Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Treitschkes Deutsche Geschichte.

alten, bald bekehrten Burschenschafter in der Zeit, wo er diese "Bildungsmvtive
in seinem Leben" niederschrieb, manches etwas grell in der Erinnerung wieder
aufgeleuchtet sein, einen eigentlich tendenziösen Charakter kann ich doch in den
Aufzeichnungen nicht erkennen, deren reicher und lebensvoller thatsächlicher In¬
halt zu dem belehrendsten gehört, was wir über das studentische Treiben jener
Jahre besitzen. Noch jüngst hat auch der alte Frommann in Jena, der doch
einst mitten in diesen Dingen stand, in seiner kleinen Biographie Rotenhans
die "historische Objektivität" der Leoschcn Schilderungen ausdrücklich anerkannt.

Den eklatantesten Nachweis für die Gewaltsamkeit, womit Treitschke die
klarsten geschichtlichen Thatsachen nach seinem Gefallen umbiege, glaubt aber
Baumgarten in einer Enthüllung gegeben zu haben, auf welche er auch in seinem
neuesten Artikel nochmals replizirend zurückkommt. Der unbefangene Leser er¬
hält hier den Eindruck, als habe der Straßburger Professor den geehrten
Kollegen in Berlin auf einer ganz notorischen kleinen Quellenfälschung in tla-
N'Mei ertappt.

Es handelt sich um die Zeit kurz vor den verhängnisvollen Karlsbader
Beschlüssen, und speziell um die Verhandlungen Metternichs mit König Friedrich
Wilhelm III. über die preußische Verfassungsfrage. Der österreichischen Politik
kam alles darauf an, zu verhindern, daß das moderne konstitutionelle Ver-
fassnngswesen, welches bereits in Baiern und Baden Eingang gefunden, nicht auch
noch durch den Hinzutritt des preußischen Staates einen Zuwachs von Macht
und Anerkennung finde, dessen weitere Konsequenzen dann unabsehbar erschienen.
Die Aufgabe Metternichs war, den König von etwaigen Velleitäten in dieser
Richtung zurückzuhalten, den liberalen Tendenzen Hardenbergs entgegenzuar¬
beiten, und schon auf dem Aachener Kongreß im Herbst 1818 hatte er in seinen
persönlichen Unterredungen mit ihm nicht ohne Erfolg das Gemüt des Königs
bestürmt und ihm die Überzeugung einzuflößen versucht, daß eine preußische Ge¬
samtstaatsverfassung im Sinne des modernen Reprüsentativsystems -- "Zentral-
reprciseutation durch Volksdeputirte" ist sein Ausdruck -- den Keim künftiger
Revolution, für welche ohnedies schon in Heer und Beamtentum bedenkliche
Elemente vorhanden wären, zweifellos in sich trage. Er hatte zu derselben Zeit
zwei Denkschriften an Hardenberg und an den ihm politisch nahestehenden Mi¬
nister Wittgenstein gerichtet, von denen die eine "Über die Lage der preußischen
Staaten" die Verfassungsfrage speziell ins Auge faßt. Diese Aachener Denk¬
schrift ist in Metternichs Papieren (III, 172) gedruckt. Bei allen sonstigen
Vorbehalten stellt sich dieselbe jedenfalls ausdrücklich auf den thatsächlichen Boden
der königlichen Verkündigung vom Mai 1815, durch welche dem preußischen
Volke der Erlaß einer Verfassung verheißen war: "Es bestehen Versprechen von
seiten der Regierung; sie müssen gelöst werden." Diese Lösung aber soll er¬
folgen durch die Gründung von Provinzialständen für die von Metternich auf¬
gestellten sieben provinzialen Gruppen des preußischen Staates, und diesen nur


Treitschkes Deutsche Geschichte.

