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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Romane aus der Völkerwanderung.

Von einem allzubeschränkten Schauplatz hinweg; Goethe hat recht gut gewußt,
warum er das Dutzend Schauspiele aus dem sechzehnten Jahrhundert, welches
die Buchhändler nach dem "Götz" von ihn, verlangten, und welches zu liefern
ihm, wie er selbst sagt, "ein leichtes" gewesen wäre, nicht schrieb. Die Wieder¬
holung schon einmal behandelter Stoffe, die Einschränkung der gestaltenden
Phantasie auf eine bestimmte Periode, die methodische Behandlung derselben und
das Nachdringen aller möglichen Episoden, die in einer größern epischen Dar¬
stellung keinen Raum gefunden haben, entspringen der Reflexion. Ob unsre
jiingeru Historiker immer wohlthun, wenn sie sich prinzipiell um nichts andres
kümmern als um König Wenzel und König Sigismund,, um protestantische
Union und katholische Liga, um den dreißigjährigen Krieg oder den siebenjäh¬
rigen Krieg, wir Wissens nicht. Daß aber unsre Poeten schlecht daran thun,
wenn sie das Beispiel nachahmen und das Prinzip der Arbeitsteilung auf die
Dichtung übertragen, das unterliegt keinem Zweifel. Es kann der poetischen
Phantasie nicht zum Heile gereichen, wenn ihre Empfänglichkeit von einem be¬
stimmten Studienkreis eingeschränkt und geregelt und andrerseits von wissen¬
schaftlichen Neigungen und Leistungen eines Dichters einseitig gespornt wird.

Viele leben heutzutage des Glaubens, daß sich der Mann der Wissenschaft
und der Dichter gegenseitig ausschlossen. Wir halten dies für ein Vorurteil.
Genuß aber darf die wissenschaftliche Thätigkeit eines Gelehrten, der nebenher
auch Dichter ist, seine poetische Thätigkeit nicht fortdauernd bedingen. Was
einmal günstig und ersprießlich wirke" kann, erweist sich ans die Länge lähmend
und zerstörend. Wir halten für möglich, daß Felix Dcchns Buch "Die Könige
der Germanen" der Phantasie des Dichters die ersten Anregungen zu seinem
großen historischen Roman "Ein Kampf um Rom" gegeben hat. Es liegt nahe,
daß bei ernsten Studien über entfernte Zeiten und Zustände die poetische Phan¬
tasie zugleich angeregt werde. Bilder und Eindrücke, die in der streng wissen¬
schaftlichen Darstellung keinen oder nur ungenügenden Raum haben, bleiben dem
Poetisch Angeregten in der Seele, wirken fort, längst nachdem die wissenschaft¬
liche Arbeit gethan ist. Aber wenn dem daraus hervorgehenden Drange, die
auf- und abwogenden Vorstellungen in einer lebendigen, vielgestaltigen und viel¬
farbigen Darstellung zu bannen genügt ist, wird der Drang sich beständig in
derselben Richtung wiederholen? Wird er sich an die willkürliche Begrenzung,
die der Mann der Wissenschaft seinem Arbeitsfeldc giebt, binden? Und wenn
es unter dem Einfluß einer bestimmten Reflexion oder gar unter dem der
Wünsche des Publikums geschieht, welches den Dichter nun einmal auf diesem
Gebiete "gewöhnt" ist -- wie Ebers im ägyptischen, Gerstäcker und Balduin
Möllhausen im transatlantischen Roman, Auerbach in der Schwarzwcildcr Dorf¬
geschichte --, so wird es seiner wahren Produktionskraft nicht zur Förderung
gedeihen. Die Kunst kann nicht einen Parallclweg mit der wissenschaftlichen
Spezialität gehen. Der Kampf des sinkenden Roms mit den kräftig cmf-


Gmizbotm I. 1883.
Romane aus der Völkerwanderung.

Von einem allzubeschränkten Schauplatz hinweg; Goethe hat recht gut gewußt,
warum er das Dutzend Schauspiele aus dem sechzehnten Jahrhundert, welches
die Buchhändler nach dem „Götz" von ihn, verlangten, und welches zu liefern
ihm, wie er selbst sagt, „ein leichtes" gewesen wäre, nicht schrieb. Die Wieder¬
holung schon einmal behandelter Stoffe, die Einschränkung der gestaltenden
Phantasie auf eine bestimmte Periode, die methodische Behandlung derselben und
das Nachdringen aller möglichen Episoden, die in einer größern epischen Dar¬
stellung keinen Raum gefunden haben, entspringen der Reflexion. Ob unsre
jiingeru Historiker immer wohlthun, wenn sie sich prinzipiell um nichts andres
kümmern als um König Wenzel und König Sigismund,, um protestantische
Union und katholische Liga, um den dreißigjährigen Krieg oder den siebenjäh¬
rigen Krieg, wir Wissens nicht. Daß aber unsre Poeten schlecht daran thun,
wenn sie das Beispiel nachahmen und das Prinzip der Arbeitsteilung auf die
Dichtung übertragen, das unterliegt keinem Zweifel. Es kann der poetischen
Phantasie nicht zum Heile gereichen, wenn ihre Empfänglichkeit von einem be¬
stimmten Studienkreis eingeschränkt und geregelt und andrerseits von wissen¬
schaftlichen Neigungen und Leistungen eines Dichters einseitig gespornt wird.

Viele leben heutzutage des Glaubens, daß sich der Mann der Wissenschaft
und der Dichter gegenseitig ausschlossen. Wir halten dies für ein Vorurteil.
Genuß aber darf die wissenschaftliche Thätigkeit eines Gelehrten, der nebenher
auch Dichter ist, seine poetische Thätigkeit nicht fortdauernd bedingen. Was
einmal günstig und ersprießlich wirke» kann, erweist sich ans die Länge lähmend
und zerstörend. Wir halten für möglich, daß Felix Dcchns Buch „Die Könige
der Germanen" der Phantasie des Dichters die ersten Anregungen zu seinem
großen historischen Roman „Ein Kampf um Rom" gegeben hat. Es liegt nahe,
daß bei ernsten Studien über entfernte Zeiten und Zustände die poetische Phan¬
tasie zugleich angeregt werde. Bilder und Eindrücke, die in der streng wissen¬
schaftlichen Darstellung keinen oder nur ungenügenden Raum haben, bleiben dem
Poetisch Angeregten in der Seele, wirken fort, längst nachdem die wissenschaft¬
liche Arbeit gethan ist. Aber wenn dem daraus hervorgehenden Drange, die
auf- und abwogenden Vorstellungen in einer lebendigen, vielgestaltigen und viel¬
farbigen Darstellung zu bannen genügt ist, wird der Drang sich beständig in
derselben Richtung wiederholen? Wird er sich an die willkürliche Begrenzung,
die der Mann der Wissenschaft seinem Arbeitsfeldc giebt, binden? Und wenn
es unter dem Einfluß einer bestimmten Reflexion oder gar unter dem der
Wünsche des Publikums geschieht, welches den Dichter nun einmal auf diesem
Gebiete „gewöhnt" ist — wie Ebers im ägyptischen, Gerstäcker und Balduin
Möllhausen im transatlantischen Roman, Auerbach in der Schwarzwcildcr Dorf¬
geschichte —, so wird es seiner wahren Produktionskraft nicht zur Förderung
gedeihen. Die Kunst kann nicht einen Parallclweg mit der wissenschaftlichen
Spezialität gehen. Der Kampf des sinkenden Roms mit den kräftig cmf-


Gmizbotm I. 1883.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/25>, abgerufen am 26.06.2024.