Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Harmonie der Farben und der Töne.

driger stehenden, unter sich aber ebenfalls relativ gleichwertigen komplementären
verbunden sind: es sind dies die sechs einfachen Farben des Regenbogens. Anders
im Vierklang, welcher durch vier im Farbenkreise an den Spitzen zweier sich recht¬
winklig schneidenden Durchmesser stehende Farben, also z. B, Rot, Grün, Gelb¬
orange, Blauvivlett oder Gelb, Violett, Rotorange, Blaugrün oder Blau, Orange,
Rotviolett, Gelbgrün gebildet wird. In diesen letztern Verbindungen reprüsentiren
die dazu beitragenden Farben drei verschiedene Wertstufen, indem immer eine
Urfarbe mit ihrer komplementären und außerdem mit zwei Mischfarben zu¬
sammengestellt ist. Aber gerade in dieser Ungleichwertigkeit, welche keineswegs
die harmonische Wirkung ausschließt, liegt infolge der größern Mannichfaltigkeit
ein höherer Reiz für die ästhetische Empfindung, und außerdem in praktischer
Beziehung, d. h. nicht bloß hinsichtlich der Koloristik in der Malerei, sondern
auch hinsichtlich des allgemeinen ästhetischen Bedürfnisses, z. B. bei Auswahl
von Farben sür Kleidung, Zimmerdekoration, Teppiche u. s. s., ein sehr wesent¬
liches Moment.

Diese Beispiele mögen genügen, um zu zeigen, daß die angebliche Analogie
zwischen der Harmonie der Farben und der Töne nur in den Köpfen unklarer
Phantasten vorhanden ist, die sich nicht die Mühe geben, die spezifische Natur
beider Elemente näher zu untersuchen.*) Zum Überfluß will ich noch darauf hin¬
weisen, daß der Unterschied zwischen der Farbenskala und der Tonleiter sich auch
schon darin kundgiebt, daß, während in der letztern jeder Ton als Grundton
und demgemäß auch als Terz, Quinte u. s. s. fungiren kann, woraus bekanntlich
die verschiednen Tonarten (Laur, (läur, Mui u. s. f.) sich entwickeln, die Farben
der Farbenskala durchaus konstant bleiben, sodaß hier von Tonarten in gleichem
Sinne garnicht die Rede sein kann, sowie daß, wie schon erwähnt, die Be¬
zeichnung Oktave, d. h. derselbe Ton, aber mit doppelter oder halber Schwin¬
gungszahl, in der Farbenskala keinen Sinn hat. Endlich ist noch hinsichtlich
der Bezeichnung "Klangfarbe" (in der Musik) und "Farbenton" (in der Malerei),
worin eine Übertragung von Elementen der einen Sphäre auf die andre statt¬
findet, die ebenfalls Anlaß zur Behauptung einer innern Verwandtschaft zwischen
dem Farben- und dem Tongebiet gegeben hat, zu bemerken, daß auch hierin
vielmehr ein auffälliger Beweis für ihre Differenz zu finden ist. Während
nämlich der Ausdruck Ton in der Malerei die Bedeutung hat, daß die konstante
Qualität der Farbe oder die sogenannte Lvkalfarbe in Fluß gebracht und
gleichsam idealisirt, d. h. vergeistigt wird, bezeichnet der Ausdruck Klangfarbe
in der Musik das gerade Gegenteil, indem hier Farbe eine lediglich materielle
Bedeutung besitzt, der Ton also vielmehr entgeistigt wird. Denn die Klang-



*) Die Analogie wird nicht durch die Schwingungszahlen der Wellen, sondern vielmehr
durch die Verstaudcsfunktiouen, welche die Licht- wie die Tonempfindungen arripircu her¬
,
D. Red. vorgerufen.
Die Harmonie der Farben und der Töne.