alten, bald bekehrten Burschenschafter in der Zeit, wo er diese „Bildungsmvtive
in seinem Leben" niederschrieb, manches etwas grell in der Erinnerung wieder
aufgeleuchtet sein, einen eigentlich tendenziösen Charakter kann ich doch in den
Aufzeichnungen nicht erkennen, deren reicher und lebensvoller thatsächlicher In¬
halt zu dem belehrendsten gehört, was wir über das studentische Treiben jener
Jahre besitzen. Noch jüngst hat auch der alte Frommann in Jena, der doch
einst mitten in diesen Dingen stand, in seiner kleinen Biographie Rotenhans
die „historische Objektivität" der Leoschcn Schilderungen ausdrücklich anerkannt.

Den eklatantesten Nachweis für die Gewaltsamkeit, womit Treitschke die
klarsten geschichtlichen Thatsachen nach seinem Gefallen umbiege, glaubt aber
Baumgarten in einer Enthüllung gegeben zu haben, auf welche er auch in seinem
neuesten Artikel nochmals replizirend zurückkommt. Der unbefangene Leser er¬
hält hier den Eindruck, als habe der Straßburger Professor den geehrten
Kollegen in Berlin auf einer ganz notorischen kleinen Quellenfälschung in tla-
N'Mei ertappt.

Es handelt sich um die Zeit kurz vor den verhängnisvollen Karlsbader
Beschlüssen, und speziell um die Verhandlungen Metternichs mit König Friedrich
Wilhelm III. über die preußische Verfassungsfrage. Der österreichischen Politik
kam alles darauf an, zu verhindern, daß das moderne konstitutionelle Ver-
fassnngswesen, welches bereits in Baiern und Baden Eingang gefunden, nicht auch
noch durch den Hinzutritt des preußischen Staates einen Zuwachs von Macht
und Anerkennung finde, dessen weitere Konsequenzen dann unabsehbar erschienen.
Die Aufgabe Metternichs war, den König von etwaigen Velleitäten in dieser
Richtung zurückzuhalten, den liberalen Tendenzen Hardenbergs entgegenzuar¬
beiten, und schon auf dem Aachener Kongreß im Herbst 1818 hatte er in seinen
persönlichen Unterredungen mit ihm nicht ohne Erfolg das Gemüt des Königs
bestürmt und ihm die Überzeugung einzuflößen versucht, daß eine preußische Ge¬
samtstaatsverfassung im Sinne des modernen Reprüsentativsystems — „Zentral-
reprciseutation durch Volksdeputirte" ist sein Ausdruck — den Keim künftiger
Revolution, für welche ohnedies schon in Heer und Beamtentum bedenkliche
Elemente vorhanden wären, zweifellos in sich trage. Er hatte zu derselben Zeit
zwei Denkschriften an Hardenberg und an den ihm politisch nahestehenden Mi¬
nister Wittgenstein gerichtet, von denen die eine „Über die Lage der preußischen
Staaten" die Verfassungsfrage speziell ins Auge faßt. Diese Aachener Denk¬
schrift ist in Metternichs Papieren (III, 172) gedruckt. Bei allen sonstigen
Vorbehalten stellt sich dieselbe jedenfalls ausdrücklich auf den thatsächlichen Boden
der königlichen Verkündigung vom Mai 1815, durch welche dem preußischen
Volke der Erlaß einer Verfassung verheißen war: „Es bestehen Versprechen von
seiten der Regierung; sie müssen gelöst werden." Diese Lösung aber soll er¬
folgen durch die Gründung von Provinzialständen für die von Metternich auf¬
gestellten sieben provinzialen Gruppen des preußischen Staates, und diesen nur


