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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Harmonie der Farben und der Töne.

Dies auf Farbe und Ton angewendet, müssen wir also sagen, daß sie als
Farbe und Ton nur in unserm Auge oder Ohr existiren, daß aber das, was sie
außer denselben sind, uns durchaus unbekannt ist; und wenn sie nach dieser
Seite hin als Luft- und Äthcrschwingungen definirt werden, so liegt es auf der
Hand, daß -- abgesehen von der rein willkürlichen Annahme eines "Äthers,"
dessen Existenz niemand experimentell hat nachweisen können -- damit über die
Natur dessen, was wir objektiv als Farbe und Ton bezeichnen, nicht das geringste
ausgesagt ist. Übrigens läßt sich die Behauptung, Farbe und Ton seien Lnft-
nnd Ätherschwingung, schon dadurch widerlegen, daß wir Farben sehen und
Töne hören, denen thatsächlich gar keine objektive Erscheinung entspricht, z, B.
die sogenannten komplementären Farbenspektra, welche auf rein subjektiven
Ncrvenempfindungen beruhen, sowie das, was populär als Ohrenklingen be¬
zeichnet wird u, a. in. Wenn die Physiker also, statt von der Wirkung, d, h.
von dem Inhalt der Sinnesempfindung, als dem allein thatsächlich Gegebenen,
auszugehen und von diesem durch Analogie aus Wahrscheinlichkeitsgründen auf
die unbekannte Ursache derselben, d, h. auf die Erscheinung, zurückzuschließen, die
Sache umkehrend von der Erscheinung, als dem angeblich Gegebenen, ausgehen
und dieselbe, unter Zugrundelegung rein willkürlicher Hypothesen,*) die sich jeder
experimentellen Untersuchung entziehen, objektiv zu erklären unternehmen, z, B.
die Wellenlängen der Ätherschwingungen und die Geschwindigkeit der letzter"
auf hunderttansendstel eines Millimeters, bez. auf hundertbillionstel einer Se¬
kunde -- das Violett z, B, soll eine Geschwindigkeit von 487 Billivnsteln einer
Sekunde besitzen! -- berechnen zu können glauben, so ist dies ein durchaus
verkehrtes Verfahren, dessen Verkehrtheit den Gipfel erreicht, wenn sie aus der
thatsächlich unbekannten Ursache, ans der Erscheinung nämlich, ans die Natur
der Sinnesempfindung schließen wollen.

Nach dieser die allgemeine Stellung der Physiker den Erscheinungen
gegenüber überhaupt kennzeichnenden Vorbemerkung wende ich mich nun zu
den geschichtlichen Daten, soweit sie für unsre Frage der Analogie von Farbe
und Ton von Interesse sind. Schon Newton, der Erfinder der Siebenfarbcn-
theorie, stellte eine Vergleichung der einfachen Farben mit den ganzen Tönen
einer Oktave auf, wobei er aber nur die Breite der Farbenstreifen im prisma¬
tischen Spektrum zu den musikalischen Intervallen der phrygischen Tonleiter in
Beziehung zu setzen versuchte. Diese Vergleichung beruht aber auf einem so
augenscheinlich sophistischen Trugschluß, daß es unbegreiflich ist, wie sich der¬
selbe -- Schopenhauer nennt ihn in seiner derben Manier einen unverschämten
Hnmbug -- bis in die neueste Zeit durch die physikalischen Lehrbücher hindurch



*) Ganz willkürlich sind diese Hypothesen denn doch nicht. Der Gegensatz der strittigen
Anschauungen dürfte mehr aus dem Mißverständnis dessen, was dnrch die Begriffe Licht
D, Red, und Ton bezeichnet werden soll, entspringen.
Die Harmonie der Farben und der Töne.

Dies auf Farbe und Ton angewendet, müssen wir also sagen, daß sie als
Farbe und Ton nur in unserm Auge oder Ohr existiren, daß aber das, was sie
außer denselben sind, uns durchaus unbekannt ist; und wenn sie nach dieser
Seite hin als Luft- und Äthcrschwingungen definirt werden, so liegt es auf der
Hand, daß — abgesehen von der rein willkürlichen Annahme eines „Äthers,"
dessen Existenz niemand experimentell hat nachweisen können — damit über die
Natur dessen, was wir objektiv als Farbe und Ton bezeichnen, nicht das geringste
ausgesagt ist. Übrigens läßt sich die Behauptung, Farbe und Ton seien Lnft-
nnd Ätherschwingung, schon dadurch widerlegen, daß wir Farben sehen und
Töne hören, denen thatsächlich gar keine objektive Erscheinung entspricht, z, B.
die sogenannten komplementären Farbenspektra, welche auf rein subjektiven
Ncrvenempfindungen beruhen, sowie das, was populär als Ohrenklingen be¬
zeichnet wird u, a. in. Wenn die Physiker also, statt von der Wirkung, d, h.
von dem Inhalt der Sinnesempfindung, als dem allein thatsächlich Gegebenen,
auszugehen und von diesem durch Analogie aus Wahrscheinlichkeitsgründen auf
die unbekannte Ursache derselben, d, h. auf die Erscheinung, zurückzuschließen, die
Sache umkehrend von der Erscheinung, als dem angeblich Gegebenen, ausgehen
und dieselbe, unter Zugrundelegung rein willkürlicher Hypothesen,*) die sich jeder
experimentellen Untersuchung entziehen, objektiv zu erklären unternehmen, z, B.
die Wellenlängen der Ätherschwingungen und die Geschwindigkeit der letzter»
auf hunderttansendstel eines Millimeters, bez. auf hundertbillionstel einer Se¬
kunde — das Violett z, B, soll eine Geschwindigkeit von 487 Billivnsteln einer
Sekunde besitzen! — berechnen zu können glauben, so ist dies ein durchaus
verkehrtes Verfahren, dessen Verkehrtheit den Gipfel erreicht, wenn sie aus der
thatsächlich unbekannten Ursache, ans der Erscheinung nämlich, ans die Natur
der Sinnesempfindung schließen wollen.

