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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Frug oder fragte?

falscher Analogie! -- abzuwandeln, und umgekehrt. So haben die Kinder
anfangs eine Neigung, alle starken Verba wie schwache zu behandeln, weil die
mannichfachen Vokalverändernngen, die bei den starken im Innern des Stammes
vorgehen, in ihrem Bewußtsein noch nicht festsitzen; sie sagen also genehme für
genommen, geschreibt für geschrieben. Da aber bekanntlich die große Masse der
Menschen ewig Kind bleibt, so erstreckt sich eine gewisse Unsicherheit und eine
gewisse Neigung zur falschen Analogie auch weiter, und sie hat es in einzelne"
Fällen zuwege gebracht, daß falsche Formen, die sich anfangs mir vereinzelt
hervorwagte", allmählich sich über das ganze Volk verbreiteten und bellte all¬
gemein so gebraucht werden, als wenn sie von jeher die richtigen gewesen wären.
Ursprünglich starke Verba sind auf diese Weise endlich zu schwachen, und
schwache zu starke" geworden. So wird z. B. das Verbum laden, welches ehe¬
mals schwach war -- lade, ladete, geladet --, jetzt allgemein wie ein starkes
behandelt: lade, lud, geladen; umgekehrt sind die ursprünglich starken Formen:
pflege, pflag, gepflogen jetzt fast ganz durch die schwachen verdrängt: pflege,
pflegte, gepflegt.

Nun liegen die Dinge doch einfach so. Überall da, wo die falsche Form
im ganzen Volke oder fast im ganzen Volke durchgedrungen ist, wie in den
beiden zuletzt erwähnten Fällen, wäre es vergebliche Liebesmüh, das alte und
richtige noch wiederherstellen zu wollen. In allen Füllen aber, wo der Fehler
noch im Entstehen begriffen und vielleicht noch wieder gut zu machen ist, ist es
doch wohl die Pflicht derer, die da wissen, was richtig ist, die Schwankenden,
Jrregewvrdenen zu belehren und zum Nichtigen zurückzurufen. Solche Fälle
aber liegen vor z. B. bei stecken und fragen. Beides sind schwache Verba;
noch nie ist es jemand eingefallen zu sagen: gestocken oder gefragen; aber schon
beginnen selbst feingebildete Leute zu sagen: Der Schlüssel stak (!), und nun
vollends frug für fragte fängt ja jetzt allgemein an für vornehm zu gelten.

Die Form frug ist lediglich nach der falschen Analogie von trug und schlug
gebildet, und zwar ist der Verbrecher, bei dem sie sich zuerst findet, das Platt¬
deutsche gewesen. Bürger, 1747 in Molmerswende bei Halberstadt geboren,
schreibt schon 1774 in der "Lenore": "Sie frug den Zug wohl auf und ab,
sie frug nach allen Namen." So weit aber hat, trotz mehr als hundertjährigen
Vorhandenseins, die falsche Form noch nicht um sich gegriffen, daß sie nicht noch
von tausenden und abertausenden in unserm Volke als falsch empfunden würde.
Also wieder weg damit!

Gern hätten wir die vorstehende Auseinandersetzung in Verse gebracht, aber
das hätte ja einen ganzen Sonettencyklus gegeben! Will sich Herr v. C. ge¬
nauer über diese Dinge unterrichten, so empfehlen wir ihm das hübsche Buch
von K. G. Umdrehen: Sprachgebrauch und Sprachrichtigkeit im Deutschen (2. Aufl.
Heilbronn, Gebr. Henninger, 1882), wenn er es nicht lieber vorzieht, einmal
eine ordentliche deutsche Grammatik zur Hand zu nehmen.




Frug oder fragte?

falscher Analogie! — abzuwandeln, und umgekehrt. So haben die Kinder
anfangs eine Neigung, alle starken Verba wie schwache zu behandeln, weil die
mannichfachen Vokalverändernngen, die bei den starken im Innern des Stammes
vorgehen, in ihrem Bewußtsein noch nicht festsitzen; sie sagen also genehme für
genommen, geschreibt für geschrieben. Da aber bekanntlich die große Masse der
Menschen ewig Kind bleibt, so erstreckt sich eine gewisse Unsicherheit und eine
gewisse Neigung zur falschen Analogie auch weiter, und sie hat es in einzelne»
Fällen zuwege gebracht, daß falsche Formen, die sich anfangs mir vereinzelt
hervorwagte», allmählich sich über das ganze Volk verbreiteten und bellte all¬
gemein so gebraucht werden, als wenn sie von jeher die richtigen gewesen wären.
Ursprünglich starke Verba sind auf diese Weise endlich zu schwachen, und
schwache zu starke» geworden. So wird z. B. das Verbum laden, welches ehe¬
mals schwach war — lade, ladete, geladet —, jetzt allgemein wie ein starkes
behandelt: lade, lud, geladen; umgekehrt sind die ursprünglich starken Formen:
pflege, pflag, gepflogen jetzt fast ganz durch die schwachen verdrängt: pflege,
pflegte, gepflegt.

