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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altcuschwerdt.

politische Überzeugung ist, aber man kann dach innerhalb der bestimmten Richtung
immer noch belehrend wirken. Man kann neue Gesichtspunkte hereinziehen, den
Kreis der vorhandenen Anschauungen erweitern und so mit einiger Geschicklich-
keit sein Publikum nach und nach ans eine höhere Stufe politischer Klarheit
heben. Wenn ich das nicht dächte, so möchte ich lieber Holz hacken als eine
Zeitung redigiren.

Herr Schmidt war glücklich über den Widerspruch, der ihm Gelegenheit
gab, eine Rede zu halten. Holz hacken, mein verehrter Herr, ist unter Um¬
ständen ein sehr gutes Geschäft, sagte er. Aber was Sie dn von der höhern
Stufe politischer Klarheit sprechen, will mir nicht einleuchten. Meiner Meinung
nach ist gerade eine gewisse Unklarheit in allen Artikeln das beste für eine
Zeitung. Ich lobe mir eine dämmerige, nebelhafte Haltung. Glauben Sie mir,
die Leute mögen nicht einmal ihre eigne Meinung in recht deutlicher Weise aus¬
gedrückt lesen. Es macht sie ängstlich, weil sie dann die Konsequenzen vor
Augen sehen. Kein Weltblatt hat eine bestimmte Richtung. Ich rate Ihnen,
lesen Sie selber, ehe Sie Ihren Leitartikel schreiben, vorher immer den letzten
der Kölnischen Zeitung. Die ist ausgezeichnet redigirt. Sie ist immer in der
Stimmung des Bürgers, der seinen Frühschoppen getrunken hat, angeregt, hoff¬
nungsvoll. Ihr Bestreben, Herr Doktor, muß sein, zwar recht forsch und tapfer
im Ausdruck, aber in der Sache höchst behutsam zu sein. Deshalb auch in
wichtigen Angelegenheiten möglichst zahm und kurz, dagegen in Kleinigkeiten
scharf und ausführlich! Hauptsächlich Vorfälle im Auslande benutzt eine um¬
sichtige Redaktion zu scharfen, gewichtigen und drohend klingenden Artikeln. Das
Publikum fühlt sich in seinem Selbstgefühl gehoben, wenn die Zeitung barsch
und kurz über fremde Regierungen urteilt. Im allgemeinen muß es immer so
aussehen, als ob etwas gesagt würde, während doch in Wirklichkeit nichts gesagt
wird. Hierin liegt die große Kunst der Redaktion. Eine gewisse Feinfühligkeit
für die öffentliche Meinung ist das ganze Geheimnis, und deshalb ist es das
beste, den Artikel so zu halten, daß am Schluß das Gegenteil von dem gesagt
wird, was zu Anfange steht, sodaß ein jeder herauslesen kann, was ihm gefällt.
So zu schreiben, dazu gehört nichts als Geschicklichkeit. Und vor allem, lieber
Doktor, betonen Sie in jeder Nummer den Segen der Selbsthilfe. Denn das
ist nicht nur den Grundsätzen der Gewerbebank gemäß, sondern klingt auch allen
Leuten angenehm, die etwas besitzen. Sie werden dadurch in der Meinung be¬
stärkt, es sei ihr eignes Verdienst, daß es ihnen gut geht. Und wir wolle"
doch leben und müssen uns deshalb mit den Besitzenden gut stehen.

Wenn das Ihr einziger Beweggrund ist, so ist es traurig, sagte Dr. Glock
entrüstet. Aus einem andern Grunde vertrete ich das Prinzip der Selbsthilfe.
Ich sehe in ihm das edelste Pfand der Freiheit, einen Schutzwall gegen die Be¬
vormundung des Staates wie gegen den begehrlichen Aufruhr der gedankenlosen
Masse.


Die Grafen von Altcuschwerdt.

politische Überzeugung ist, aber man kann dach innerhalb der bestimmten Richtung
immer noch belehrend wirken. Man kann neue Gesichtspunkte hereinziehen, den
Kreis der vorhandenen Anschauungen erweitern und so mit einiger Geschicklich-
keit sein Publikum nach und nach ans eine höhere Stufe politischer Klarheit
heben. Wenn ich das nicht dächte, so möchte ich lieber Holz hacken als eine
Zeitung redigiren.