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0247" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/151804"/>
          <fw type="header" place="top"> Treitschkes Deutsche Geschichte.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_804" prev="#ID_803"> alten, bald bekehrten Burschenschafter in der Zeit, wo er diese &#x201E;Bildungsmvtive<lb/>
in seinem Leben" niederschrieb, manches etwas grell in der Erinnerung wieder<lb/>
aufgeleuchtet sein, einen eigentlich tendenziösen Charakter kann ich doch in den<lb/>
Aufzeichnungen nicht erkennen, deren reicher und lebensvoller thatsächlicher In¬<lb/>
halt zu dem belehrendsten gehört, was wir über das studentische Treiben jener<lb/>
Jahre besitzen. Noch jüngst hat auch der alte Frommann in Jena, der doch<lb/>
einst mitten in diesen Dingen stand, in seiner kleinen Biographie Rotenhans<lb/>
die &#x201E;historische Objektivität" der Leoschcn Schilderungen ausdrücklich anerkannt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_805"> Den eklatantesten Nachweis für die Gewaltsamkeit, womit Treitschke die<lb/>
klarsten geschichtlichen Thatsachen nach seinem Gefallen umbiege, glaubt aber<lb/>
Baumgarten in einer Enthüllung gegeben zu haben, auf welche er auch in seinem<lb/>
neuesten Artikel nochmals replizirend zurückkommt. Der unbefangene Leser er¬<lb/>
hält hier den Eindruck, als habe der Straßburger Professor den geehrten<lb/>
Kollegen in Berlin auf einer ganz notorischen kleinen Quellenfälschung in tla-<lb/>
N'Mei ertappt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_806" next="#ID_807"> Es handelt sich um die Zeit kurz vor den verhängnisvollen Karlsbader<lb/>
Beschlüssen, und speziell um die Verhandlungen Metternichs mit König Friedrich<lb/>
Wilhelm III. über die preußische Verfassungsfrage. Der österreichischen Politik<lb/>
kam alles darauf an, zu verhindern, daß das moderne konstitutionelle Ver-<lb/>
fassnngswesen, welches bereits in Baiern und Baden Eingang gefunden, nicht auch<lb/>
noch durch den Hinzutritt des preußischen Staates einen Zuwachs von Macht<lb/>
und Anerkennung finde, dessen weitere Konsequenzen dann unabsehbar erschienen.<lb/>
Die Aufgabe Metternichs war, den König von etwaigen Velleitäten in dieser<lb/>
Richtung zurückzuhalten, den liberalen Tendenzen Hardenbergs entgegenzuar¬<lb/>
beiten, und schon auf dem Aachener Kongreß im Herbst 1818 hatte er in seinen<lb/>
persönlichen Unterredungen mit ihm nicht ohne Erfolg das Gemüt des Königs<lb/>
bestürmt und ihm die Überzeugung einzuflößen versucht, daß eine preußische Ge¬<lb/>
samtstaatsverfassung im Sinne des modernen Reprüsentativsystems &#x2014; &#x201E;Zentral-<lb/>
reprciseutation durch Volksdeputirte" ist sein Ausdruck &#x2014; den Keim künftiger<lb/>
Revolution, für welche ohnedies schon in Heer und Beamtentum bedenkliche<lb/>
Elemente vorhanden wären, zweifellos in sich trage. Er hatte zu derselben Zeit<lb/>
zwei Denkschriften an Hardenberg und an den ihm politisch nahestehenden Mi¬<lb/>
nister Wittgenstein gerichtet, von denen die eine &#x201E;Über die Lage der preußischen<lb/>
Staaten" die Verfassungsfrage speziell ins Auge faßt. Diese Aachener Denk¬<lb/>
schrift ist in Metternichs Papieren (III, 172) gedruckt. Bei allen sonstigen<lb/>
Vorbehalten stellt sich dieselbe jedenfalls ausdrücklich auf den thatsächlichen Boden<lb/>
der königlichen Verkündigung vom Mai 1815, durch welche dem preußischen<lb/>
Volke der Erlaß einer Verfassung verheißen war: &#x201E;Es bestehen Versprechen von<lb/>
