daß Belehrung in trockner, nüchterner Form keine
Wirkung übt, darum zeigt sich die Kunst des Schriftstellers erst in der Art
und Weise, wie er belehrt und bessert. Ich werde jetzt meine satirischen Auf¬
sätze, die ich als Buch herauszugeben beabsichtigte, vorläufig in den „Nachrichten"
bringen. Ich gebe ihnen den Titel „Der Spaziergänger in Holzfurt," Das
ist eine Idee,

Der kleine Doktor legte den Finger an die Nase und blickte mit Begeisterung
in das Lampenlicht,

Eine glänzende Idee! Es ist viel Witz im Volke, das Lachen ist der
Götter schönstes Geschenk! Was sie in didaktischer Weise nicht begreifen, das wird
ihnen in der humoristischen Verkleidung einleuchten. Viele Mängel und Schwächen
unsrer Gesellschaft sind in meinen satirischen Aufsätzen gegeißelt, und ich schmeichle
mir, sie siud in einer so pikanten Art durchgenommen, daß niemand sich der
Lektüre entziehen kann. Das wird gefallen! Man wird lachen, und es wird
jenes befreiende Lachen sein, das Lessing als den edeln Zweck des Lustspiels
hinstellt. Man wird die Lehren herauszuschälen wissen, man wird seine Fehler
abzulegen suchen, und die ewigen Wahrheiten, welche das Menschengeschlecht
zu beseligen bestimmt sind, werden aus meiner Satire in blendendem Glänze
hervortreten!

Begeistert von dieser Idee beschleunigte or. Glock die Vollendung des
Morgenblattes und warf sich gegen Sonnemnsgang auf sein Junggesellcnlager,
an in angenehmen Träumen literarischen Ruhmes neuer Tagesarbeit entgegen-
zuschlummern.

Er schlief noch, als Herr Rudolf Schmidt bereits sein Gepäck, worunter
sich eine riesige Kiste mit bunten Fliesen befand, zur Bahn befördern ließ und
selbst in seinem leichten Wagen über Land fuhr, nachdem er noch in zarter
Aufmerksamkeit feiner Braut eine aus Eichhauseu mitgebrachte junge Gans über-
sandt hatte. Er beabsichtigte, vor Beginn der eigentlichen Reise seinen Bruder,
deu Algenarzt, in Fischbeck zu besuchen, mit welchem er auf etwas gespanntem Fuße
lebte. Es war ein Dorn in seinen Augen, daß dieser Bruder eine Beschäftigung
trieb, über die man in Holzfurt spottete.

Nach einer Fahrt von etwa drei Stunden kam er in Fischbeck an und be-


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[0335] Die Grasen von Altenschwerdt. Sie wollen das Gute, nur sind sie beschränkt, in niedrigen Geschäften des täg¬ lichen Lebens verkommen und nicht imstande, aus sich selbst die Schätze zu finden, welche der Fortschritt der Wissenschaften gefördert hat. Wir Journalisten sind die Vermittler zwischen den Männern strenger unnahbarer Wissenschaft und der Menge des Volkes, Ich werde die glückliche Zeit deiner Abwesenheit benutzen, um dem Kreise von Lesern, der um mich versammelt ist, eine Leuchte aufzustecken, und du sollst dich wundern, geldgieriger, engherziger Manu, wenn du bei deiner Rückkehr siehst, daß gerade die Nichtbefolgung deines Rates auch in materieller Hinsicht den schönsten Erfolg gehabt hat. Ich habe eine glän¬ zende Idee, Es ist wahr, daß Belehrung in trockner, nüchterner Form keine Wirkung übt, darum zeigt sich die Kunst des Schriftstellers erst in der Art und Weise, wie er belehrt und bessert. Ich werde jetzt meine satirischen Auf¬ sätze, die ich als Buch herauszugeben beabsichtigte, vorläufig in den „Nachrichten" bringen. Ich gebe ihnen den Titel „Der Spaziergänger in Holzfurt," Das ist eine Idee, Der kleine Doktor legte den Finger an die Nase und blickte mit Begeisterung in das Lampenlicht, Eine glänzende Idee! Es ist viel Witz im Volke, das Lachen ist der Götter schönstes Geschenk! Was sie in didaktischer Weise nicht begreifen, das wird ihnen in der humoristischen Verkleidung einleuchten. Viele Mängel und Schwächen unsrer Gesellschaft sind in meinen satirischen Aufsätzen gegeißelt, und ich schmeichle mir, sie siud in einer so pikanten Art durchgenommen, daß niemand sich der Lektüre entziehen kann. Das wird gefallen! Man wird lachen, und es wird jenes befreiende Lachen sein, das Lessing als den edeln Zweck des Lustspiels hinstellt. Man wird die Lehren herauszuschälen wissen, man wird seine Fehler abzulegen suchen, und die ewigen Wahrheiten, welche das Menschengeschlecht zu beseligen bestimmt sind, werden aus meiner Satire in blendendem Glänze hervortreten! Begeistert von dieser Idee beschleunigte or. Glock die Vollendung des Morgenblattes und warf sich gegen Sonnemnsgang auf sein Junggesellcnlager, an in angenehmen Träumen literarischen Ruhmes neuer Tagesarbeit entgegen- zuschlummern. Er schlief noch, als Herr Rudolf Schmidt bereits sein Gepäck, worunter sich eine riesige Kiste mit bunten Fliesen befand, zur Bahn befördern ließ und selbst in seinem leichten Wagen über Land fuhr, nachdem er noch in zarter Aufmerksamkeit feiner Braut eine aus Eichhauseu mitgebrachte junge Gans über- sandt hatte. Er beabsichtigte, vor Beginn der eigentlichen Reise seinen Bruder, deu Algenarzt, in Fischbeck zu besuchen, mit welchem er auf etwas gespanntem Fuße lebte. Es war ein Dorn in seinen Augen, daß dieser Bruder eine Beschäftigung trieb, über die man in Holzfurt spottete. Nach einer Fahrt von etwa drei Stunden kam er in Fischbeck an und be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/335>, abgerufen am 23.07.2024.