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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Harmonie der Farben und der Töne.

Farben- wie Tonverbindungen angewendet wird. Im musikalischen Mord bildet
bekanntlich der Grundton mit der großen Terz und der Quinte, also z. B,
den harten Dreiklang oder sogenannten Durakkord, welcher durch die Ver¬
tauschung eines einzigen Tones mit einem andern, nämlich der großen Terz mit
der kleinen, sich in den weichen Dreiklang oder den Mollakkord verwandelt. In
der Farbenskala dagegen würde, wenn beispielsweise Gelb, Rot, Blau, d, h, die
drei reinen Urfarben, den Durakkord repräsentirten, dnrch Vertauschung der
großen Terz (Not) mit der kleinen (etwa Rotorange; denn dies liegt im Ver¬
hältniß zu Rot dem Grundton Gelb um ebensoviel näher wie dem L im
Verhältnis zu L) kein Mollakkord, sondern lediglich Disharmonie entstehen,
weil der Übergang von Dur zu Moll in der Farbenskala eine Verschiebung
sämtlicher den Akkord bildenden Töne bedingt. Aus dem Durakkord Gelb, Rot,
Blau würde daher ein Mollakkord nur durch eine Verschiebung dieser Farben
entweder bis zu ihren Komplementen Orange, Grün, Violett oder (noch "mol¬
liger") bis zu den Mischfarben Rotorange, Gelbgrün, Blauviolctt, oder auch
Gelborange, Blaugrün, Rotviolett erzielt werde". Der Ausdruck "molliger" ist
hier nicht etwa Spaßes halber gebraucht, sondern ganz ernsthaft gemeint, denn
es drückt sich darin ebenfalls die eine wesentliche Differenz enthaltende That¬
sache aus, daß die Bezeichnung Moll in der Farbenskala eine nur relative,
d. h. gradweise sich steigernde Bedeutung besitzt, während sie in der musikalischen
Skala von festem, durchaus konstanten Wert ist.

Es herrscht nämlich für alle harmonischen Farbenverbindungen das Gesetz,
daß nur diejenigen Farben eine vollkommen harmonische Verbindung darstellen,
in denen der ganze Fnrbenkreis oder, was dasselbe ist, die drei Urfarben --
sei es unmittelbar, sei es durch Mischung -- repräsentirt sind. Dies Prinzip
liegt seinem Wesen nach im Begriff der Harmonie selbst. Harmonie wird
gewöhnlich in den ästhetischen Lehrbüchern schlechthin als "Einheit in der
Mannichfaltigkeit" definirt. Allein da weder jede zu einer Einheit zusammen¬
gefaßte Mannichfaltigkeit, noch jede in sich mannichfaltige Einheit schon eine
lückenlose Verbindung organisch gegliederter Teile darstellt, so besagt jene De¬
finition sowohl zu viel wie zu wenig. Das Wesen der Harmonie liegt vielmehr
einerseits in der Ganzheit, andrerseits eben in der organischen Gliederung der unter
sich verschiednen Teile. Werden z. B. die sämtlichen Teile einer in Stücke zer¬
schlagenen Statue ungeordnet mit einander verbunden, so ist zwar eine Einheit
mannichfaltiger Teile, aber weder eine Ganzheit noch eine organische Gliederung
vorhanden; fehlen wesentliche Teile davon, bei sonst richtiger Anordnung der
übrigen, so findet zwar organische Gliederung der vorhandenen, aber keine Ganz¬
heit statt. Diese beiden Momente also, Ganzheit und innerhalb derselben or¬
ganische Gliederung der Teile, d. h. gesetzmäßige Anordnung derselben, sind für
den Begriff der Harmonie wesentlich. Damit ist aber hinsichtlich der harmo¬
nischen Farbenverbindungen der Satz begründet, daß nicht schon solche Farben,


Die Harmonie der Farben und der Töne.

Farben- wie Tonverbindungen angewendet wird. Im musikalischen Mord bildet
bekanntlich der Grundton mit der großen Terz und der Quinte, also z. B,
den harten Dreiklang oder sogenannten Durakkord, welcher durch die Ver¬
tauschung eines einzigen Tones mit einem andern, nämlich der großen Terz mit
der kleinen, sich in den weichen Dreiklang oder den Mollakkord verwandelt. In
der Farbenskala dagegen würde, wenn beispielsweise Gelb, Rot, Blau, d, h, die
drei reinen Urfarben, den Durakkord repräsentirten, dnrch Vertauschung der
großen Terz (Not) mit der kleinen (etwa Rotorange; denn dies liegt im Ver¬
hältniß zu Rot dem Grundton Gelb um ebensoviel näher wie dem L im
Verhältnis zu L) kein Mollakkord, sondern lediglich Disharmonie entstehen,
weil der Übergang von Dur zu Moll in der Farbenskala eine Verschiebung
sämtlicher den Akkord bildenden Töne bedingt. Aus dem Durakkord Gelb, Rot,
Blau würde daher ein Mollakkord nur durch eine Verschiebung dieser Farben
entweder bis zu ihren Komplementen Orange, Grün, Violett oder (noch „mol¬
liger") bis zu den Mischfarben Rotorange, Gelbgrün, Blauviolctt, oder auch
Gelborange, Blaugrün, Rotviolett erzielt werde». Der Ausdruck „molliger" ist
hier nicht etwa Spaßes halber gebraucht, sondern ganz ernsthaft gemeint, denn
es drückt sich darin ebenfalls die eine wesentliche Differenz enthaltende That¬
sache aus, daß die Bezeichnung Moll in der Farbenskala eine nur relative,
d. h. gradweise sich steigernde Bedeutung besitzt, während sie in der musikalischen
Skala von festem, durchaus konstanten Wert ist.