driger stehenden, unter sich aber ebenfalls relativ gleichwertigen komplementären
verbunden sind: es sind dies die sechs einfachen Farben des Regenbogens. Anders
im Vierklang, welcher durch vier im Farbenkreise an den Spitzen zweier sich recht¬
winklig schneidenden Durchmesser stehende Farben, also z. B, Rot, Grün, Gelb¬
orange, Blauvivlett oder Gelb, Violett, Rotorange, Blaugrün oder Blau, Orange,
Rotviolett, Gelbgrün gebildet wird. In diesen letztern Verbindungen reprüsentiren
die dazu beitragenden Farben drei verschiedene Wertstufen, indem immer eine
Urfarbe mit ihrer komplementären und außerdem mit zwei Mischfarben zu¬
sammengestellt ist. Aber gerade in dieser Ungleichwertigkeit, welche keineswegs
die harmonische Wirkung ausschließt, liegt infolge der größern Mannichfaltigkeit
ein höherer Reiz für die ästhetische Empfindung, und außerdem in praktischer
Beziehung, d. h. nicht bloß hinsichtlich der Koloristik in der Malerei, sondern
auch hinsichtlich des allgemeinen ästhetischen Bedürfnisses, z. B. bei Auswahl
von Farben sür Kleidung, Zimmerdekoration, Teppiche u. s. s., ein sehr wesent¬
liches Moment.

Diese Beispiele mögen genügen, um zu zeigen, daß die angebliche Analogie
zwischen der Harmonie der Farben und der Töne nur in den Köpfen unklarer
Phantasten vorhanden ist, die sich nicht die Mühe geben, die spezifische Natur
beider Elemente näher zu untersuchen.*) Zum Überfluß will ich noch darauf hin¬
weisen, daß der Unterschied zwischen der Farbenskala und der Tonleiter sich auch
schon darin kundgiebt, daß, während in der letztern jeder Ton als Grundton
und demgemäß auch als Terz, Quinte u. s. s. fungiren kann, woraus bekanntlich
die verschiednen Tonarten (Laur, (läur, Mui u. s. f.) sich entwickeln, die Farben
der Farbenskala durchaus konstant bleiben, sodaß hier von Tonarten in gleichem
Sinne garnicht die Rede sein kann, sowie daß, wie schon erwähnt, die Be¬
zeichnung Oktave, d. h. derselbe Ton, aber mit doppelter oder halber Schwin¬
gungszahl, in der Farbenskala keinen Sinn hat. Endlich ist noch hinsichtlich
der Bezeichnung „Klangfarbe" (in der Musik) und „Farbenton" (in der Malerei),
worin eine Übertragung von Elementen der einen Sphäre auf die andre statt¬
findet, die ebenfalls Anlaß zur Behauptung einer innern Verwandtschaft zwischen
dem Farben- und dem Tongebiet gegeben hat, zu bemerken, daß auch hierin
vielmehr ein auffälliger Beweis für ihre Differenz zu finden ist. Während
nämlich der Ausdruck Ton in der Malerei die Bedeutung hat, daß die konstante
Qualität der Farbe oder die sogenannte Lvkalfarbe in Fluß gebracht und
gleichsam idealisirt, d. h. vergeistigt wird, bezeichnet der Ausdruck Klangfarbe
in der Musik das gerade Gegenteil, indem hier Farbe eine lediglich materielle
Bedeutung besitzt, der Ton also vielmehr entgeistigt wird. Denn die Klang-



*) Die Analogie wird nicht durch die Schwingungszahlen der Wellen, sondern vielmehr
durch die Verstaudcsfunktiouen, welche die Licht- wie die Tonempfindungen arripircu her¬
,
D. Red. vorgerufen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0271" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/151852"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Harmonie der Farben und der Töne.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_873" prev="#ID_872"> driger stehenden, unter sich aber ebenfalls relativ gleichwertigen komplementären<lb/>