Herr Schmidt war glücklich über den Widerspruch, der ihm Gelegenheit
gab, eine Rede zu halten. Holz hacken, mein verehrter Herr, ist unter Um¬
ständen ein sehr gutes Geschäft, sagte er. Aber was Sie dn von der höhern
Stufe politischer Klarheit sprechen, will mir nicht einleuchten. Meiner Meinung
nach ist gerade eine gewisse Unklarheit in allen Artikeln das beste für eine
Zeitung. Ich lobe mir eine dämmerige, nebelhafte Haltung. Glauben Sie mir,
die Leute mögen nicht einmal ihre eigne Meinung in recht deutlicher Weise aus¬
gedrückt lesen. Es macht sie ängstlich, weil sie dann die Konsequenzen vor
Augen sehen. Kein Weltblatt hat eine bestimmte Richtung. Ich rate Ihnen,
lesen Sie selber, ehe Sie Ihren Leitartikel schreiben, vorher immer den letzten
der Kölnischen Zeitung. Die ist ausgezeichnet redigirt. Sie ist immer in der
Stimmung des Bürgers, der seinen Frühschoppen getrunken hat, angeregt, hoff¬
nungsvoll. Ihr Bestreben, Herr Doktor, muß sein, zwar recht forsch und tapfer
im Ausdruck, aber in der Sache höchst behutsam zu sein. Deshalb auch in
wichtigen Angelegenheiten möglichst zahm und kurz, dagegen in Kleinigkeiten
scharf und ausführlich! Hauptsächlich Vorfälle im Auslande benutzt eine um¬
sichtige Redaktion zu scharfen, gewichtigen und drohend klingenden Artikeln. Das
Publikum fühlt sich in seinem Selbstgefühl gehoben, wenn die Zeitung barsch
und kurz über fremde Regierungen urteilt. Im allgemeinen muß es immer so
aussehen, als ob etwas gesagt würde, während doch in Wirklichkeit nichts gesagt
wird. Hierin liegt die große Kunst der Redaktion. Eine gewisse Feinfühligkeit
für die öffentliche Meinung ist das ganze Geheimnis, und deshalb ist es das
beste, den Artikel so zu halten, daß am Schluß das Gegenteil von dem gesagt
wird, was zu Anfange steht, sodaß ein jeder herauslesen kann, was ihm gefällt.
So zu schreiben, dazu gehört nichts als Geschicklichkeit. Und vor allem, lieber
Doktor, betonen Sie in jeder Nummer den Segen der Selbsthilfe. Denn das
ist nicht nur den Grundsätzen der Gewerbebank gemäß, sondern klingt auch allen
Leuten angenehm, die etwas besitzen. Sie werden dadurch in der Meinung be¬
stärkt, es sei ihr eignes Verdienst, daß es ihnen gut geht. Und wir wolle»
doch leben und müssen uns deshalb mit den Besitzenden gut stehen.

Wenn das Ihr einziger Beweggrund ist, so ist es traurig, sagte Dr. Glock
entrüstet. Aus einem andern Grunde vertrete ich das Prinzip der Selbsthilfe.
Ich sehe in ihm das edelste Pfand der Freiheit, einen Schutzwall gegen die Be¬
vormundung des Staates wie gegen den begehrlichen Aufruhr der gedankenlosen
Masse.


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[0333] Die Grafen von Altcuschwerdt. politische Überzeugung ist, aber man kann dach innerhalb der bestimmten Richtung immer noch belehrend wirken. Man kann neue Gesichtspunkte hereinziehen, den Kreis der vorhandenen Anschauungen erweitern und so mit einiger Geschicklich- keit sein Publikum nach und nach ans eine höhere Stufe politischer Klarheit heben. Wenn ich das nicht dächte, so möchte ich lieber Holz hacken als eine Zeitung redigiren. Herr Schmidt war glücklich über den Widerspruch, der ihm Gelegenheit gab, eine Rede zu halten. Holz hacken, mein verehrter Herr, ist unter Um¬ ständen ein sehr gutes Geschäft, sagte er. Aber was Sie dn von der höhern Stufe politischer Klarheit sprechen, will mir nicht einleuchten. Meiner Meinung nach ist gerade eine gewisse Unklarheit in allen Artikeln das beste für eine Zeitung. Ich lobe mir eine dämmerige, nebelhafte Haltung. Glauben Sie mir, die Leute mögen nicht einmal ihre eigne Meinung in recht deutlicher Weise aus¬ gedrückt lesen. Es macht sie ängstlich, weil sie dann die Konsequenzen vor Augen sehen. Kein Weltblatt hat eine bestimmte Richtung. Ich rate Ihnen, lesen Sie selber, ehe Sie Ihren Leitartikel schreiben, vorher immer den letzten der Kölnischen Zeitung. Die ist ausgezeichnet redigirt. Sie ist immer in der Stimmung des Bürgers, der seinen Frühschoppen getrunken hat, angeregt, hoff¬ nungsvoll. Ihr Bestreben, Herr Doktor, muß sein, zwar recht forsch und tapfer im Ausdruck, aber in der Sache höchst behutsam zu sein. Deshalb auch in wichtigen Angelegenheiten möglichst zahm und kurz, dagegen in Kleinigkeiten scharf und ausführlich! Hauptsächlich Vorfälle im Auslande benutzt eine um¬ sichtige Redaktion zu scharfen, gewichtigen und drohend klingenden Artikeln. Das Publikum fühlt sich in seinem Selbstgefühl gehoben, wenn die Zeitung barsch und kurz über fremde Regierungen urteilt. Im allgemeinen muß es immer so aussehen, als ob etwas gesagt würde, während doch in Wirklichkeit nichts gesagt wird. Hierin liegt die große Kunst der Redaktion. Eine gewisse Feinfühligkeit für die öffentliche Meinung ist das ganze Geheimnis, und deshalb ist es das beste, den Artikel so zu halten, daß am Schluß das Gegenteil von dem gesagt wird, was zu Anfange steht, sodaß ein jeder herauslesen kann, was ihm gefällt. So zu schreiben, dazu gehört nichts als Geschicklichkeit. Und vor allem, lieber Doktor, betonen Sie in jeder Nummer den Segen der Selbsthilfe. Denn das ist nicht nur den Grundsätzen der Gewerbebank gemäß, sondern klingt auch allen Leuten angenehm, die etwas besitzen. Sie werden dadurch in der Meinung be¬ stärkt, es sei ihr eignes Verdienst, daß es ihnen gut geht. Und wir wolle» doch leben und müssen uns deshalb mit den Besitzenden gut stehen. Wenn das Ihr einziger Beweggrund ist, so ist es traurig, sagte Dr. Glock entrüstet. Aus einem andern Grunde vertrete ich das Prinzip der Selbsthilfe. Ich sehe in ihm das edelste Pfand der Freiheit, einen Schutzwall gegen die Be¬ vormundung des Staates wie gegen den begehrlichen Aufruhr der gedankenlosen Masse.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/333>, abgerufen am 23.07.2024.