Nun liegen die Dinge doch einfach so. Überall da, wo die falsche Form
im ganzen Volke oder fast im ganzen Volke durchgedrungen ist, wie in den
beiden zuletzt erwähnten Fällen, wäre es vergebliche Liebesmüh, das alte und
richtige noch wiederherstellen zu wollen. In allen Füllen aber, wo der Fehler
noch im Entstehen begriffen und vielleicht noch wieder gut zu machen ist, ist es
doch wohl die Pflicht derer, die da wissen, was richtig ist, die Schwankenden,
Jrregewvrdenen zu belehren und zum Nichtigen zurückzurufen. Solche Fälle
aber liegen vor z. B. bei stecken und fragen. Beides sind schwache Verba;
noch nie ist es jemand eingefallen zu sagen: gestocken oder gefragen; aber schon
beginnen selbst feingebildete Leute zu sagen: Der Schlüssel stak (!), und nun
vollends frug für fragte fängt ja jetzt allgemein an für vornehm zu gelten.

Die Form frug ist lediglich nach der falschen Analogie von trug und schlug
gebildet, und zwar ist der Verbrecher, bei dem sie sich zuerst findet, das Platt¬
deutsche gewesen. Bürger, 1747 in Molmerswende bei Halberstadt geboren,
schreibt schon 1774 in der „Lenore": „Sie frug den Zug wohl auf und ab,
sie frug nach allen Namen." So weit aber hat, trotz mehr als hundertjährigen
Vorhandenseins, die falsche Form noch nicht um sich gegriffen, daß sie nicht noch
von tausenden und abertausenden in unserm Volke als falsch empfunden würde.
Also wieder weg damit!

Gern hätten wir die vorstehende Auseinandersetzung in Verse gebracht, aber
das hätte ja einen ganzen Sonettencyklus gegeben! Will sich Herr v. C. ge¬
nauer über diese Dinge unterrichten, so empfehlen wir ihm das hübsche Buch
von K. G. Umdrehen: Sprachgebrauch und Sprachrichtigkeit im Deutschen (2. Aufl.
Heilbronn, Gebr. Henninger, 1882), wenn er es nicht lieber vorzieht, einmal
eine ordentliche deutsche Grammatik zur Hand zu nehmen.




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[0031] Frug oder fragte? falscher Analogie! — abzuwandeln, und umgekehrt. So haben die Kinder anfangs eine Neigung, alle starken Verba wie schwache zu behandeln, weil die mannichfachen Vokalverändernngen, die bei den starken im Innern des Stammes vorgehen, in ihrem Bewußtsein noch nicht festsitzen; sie sagen also genehme für genommen, geschreibt für geschrieben. Da aber bekanntlich die große Masse der Menschen ewig Kind bleibt, so erstreckt sich eine gewisse Unsicherheit und eine gewisse Neigung zur falschen Analogie auch weiter, und sie hat es in einzelne» Fällen zuwege gebracht, daß falsche Formen, die sich anfangs mir vereinzelt hervorwagte», allmählich sich über das ganze Volk verbreiteten und bellte all¬ gemein so gebraucht werden, als wenn sie von jeher die richtigen gewesen wären. Ursprünglich starke Verba sind auf diese Weise endlich zu schwachen, und schwache zu starke» geworden. So wird z. B. das Verbum laden, welches ehe¬ mals schwach war — lade, ladete, geladet —, jetzt allgemein wie ein starkes behandelt: lade, lud, geladen; umgekehrt sind die ursprünglich starken Formen: pflege, pflag, gepflogen jetzt fast ganz durch die schwachen verdrängt: pflege, pflegte, gepflegt. Nun liegen die Dinge doch einfach so. Überall da, wo die falsche Form im ganzen Volke oder fast im ganzen Volke durchgedrungen ist, wie in den beiden zuletzt erwähnten Fällen, wäre es vergebliche Liebesmüh, das alte und richtige noch wiederherstellen zu wollen. In allen Füllen aber, wo der Fehler noch im Entstehen begriffen und vielleicht noch wieder gut zu machen ist, ist es doch wohl die Pflicht derer, die da wissen, was richtig ist, die Schwankenden, Jrregewvrdenen zu belehren und zum Nichtigen zurückzurufen. Solche Fälle aber liegen vor z. B. bei stecken und fragen. Beides sind schwache Verba; noch nie ist es jemand eingefallen zu sagen: gestocken oder gefragen; aber schon beginnen selbst feingebildete Leute zu sagen: Der Schlüssel stak (!), und nun vollends frug für fragte fängt ja jetzt allgemein an für vornehm zu gelten. Die Form frug ist lediglich nach der falschen Analogie von trug und schlug gebildet, und zwar ist der Verbrecher, bei dem sie sich zuerst findet, das Platt¬ deutsche gewesen. Bürger, 1747 in Molmerswende bei Halberstadt geboren, schreibt schon 1774 in der „Lenore": „Sie frug den Zug wohl auf und ab, sie frug nach allen Namen." So weit aber hat, trotz mehr als hundertjährigen Vorhandenseins, die falsche Form noch nicht um sich gegriffen, daß sie nicht noch von tausenden und abertausenden in unserm Volke als falsch empfunden würde. Also wieder weg damit! Gern hätten wir die vorstehende Auseinandersetzung in Verse gebracht, aber das hätte ja einen ganzen Sonettencyklus gegeben! Will sich Herr v. C. ge¬ nauer über diese Dinge unterrichten, so empfehlen wir ihm das hübsche Buch von K. G. Umdrehen: Sprachgebrauch und Sprachrichtigkeit im Deutschen (2. Aufl. Heilbronn, Gebr. Henninger, 1882), wenn er es nicht lieber vorzieht, einmal eine ordentliche deutsche Grammatik zur Hand zu nehmen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/31>, abgerufen am 23.07.2024.