Es herrscht nämlich für alle harmonischen Farbenverbindungen das Gesetz,
daß nur diejenigen Farben eine vollkommen harmonische Verbindung darstellen,
in denen der ganze Fnrbenkreis oder, was dasselbe ist, die drei Urfarben —
sei es unmittelbar, sei es durch Mischung — repräsentirt sind. Dies Prinzip
liegt seinem Wesen nach im Begriff der Harmonie selbst. Harmonie wird
gewöhnlich in den ästhetischen Lehrbüchern schlechthin als „Einheit in der
Mannichfaltigkeit" definirt. Allein da weder jede zu einer Einheit zusammen¬
gefaßte Mannichfaltigkeit, noch jede in sich mannichfaltige Einheit schon eine
lückenlose Verbindung organisch gegliederter Teile darstellt, so besagt jene De¬
finition sowohl zu viel wie zu wenig. Das Wesen der Harmonie liegt vielmehr
einerseits in der Ganzheit, andrerseits eben in der organischen Gliederung der unter
sich verschiednen Teile. Werden z. B. die sämtlichen Teile einer in Stücke zer¬
schlagenen Statue ungeordnet mit einander verbunden, so ist zwar eine Einheit
mannichfaltiger Teile, aber weder eine Ganzheit noch eine organische Gliederung
vorhanden; fehlen wesentliche Teile davon, bei sonst richtiger Anordnung der
übrigen, so findet zwar organische Gliederung der vorhandenen, aber keine Ganz¬
heit statt. Diese beiden Momente also, Ganzheit und innerhalb derselben or¬
ganische Gliederung der Teile, d. h. gesetzmäßige Anordnung derselben, sind für
den Begriff der Harmonie wesentlich. Damit ist aber hinsichtlich der harmo¬
nischen Farbenverbindungen der Satz begründet, daß nicht schon solche Farben,


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[0269] Die Harmonie der Farben und der Töne. Farben- wie Tonverbindungen angewendet wird. Im musikalischen Mord bildet bekanntlich der Grundton mit der großen Terz und der Quinte, also z. B, den harten Dreiklang oder sogenannten Durakkord, welcher durch die Ver¬ tauschung eines einzigen Tones mit einem andern, nämlich der großen Terz mit der kleinen, sich in den weichen Dreiklang oder den Mollakkord verwandelt. In der Farbenskala dagegen würde, wenn beispielsweise Gelb, Rot, Blau, d, h, die drei reinen Urfarben, den Durakkord repräsentirten, dnrch Vertauschung der großen Terz (Not) mit der kleinen (etwa Rotorange; denn dies liegt im Ver¬ hältniß zu Rot dem Grundton Gelb um ebensoviel näher wie dem L im Verhältnis zu L) kein Mollakkord, sondern lediglich Disharmonie entstehen, weil der Übergang von Dur zu Moll in der Farbenskala eine Verschiebung sämtlicher den Akkord bildenden Töne bedingt. Aus dem Durakkord Gelb, Rot, Blau würde daher ein Mollakkord nur durch eine Verschiebung dieser Farben entweder bis zu ihren Komplementen Orange, Grün, Violett oder (noch „mol¬ liger") bis zu den Mischfarben Rotorange, Gelbgrün, Blauviolctt, oder auch Gelborange, Blaugrün, Rotviolett erzielt werde». Der Ausdruck „molliger" ist hier nicht etwa Spaßes halber gebraucht, sondern ganz ernsthaft gemeint, denn es drückt sich darin ebenfalls die eine wesentliche Differenz enthaltende That¬ sache aus, daß die Bezeichnung Moll in der Farbenskala eine nur relative, d. h. gradweise sich steigernde Bedeutung besitzt, während sie in der musikalischen Skala von festem, durchaus konstanten Wert ist. Es herrscht nämlich für alle harmonischen Farbenverbindungen das Gesetz, daß nur diejenigen Farben eine vollkommen harmonische Verbindung darstellen, in denen der ganze Fnrbenkreis oder, was dasselbe ist, die drei Urfarben — sei es unmittelbar, sei es durch Mischung — repräsentirt sind. Dies Prinzip liegt seinem Wesen nach im Begriff der Harmonie selbst. Harmonie wird gewöhnlich in den ästhetischen Lehrbüchern schlechthin als „Einheit in der Mannichfaltigkeit" definirt. Allein da weder jede zu einer Einheit zusammen¬ gefaßte Mannichfaltigkeit, noch jede in sich mannichfaltige Einheit schon eine lückenlose Verbindung organisch gegliederter Teile darstellt, so besagt jene De¬ finition sowohl zu viel wie zu wenig. Das Wesen der Harmonie liegt vielmehr einerseits in der Ganzheit, andrerseits eben in der organischen Gliederung der unter sich verschiednen Teile. Werden z. B. die sämtlichen Teile einer in Stücke zer¬ schlagenen Statue ungeordnet mit einander verbunden, so ist zwar eine Einheit mannichfaltiger Teile, aber weder eine Ganzheit noch eine organische Gliederung vorhanden; fehlen wesentliche Teile davon, bei sonst richtiger Anordnung der übrigen, so findet zwar organische Gliederung der vorhandenen, aber keine Ganz¬ heit statt. Diese beiden Momente also, Ganzheit und innerhalb derselben or¬ ganische Gliederung der Teile, d. h. gesetzmäßige Anordnung derselben, sind für den Begriff der Harmonie wesentlich. Damit ist aber hinsichtlich der harmo¬ nischen Farbenverbindungen der Satz begründet, daß nicht schon solche Farben,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/269>, abgerufen am 23.07.2024.