verbunden sind: es sind dies die sechs einfachen Farben des Regenbogens. Anders<lb/>
im Vierklang, welcher durch vier im Farbenkreise an den Spitzen zweier sich recht¬<lb/>
winklig schneidenden Durchmesser stehende Farben, also z. B, Rot, Grün, Gelb¬<lb/>
orange, Blauvivlett oder Gelb, Violett, Rotorange, Blaugrün oder Blau, Orange,<lb/>
Rotviolett, Gelbgrün gebildet wird. In diesen letztern Verbindungen reprüsentiren<lb/>
die dazu beitragenden Farben drei verschiedene Wertstufen, indem immer eine<lb/>
Urfarbe mit ihrer komplementären und außerdem mit zwei Mischfarben zu¬<lb/>
sammengestellt ist. Aber gerade in dieser Ungleichwertigkeit, welche keineswegs<lb/>
die harmonische Wirkung ausschließt, liegt infolge der größern Mannichfaltigkeit<lb/>
ein höherer Reiz für die ästhetische Empfindung, und außerdem in praktischer<lb/>
Beziehung, d. h. nicht bloß hinsichtlich der Koloristik in der Malerei, sondern<lb/>
auch hinsichtlich des allgemeinen ästhetischen Bedürfnisses, z. B. bei Auswahl<lb/>
von Farben sür Kleidung, Zimmerdekoration, Teppiche u. s. s., ein sehr wesent¬<lb/>
liches Moment.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_874" next="#ID_875"> Diese Beispiele mögen genügen, um zu zeigen, daß die angebliche Analogie<lb/>
zwischen der Harmonie der Farben und der Töne nur in den Köpfen unklarer<lb/>
Phantasten vorhanden ist, die sich nicht die Mühe geben, die spezifische Natur<lb/>
beider Elemente näher zu untersuchen.*) Zum Überfluß will ich noch darauf hin¬<lb/>
weisen, daß der Unterschied zwischen der Farbenskala und der Tonleiter sich auch<lb/>
schon darin kundgiebt, daß, während in der letztern jeder Ton als Grundton<lb/>
und demgemäß auch als Terz, Quinte u. s. s. fungiren kann, woraus bekanntlich<lb/>
die verschiednen Tonarten (Laur, (läur, Mui u. s. f.) sich entwickeln, die Farben<lb/>
der Farbenskala durchaus konstant bleiben, sodaß hier von Tonarten in gleichem<lb/>
Sinne garnicht die Rede sein kann, sowie daß, wie schon erwähnt, die Be¬<lb/>
zeichnung Oktave, d. h. derselbe Ton, aber mit doppelter oder halber Schwin¬<lb/>
gungszahl, in der Farbenskala keinen Sinn hat. Endlich ist noch hinsichtlich<lb/>
der Bezeichnung &#x201E;Klangfarbe" (in der Musik) und &#x201E;Farbenton" (in der Malerei),<lb/>
worin eine Übertragung von Elementen der einen Sphäre auf die andre statt¬<lb/>
findet, die ebenfalls Anlaß zur Behauptung einer innern Verwandtschaft zwischen<lb/>
dem Farben- und dem Tongebiet gegeben hat, zu bemerken, daß auch hierin<lb/>
vielmehr ein auffälliger Beweis für ihre Differenz zu finden ist. Während<lb/>
nämlich der Ausdruck Ton in der Malerei die Bedeutung hat, daß die konstante<lb/>
Qualität der Farbe oder die sogenannte Lvkalfarbe in Fluß gebracht und<lb/>
gleichsam idealisirt, d. h. vergeistigt wird, bezeichnet der Ausdruck Klangfarbe<lb/>
in der Musik das gerade Gegenteil, indem hier Farbe eine lediglich materielle<lb/>
Bedeutung besitzt, der Ton also vielmehr entgeistigt wird. Denn die Klang-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_31" place="foot"> *) Die Analogie wird nicht durch die Schwingungszahlen der Wellen, sondern vielmehr<lb/>
durch die Verstaudcsfunktiouen, welche die Licht- wie die Tonempfindungen arripircu her¬<lb/><note type="byline"> ,<lb/>