seiten der Regierung; sie müssen gelöst werden." Diese Lösung aber soll er¬<lb/>
folgen durch die Gründung von Provinzialständen für die von Metternich auf¬<lb/>
gestellten sieben provinzialen Gruppen des preußischen Staates, und diesen nur</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0247] Treitschkes Deutsche Geschichte. alten, bald bekehrten Burschenschafter in der Zeit, wo er diese „Bildungsmvtive in seinem Leben" niederschrieb, manches etwas grell in der Erinnerung wieder aufgeleuchtet sein, einen eigentlich tendenziösen Charakter kann ich doch in den Aufzeichnungen nicht erkennen, deren reicher und lebensvoller thatsächlicher In¬ halt zu dem belehrendsten gehört, was wir über das studentische Treiben jener Jahre besitzen. Noch jüngst hat auch der alte Frommann in Jena, der doch einst mitten in diesen Dingen stand, in seiner kleinen Biographie Rotenhans die „historische Objektivität" der Leoschcn Schilderungen ausdrücklich anerkannt. Den eklatantesten Nachweis für die Gewaltsamkeit, womit Treitschke die klarsten geschichtlichen Thatsachen nach seinem Gefallen umbiege, glaubt aber Baumgarten in einer Enthüllung gegeben zu haben, auf welche er auch in seinem neuesten Artikel nochmals replizirend zurückkommt. Der unbefangene Leser er¬ hält hier den Eindruck, als habe der Straßburger Professor den geehrten Kollegen in Berlin auf einer ganz notorischen kleinen Quellenfälschung in tla- N'Mei ertappt. Es handelt sich um die Zeit kurz vor den verhängnisvollen Karlsbader Beschlüssen, und speziell um die Verhandlungen Metternichs mit König Friedrich Wilhelm III. über die preußische Verfassungsfrage. Der österreichischen Politik kam alles darauf an, zu verhindern, daß das moderne konstitutionelle Ver- fassnngswesen, welches bereits in Baiern und Baden Eingang gefunden, nicht auch noch durch den Hinzutritt des preußischen Staates einen Zuwachs von Macht und Anerkennung finde, dessen weitere Konsequenzen dann unabsehbar erschienen. Die Aufgabe Metternichs war, den König von etwaigen Velleitäten in dieser Richtung zurückzuhalten, den liberalen Tendenzen Hardenbergs entgegenzuar¬ beiten, und schon auf dem Aachener Kongreß im Herbst 1818 hatte er in seinen persönlichen Unterredungen mit ihm nicht ohne Erfolg das Gemüt des Königs bestürmt und ihm die Überzeugung einzuflößen versucht, daß eine preußische Ge¬ samtstaatsverfassung im Sinne des modernen Reprüsentativsystems — „Zentral- reprciseutation durch Volksdeputirte" ist sein Ausdruck — den Keim künftiger Revolution, für welche ohnedies schon in Heer und Beamtentum bedenkliche Elemente vorhanden wären, zweifellos in sich trage. Er hatte zu derselben Zeit zwei Denkschriften an Hardenberg und an den ihm politisch nahestehenden Mi¬ nister Wittgenstein gerichtet, von denen die eine „Über die Lage der preußischen Staaten" die Verfassungsfrage speziell ins Auge faßt. Diese Aachener Denk¬ schrift ist in Metternichs Papieren (III, 172) gedruckt. Bei allen sonstigen Vorbehalten stellt sich dieselbe jedenfalls ausdrücklich auf den thatsächlichen Boden der königlichen Verkündigung vom Mai 1815, durch welche dem preußischen Volke der Erlaß einer Verfassung verheißen war: „Es bestehen Versprechen von seiten der Regierung; sie müssen gelöst werden." Diese Lösung aber soll er¬ folgen durch die Gründung von Provinzialständen für die von Metternich auf¬ gestellten sieben provinzialen Gruppen des preußischen Staates, und diesen nur

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/247
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/247>, abgerufen am 23.07.2024.