Nach dieser die allgemeine Stellung der Physiker den Erscheinungen
gegenüber überhaupt kennzeichnenden Vorbemerkung wende ich mich nun zu
den geschichtlichen Daten, soweit sie für unsre Frage der Analogie von Farbe
und Ton von Interesse sind. Schon Newton, der Erfinder der Siebenfarbcn-
theorie, stellte eine Vergleichung der einfachen Farben mit den ganzen Tönen
einer Oktave auf, wobei er aber nur die Breite der Farbenstreifen im prisma¬
tischen Spektrum zu den musikalischen Intervallen der phrygischen Tonleiter in
Beziehung zu setzen versuchte. Diese Vergleichung beruht aber auf einem so
augenscheinlich sophistischen Trugschluß, daß es unbegreiflich ist, wie sich der¬
selbe — Schopenhauer nennt ihn in seiner derben Manier einen unverschämten
Hnmbug — bis in die neueste Zeit durch die physikalischen Lehrbücher hindurch



*) Ganz willkürlich sind diese Hypothesen denn doch nicht. Der Gegensatz der strittigen
Anschauungen dürfte mehr aus dem Mißverständnis dessen, was dnrch die Begriffe Licht
D, Red, und Ton bezeichnet werden soll, entspringen.
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[0261] Die Harmonie der Farben und der Töne. Dies auf Farbe und Ton angewendet, müssen wir also sagen, daß sie als Farbe und Ton nur in unserm Auge oder Ohr existiren, daß aber das, was sie außer denselben sind, uns durchaus unbekannt ist; und wenn sie nach dieser Seite hin als Luft- und Äthcrschwingungen definirt werden, so liegt es auf der Hand, daß — abgesehen von der rein willkürlichen Annahme eines „Äthers," dessen Existenz niemand experimentell hat nachweisen können — damit über die Natur dessen, was wir objektiv als Farbe und Ton bezeichnen, nicht das geringste ausgesagt ist. Übrigens läßt sich die Behauptung, Farbe und Ton seien Lnft- nnd Ätherschwingung, schon dadurch widerlegen, daß wir Farben sehen und Töne hören, denen thatsächlich gar keine objektive Erscheinung entspricht, z, B. die sogenannten komplementären Farbenspektra, welche auf rein subjektiven Ncrvenempfindungen beruhen, sowie das, was populär als Ohrenklingen be¬ zeichnet wird u, a. in. Wenn die Physiker also, statt von der Wirkung, d, h. von dem Inhalt der Sinnesempfindung, als dem allein thatsächlich Gegebenen, auszugehen und von diesem durch Analogie aus Wahrscheinlichkeitsgründen auf die unbekannte Ursache derselben, d, h. auf die Erscheinung, zurückzuschließen, die Sache umkehrend von der Erscheinung, als dem angeblich Gegebenen, ausgehen und dieselbe, unter Zugrundelegung rein willkürlicher Hypothesen,*) die sich jeder experimentellen Untersuchung entziehen, objektiv zu erklären unternehmen, z, B. die Wellenlängen der Ätherschwingungen und die Geschwindigkeit der letzter» auf hunderttansendstel eines Millimeters, bez. auf hundertbillionstel einer Se¬ kunde — das Violett z, B, soll eine Geschwindigkeit von 487 Billivnsteln einer Sekunde besitzen! — berechnen zu können glauben, so ist dies ein durchaus verkehrtes Verfahren, dessen Verkehrtheit den Gipfel erreicht, wenn sie aus der thatsächlich unbekannten Ursache, ans der Erscheinung nämlich, ans die Natur der Sinnesempfindung schließen wollen. Nach dieser die allgemeine Stellung der Physiker den Erscheinungen gegenüber überhaupt kennzeichnenden Vorbemerkung wende ich mich nun zu den geschichtlichen Daten, soweit sie für unsre Frage der Analogie von Farbe und Ton von Interesse sind. Schon Newton, der Erfinder der Siebenfarbcn- theorie, stellte eine Vergleichung der einfachen Farben mit den ganzen Tönen einer Oktave auf, wobei er aber nur die Breite der Farbenstreifen im prisma¬ tischen Spektrum zu den musikalischen Intervallen der phrygischen Tonleiter in Beziehung zu setzen versuchte. Diese Vergleichung beruht aber auf einem so augenscheinlich sophistischen Trugschluß, daß es unbegreiflich ist, wie sich der¬ selbe — Schopenhauer nennt ihn in seiner derben Manier einen unverschämten Hnmbug — bis in die neueste Zeit durch die physikalischen Lehrbücher hindurch *) Ganz willkürlich sind diese Hypothesen denn doch nicht. Der Gegensatz der strittigen Anschauungen dürfte mehr aus dem Mißverständnis dessen, was dnrch die Begriffe Licht D, Red, und Ton bezeichnet werden soll, entspringen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/261>, abgerufen am 23.07.2024.