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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Der zweite Pariser Rrach.

alten schon einmal verkrachten Banken wieder auf das fürchterlichste "vergrößert,"
indem man die Aktien derselben maßlos vermehrte, lediglich um "mehr Material"
für die Agiotage zu besitzen. Man gründete überall neue Banken in ungeheurer
Anzahl, umgab dieselbe mit neuem Brimborium, brachte dieselben "mit der Arbeit
in nächste Verbindung," selbstverständlich nur zum Scheine und lediglich des
Namens wegen, köderte dadurch das Publikum wirklich und pumpte nun ver¬
mittelst dieser Banken und bankähnlichen Anstalten wieder Milliarden aus dem
kapitalbesitzcnden Publikum heraus. Im Anfang hatten die Faiseurs wenigstens
nur ausnahmsweise alles, was ihnen an Kapital bei diesen Banken anvertraut
worden war, gestohlen; einen schäbigen Rest zu lassen, erschien noch als "An-
standspflicht." Wenig mehr als zehn Jahre genügten, um auch den letzten
Schein von Anstand bei unsern Agioteurs verschwinden zu lassen. Der grandiose
Diebstahl, der unter dem Titel "Amerikanische Eisenbahnbonds" von der Börse
aus verübt wurde, ließ keinen Zweifel, daß unsre Gesetzgebung thatsächlich für
große Diebe keinen Strick hat, und das Aktiengesetz des Herrn Laster wurde
auch in Deutschland zum Dietrich, selbst die festeste Privatkasse zu öffnen. In
Frankreich freilich hatte man schon zur Zeit des ersten Eisenbahnschwindels den
furchtbarsten Vorwurf auch gegen die Gerichte, jeder andre könne auf ihrem
Parket fallen, nur nicht der große Börsenschwindler, dessen Agiotage eine glück¬
liche sei; nur wenn einer an der Börse schon gestürzt sei, dann halte es die
Justiz für eine Ehre, ihn nachrichterlich abzuthun. Dies wurde in Flugschriften
jener Zeit in heftigster Sprache zum Ausdruck gebracht, und es fehlt wirklich
nicht an Thatsachen, welche für solche Anklagen eine Grundlage liefern
könnten.

Binnen wenigen Jahren wuchsen jene Börsenuntcrnehmen, welche keinen
andern Zweck hatten, als zum Differenzinstrument zwischen dem Beutel des
Publikums und dem der "Bankiers" zu dienen, ins Ungeheuerliche. Sie
sind geradezu unzählbar. Wenn man glaubt, sie sämtlich zusammenge-
funden zu haben, so finden sich doch immer noch einige verborgen. Nur
allein in Wien verkrachten seit Mai 1873 nicht weniger als Sö Bankinstitute
mit einem Kapital von 233 Millionen Gulden, wovon mehr als 150 Millionen
Gulden vollständig verloren waren. Dies bezeichnet aber nur den Verlust an
den baaren Einzahlungen auf das Nominaltapital. Der weit höhere Verlust
am Agio bleibt außer Betracht. Und diesen ganzen Betrag kann man bezeichnen
als dem Publikum direkt gestohlen, denn hinter ihm steht keinerlei wirtschaftliche
Schöpfung. Hier handelt sichs aber nur um einen ganz kleinen Ausschnitt aus
dem Treiben der Agiotage, auf deren Gesamtumfang an den europäischen Börsen
allenfalls geschlossen werden kann, wenn man erfährt, daß in dem Zeitraume
vom Anfang des Jahres 1870 bis zu Mitte des Jahres 1873 allein in der
österreichisch-ungarischen Monarchie nicht weniger als 507 Börsenunternehmungen


Grmzbowi I. 1883. "8
Der zweite Pariser Rrach.

alten schon einmal verkrachten Banken wieder auf das fürchterlichste „vergrößert,"
indem man die Aktien derselben maßlos vermehrte, lediglich um „mehr Material"
für die Agiotage zu besitzen. Man gründete überall neue Banken in ungeheurer
Anzahl, umgab dieselbe mit neuem Brimborium, brachte dieselben „mit der Arbeit
in nächste Verbindung," selbstverständlich nur zum Scheine und lediglich des
Namens wegen, köderte dadurch das Publikum wirklich und pumpte nun ver¬
mittelst dieser Banken und bankähnlichen Anstalten wieder Milliarden aus dem
kapitalbesitzcnden Publikum heraus. Im Anfang hatten die Faiseurs wenigstens
nur ausnahmsweise alles, was ihnen an Kapital bei diesen Banken anvertraut
worden war, gestohlen; einen schäbigen Rest zu lassen, erschien noch als „An-
standspflicht." Wenig mehr als zehn Jahre genügten, um auch den letzten
Schein von Anstand bei unsern Agioteurs verschwinden zu lassen. Der grandiose
Diebstahl, der unter dem Titel „Amerikanische Eisenbahnbonds" von der Börse
aus verübt wurde, ließ keinen Zweifel, daß unsre Gesetzgebung thatsächlich für
große Diebe keinen Strick hat, und das Aktiengesetz des Herrn Laster wurde
auch in Deutschland zum Dietrich, selbst die festeste Privatkasse zu öffnen. In
Frankreich freilich hatte man schon zur Zeit des ersten Eisenbahnschwindels den
furchtbarsten Vorwurf auch gegen die Gerichte, jeder andre könne auf ihrem
Parket fallen, nur nicht der große Börsenschwindler, dessen Agiotage eine glück¬
liche sei; nur wenn einer an der Börse schon gestürzt sei, dann halte es die
Justiz für eine Ehre, ihn nachrichterlich abzuthun. Dies wurde in Flugschriften
jener Zeit in heftigster Sprache zum Ausdruck gebracht, und es fehlt wirklich
nicht an Thatsachen, welche für solche Anklagen eine Grundlage liefern
könnten.

Binnen wenigen Jahren wuchsen jene Börsenuntcrnehmen, welche keinen
andern Zweck hatten, als zum Differenzinstrument zwischen dem Beutel des
Publikums und dem der „Bankiers" zu dienen, ins Ungeheuerliche. Sie
sind geradezu unzählbar. Wenn man glaubt, sie sämtlich zusammenge-
funden zu haben, so finden sich doch immer noch einige verborgen. Nur
allein in Wien verkrachten seit Mai 1873 nicht weniger als Sö Bankinstitute
mit einem Kapital von 233 Millionen Gulden, wovon mehr als 150 Millionen
Gulden vollständig verloren waren. Dies bezeichnet aber nur den Verlust an
den baaren Einzahlungen auf das Nominaltapital. Der weit höhere Verlust
am Agio bleibt außer Betracht. Und diesen ganzen Betrag kann man bezeichnen
als dem Publikum direkt gestohlen, denn hinter ihm steht keinerlei wirtschaftliche
Schöpfung. Hier handelt sichs aber nur um einen ganz kleinen Ausschnitt aus
dem Treiben der Agiotage, auf deren Gesamtumfang an den europäischen Börsen
allenfalls geschlossen werden kann, wenn man erfährt, daß in dem Zeitraume
vom Anfang des Jahres 1870 bis zu Mitte des Jahres 1873 allein in der
österreichisch-ungarischen Monarchie nicht weniger als 507 Börsenunternehmungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/305>, abgerufen am 23.07.2024.