D. Red.</note> vorgerufen. </note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0271] Die Harmonie der Farben und der Töne. driger stehenden, unter sich aber ebenfalls relativ gleichwertigen komplementären verbunden sind: es sind dies die sechs einfachen Farben des Regenbogens. Anders im Vierklang, welcher durch vier im Farbenkreise an den Spitzen zweier sich recht¬ winklig schneidenden Durchmesser stehende Farben, also z. B, Rot, Grün, Gelb¬ orange, Blauvivlett oder Gelb, Violett, Rotorange, Blaugrün oder Blau, Orange, Rotviolett, Gelbgrün gebildet wird. In diesen letztern Verbindungen reprüsentiren die dazu beitragenden Farben drei verschiedene Wertstufen, indem immer eine Urfarbe mit ihrer komplementären und außerdem mit zwei Mischfarben zu¬ sammengestellt ist. Aber gerade in dieser Ungleichwertigkeit, welche keineswegs die harmonische Wirkung ausschließt, liegt infolge der größern Mannichfaltigkeit ein höherer Reiz für die ästhetische Empfindung, und außerdem in praktischer Beziehung, d. h. nicht bloß hinsichtlich der Koloristik in der Malerei, sondern auch hinsichtlich des allgemeinen ästhetischen Bedürfnisses, z. B. bei Auswahl von Farben sür Kleidung, Zimmerdekoration, Teppiche u. s. s., ein sehr wesent¬ liches Moment. Diese Beispiele mögen genügen, um zu zeigen, daß die angebliche Analogie zwischen der Harmonie der Farben und der Töne nur in den Köpfen unklarer Phantasten vorhanden ist, die sich nicht die Mühe geben, die spezifische Natur beider Elemente näher zu untersuchen.*) Zum Überfluß will ich noch darauf hin¬ weisen, daß der Unterschied zwischen der Farbenskala und der Tonleiter sich auch schon darin kundgiebt, daß, während in der letztern jeder Ton als Grundton und demgemäß auch als Terz, Quinte u. s. s. fungiren kann, woraus bekanntlich die verschiednen Tonarten (Laur, (läur, Mui u. s. f.) sich entwickeln, die Farben der Farbenskala durchaus konstant bleiben, sodaß hier von Tonarten in gleichem Sinne garnicht die Rede sein kann, sowie daß, wie schon erwähnt, die Be¬ zeichnung Oktave, d. h. derselbe Ton, aber mit doppelter oder halber Schwin¬ gungszahl, in der Farbenskala keinen Sinn hat. Endlich ist noch hinsichtlich der Bezeichnung „Klangfarbe" (in der Musik) und „Farbenton" (in der Malerei), worin eine Übertragung von Elementen der einen Sphäre auf die andre statt¬ findet, die ebenfalls Anlaß zur Behauptung einer innern Verwandtschaft zwischen dem Farben- und dem Tongebiet gegeben hat, zu bemerken, daß auch hierin vielmehr ein auffälliger Beweis für ihre Differenz zu finden ist. Während nämlich der Ausdruck Ton in der Malerei die Bedeutung hat, daß die konstante Qualität der Farbe oder die sogenannte Lvkalfarbe in Fluß gebracht und gleichsam idealisirt, d. h. vergeistigt wird, bezeichnet der Ausdruck Klangfarbe in der Musik das gerade Gegenteil, indem hier Farbe eine lediglich materielle Bedeutung besitzt, der Ton also vielmehr entgeistigt wird. Denn die Klang- *) Die Analogie wird nicht durch die Schwingungszahlen der Wellen, sondern vielmehr durch die Verstaudcsfunktiouen, welche die Licht- wie die Tonempfindungen arripircu her¬ , D. Red. vorgerufen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/271
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/271>, abgerufen am 23.07.2024.